Dieser Artikel ist eine Kurzfassung des Beitrags: Fragen, erschienen in: Hölscher S., Reiber W., Pape, K. & Loehnert-Baldermann, E. (2006): Die Kunst gemeinsam zu handeln. Soziale Prozesse professionell steuern. Springer Verlag, Berlin
Fragen...
... sind der Schlüssel zu Welt. Ein altes Sprichwort sagt: Wer fragt, der führt. Mit Fragen werden Denk- und Dialogrichtungen gebahnt. Wer fragt, spielt den Ball weiter; aber er gibt dabei das Spiel nicht ab, sondern fokussiert den Ort der nächsten Interaktion. Fragen erzeugen gleichzeitig Bewegung und Konzentration – die Konzentration, die man braucht, um ernsthaft bei der Sache zu bleiben und die Bewegung, die nötig ist, um in der Sache voranzukommen. Nur wer Fragen stellt, hat die Chance zu lernen. Fragen können neue Impulse ins Spiel bringen und so – vor allem in schwierigen Situationen – helfen, weiterzukommen. Die Art des Fragens ist dabei mitentscheidend für die Qualität des (gemeinsamen) Erfolgs. Manche Leute lesen den Satz „Wer fragt, der führt“ deshalb auch in der anderen Richtung: „Wer führt, der fragt.“ Führen als Kunst, zur richtigen Zeit solche Fragen zu stellen, die andere darin unterstützen, ihre Arbeit motiviert und eigenverantwortlich ausgestalten zu können.
Sicher ist: Fragen sind nicht nur ein wesentlicher Faktor von Führung, sondern ganz allgemein ein Mittel, um in Problem-, Konflikt- und anderen schwierigen Situationen konstruktiv weiterzukommen. Dafür, dass man mit Fragen weiterkommt, sind dabei besonders vier Faktoren maßgeblich:
(1.) Spezifisches Erfahrungswissen
Je mehr man von einer Sache weiß, umso eher kann man spezifische Fragen stellen. Gleichzeitig ist der Wissensfaktor nicht immer entscheidend. Manchmal ist er sogar hinderlich. Zu viel Spezialwissen verstellt gelegentlich den Blick auf neue Ansatzpunkte und zu tief in einem Problem oder Konflikt vergraben zu sein, fördert nicht unbedingt die freie Sicht auf Handlungsmöglichkeiten. Vielfach kann gerade jemand, der deutlich weniger in die Sache involviert ist, fruchtbare Anstöße für sie liefern. Wichtiger als Fach-Know-How für weiterführendes Fragen ist daher oft:
(2.) Die innere Haltung zur in Frage stehenden Sache
Dinge, die einen interessieren und bei deren Thematisierung man energiegeladen und ‚hellwach‘ ist, führen meist wie von selbst dazu, dass sich einem auch spannende und interessante Fragen aufdrängen. (Natürlich sind solche Dinge nicht selten gerade die, zu denen man spezifisches Erfahrungswissen reichlich hat sammeln können.)
(3.) Die innere Haltung zum Gesprächspartner
Wie ich jemanden sehe, ist von entscheidender Bedeutung dafür, wie ich mit ihm rede. Mit Leuten, denen gegenüber man eine wertschätzende und kooperierende Haltung einnimmt, kommuniziert man erfahrungsgemäß anders als wenn man bei seinem Gegenüber denkt „Ich muss ihm sagen, was er zu tun hat (sonst klappt es sowieso nicht)“ oder „Er will mich ja doch bloß attackieren“ oder „Interesse an dem, worum es (mir) geht, hat er jedenfalls nicht“. Haltungen zu Personen sind wie Filter. Je eingeschränkter der Filter, umso eingeschränkter ist auch das, was (an Fragen und Antworten) auf beiden Seiten durchgeht. (Womit man sich die Berechtigung des jeweiligen Filters ja auch prima bestätigen kann, da man ja ohnehin nur bekommt, was man schon erwartet hatte). Umgekehrt bedeutet dies: Je mehr ich mein Gegenüber als interessanten und gleichberechtigten Gesprächspartner ansehen kann (je weniger ich also filtern muss), umso höher ist auch die Chance, mit meinem Gegenüber zu interessanten und weiterführenden Fragen und Ideen zu kommen.
(4.) Geeignete Fragetechniken
Die Technik des Fragens ist wie jede andere Technik auch etwas, das gelernt und geübt sein will und das man mehr oder weniger gut beherrschen kann. Der Erfolg von Fragen bemisst sich dabei an Kriterien wie: Welche Information brauche ich eigentlich? Was führt uns weiter, bringt uns voran? Welche Fragen bringen Neues, welche bewirken andererseits, dass wir nur schon (hunderttausendmal) Gehörtes abrufen oder uns (noch eine Runde mehr) im Kreis drehen?... Welche Fragen im Einzelfall weiterführend sind, hängt dabei stark von der jeweiligen Situation und dem Gesprächsziel ab. Hilfreich – gerade zur Eröffnung von Themenfedern – sind häufig offene Fragen („Wie schätzen Sie das und das ein?“ „Wie erleben Sie momentan unsere Zusammenarbeit?“...) und – wenn mehr Konkretheit nötig ist - sogenannte W-Fragen (Wer, Mit wem? Wozu? Mit welchen Mitteln? Wie? Wann? Wie oft?...). Suggestivfragen, unterstellende Fragen („Sie sind doch auch der Meinung, dass...?), Drohfragen („Räumen Sie jetzt den Schreibtisch auf, oder soll ich Ihnen Beine machen?“) oder auch geschlossene Fragen („Wollen Sie jetzt A oder B?) wirken demgegenüber – insbesondere bei gehäufter Verwendung – eher kontraproduktiv. Welche Frage wie (nützlich–schädlich, gut-schlecht, produktiv-kontraproduktiv) wirkt, wird sich im allgemeinen im weiteren Gesprächsverlauf schnell zeigen. Wichtig ist dabei, ein möglichst weites Fragespektrum zur Verfügung zu haben, insbesondere, wenn es um neue Lösungen geht. Manchmal empfiehlt es sich, dann auch etwas ungewöhnlichere Fragen zu stellen, und dies besonders dann, wenn man aus gewohnten (aber nicht mehr sehr erfolgreichen) Denk- und Handlungsmustern herauskommen möchte.
2. Die Idee systemischer Fragen
Systemische Fragen richten sich darauf, wie bestimmte Personen oder Gruppen von Personen bestimmte Aspekte der Welt sehen und wie sie aufgrund dieser Sichtweisen agieren und miteinander interagieren. Systemisch – im Sinne systemtheoretischer Ansätze – sind systemische Fragen dabei in zweierlei Hinsicht:
- Zum einen wenden sie sich an bestimmte (psychische oder soziale) Systeme (Individuen oder Gruppen von Individuen) mit der Frage, nach welcher Logik, d.h. nach welchen Annahmen, Regeln und Gesetzmäßigkeiten diese Systeme ihre Wirklichkeit konstruieren.
- Gleichzeitig fokussieren systemische Fragen Interaktionen, d.h. sie richten sich auf voneinander wechselseitig abhängigen Bedingungsfaktoren statt auf lineare Ursache-Wirkungsketten.
Mit ihrem Fokus auf Wechselbeziehungen können systemische Fragen Problemmuster beleuchten, also solche Bedingungsgefüge, deren Mechanismen Problem- oder Konfliktsituationen (zum Ärgernis der Beteiligten) in Gang setzen und aufrecht erhalten. Mit ihrem Bezug auf die wirklichkeits- und damit auch problemkonstituierenden Annahmen und Regeln der beteiligten Systeme bieten systemische Fragen andererseits die Chance, diese Annahmen und Regeln im Sinne einer erfolgreicheren Realitätsausrichtung zu modifizieren, und dies vor allem auch deswegen, weil systemische Fragen handlungswirksame Annahmen nicht einfach in Zweifel ziehen, sondern mit anderen interaktionell relevanten Perspektiven in Beziehung setzen.
Systemische Fragen sind so immer zugleich Problemdiagnose und Intervention. Sie sind Diagnose, weil sie der Eruierung problemrelevanter Annahmen, Modelle und Hypothesen dienen. Sie sind Intervention, weil sie zugleich neue Differenzierungen, Sichtweisen und Optionen ins Spiel bringen. Dass sie damit Problemlösungsprozesse weiterführen können, sieht man manchmal schlicht daran, dass Leute, denen systemische Fragen gestellt werden, anfangen zu überlegen – was mitunter der erste Schritt einer Änderung sein kann.
3. Grundtypen systemischer Fragen
Nachfolgend nun einige ‚Klassiker‘ systemischen Fragens:
(1.) Einschätzungsfragen (Fragen zur Wirklichkeitskonstruktion)
Einschätzungsfragen fragen danach, wie verschiedene Beteiligte den aktuellen Zustand, den Verlauf, die Ursachen und Kontextbedingungen einer Situation wahrnehmen und einschätzen. Sie dienen dazu, individuelle Sichtweisen zu beleuchten und zu spezifizieren.
Beispiele:
- Was tut Herr Schmidt, wenn er, wie Sie sagen, Ihnen gegenüber herablassend reagiert? Welche Verhaltensweisen zeigt er dann? Was könnte eine Kamera als sichtbares Verhalten registrieren?
- In welchen Situationen stört Sie das genannte Problem am meisten, wann stört es Sie besonders wenig? Gibt es auch Momente, in denen Sie das Gefühl haben, dass alles richtig gut läuft?
- Was denken Sie, wie es zur Unzufriedenheit dieses Kunden gekommen ist? Was hat den Kunden wohl besonders geärgert oder enttäuscht? Welche Erwartung hatte der Kunde wohl an Sie?
- Wie würden Sie die bisherige Projektentwicklung beschreiben? Was hat sich besonders gut, was hat sich nicht so gut entwickelt?
- Wie reagieren die anderen im Team auf die gespannte Situation zwischen Ihnen und Frau Meier? Haben Sie den Eindruck, dass sich die anderen lieber raushalten oder erleben Sie Parteinahme für sich oder die Kollegin? Wie hat sich der Konflikt auf die Stimmung im Team insgesamt ausgewirkt?
(2.) Operationalisierungsfragen
Diese Fragen zielen auf Indikatoren, d.h. sie eruieren, was in Hinblick auf einen behaupteten oder in Frage stehenden Sachverhalt wahrnehmbar und beobachtbar ist. Damit können Operationalisierungsfragen zur Konkretisierung und Versachlichung beitragen. Gerade in konflikthaften und anderen affektgeladenen Situationen neigen Menschen sehr stark und häufig unhinterfragt zu Bewertungen. Operationalisierungsfragen stellen dann ein Mittel dar, eher wieder zu einer Beschreibungsebene zu gelangen und damit zu einer Ebene, auf der leichter eine Verständigung auch zwischen sonst divergierenden Parteien möglich ist.
Beispiele:
- Was tut Herr Schulz, so dass Sie sagen, er sei „ein falscher Fünfziger“?
- Welche Indikatoren sehen Sie für Ihre Annahme, dass das bisherige Verhalten zu großen Problemen führen wird?
- Woran machen Sie fest, dass die vorgetragene Einschätzung inadäquat sei?
- An welchen Reaktionen Ihres Kunden würden Sie merken, dass er sich in Richtung auf eine Kaufentscheidung hin bewegt?
- Woran kann ich erkennen, dass ich Ihre Erwartung auch tatsächlich erfüllt habe?
(3.) Differenzierungsfragen
Besonders in Stress- und Konfliktsituationen neigen Menschen zu Dichotomisierungen: entweder - oder, richtig - falsch, gut - böse, schwarz - weiß. Differenzierungsfragen laden demgegenüber dazu ein, Ideen, Überzeugungen, Stimmungen, Konzepte etc. genauer zu unterscheiden und abzustufen. Genauere Differenzierungen lassen sich dabei etwa durch Fragen nach Prozenten, Skalenwerten, oder Klassifizierungen erreichen:
Beispiele:
- Was glauben Sie, zu wie viel Prozent erfüllen Sie derzeit die Erwartung Ihrer Kunden, schnell und zuverlässig beliefert zu werden?
- Angenommen man würde Ihre Mitarbeiter bitten, Ihre momentane Motivation auf einer Skala zwischen 0 und 10 einzuschätzen, wobei „0“ bedeuten würde „gar keine Motivation (mehr)“ und „10“ bedeuten würde „total motiviert“, in welchem Bereich wären wohl die meisten Einschätzungen?
- Sie selbst haben Ihre momentane Motivation mit 5 eingestuft. Was müsste passieren, damit Sie von 5 zu 6 oder 7 kommen? Und was wäre nötig, damit Sie bei 9 oder 10 ankommen?
- Wen schätzt der Chef von den Mitarbeitern Ihrer Meinung nach am meisten, wen am zweitmeisten, wen am wenigsten?
(4.) Hypothetische Fragen (Fragen zur Möglichkeitskonstruktion)
Hypothetische Fragen sind Fragen der Art: Was wäre, wenn...? Der Sinn solcher Fragen liegt darin, Wirkungszusammenhänge zu beleuchten und neue Handlungsoptionen zu eröffnen.
Beispiele:
- Wenn die Probleme in den nächsten Monaten so bleiben, welche Auswirkungen wird das wohl auf die Beziehung zu den Kunden haben? Bei welchen Kunden bestünde die Gefahr, sie zu verlieren? Und wie würden wohl die anderen Kunden reagieren?
- Wenn wir das Nachfolgeprodukt im Preis um 10% gegenüber seinem Vorgänger anheben, welche Folgen wird das wohl auf den Absatz in unseren wichtigsten Märkten haben? Und wie wären wohl die zu erwartenden Folgen bei einer Preisanhebung um 5%?
- Wenn wir Ihren Abteilungsleiter fragen würden, wie er die momentane Atmosphäre in Ihrem Team sieht, was würde er wohl antworten?
- Wenn Sie sich entscheiden würden, deutlicher als bisher Ihre Wünsche und Erwartungen zu artikulieren, wen im Team würde das wohl am meisten überraschen? Wie würde derjenige wohl reagieren? Würde er auf Ihre Wünsche eingehen oder würde er sich widersetzen?
Wichtige Unterformen hypothetischer Fragen sind Verbesserungs- und Verschlimmerungsfragen.
(4.1.) Verbesserungsfragen und Wunderfragen
Verbesserungsfragen beziehen sich – ausgehend von dem, was bereits gut läuft bzw. in der Vergangenheit gut gelaufen ist – darauf, wie man die Dinge noch weiter verbessern und positiv entwickeln kann. Damit lenken sie die Aufmerksamkeit statt auf Defizite auf Ressourcen und positive Erfahrungen. Ein besonders interessanter Fragetyp in diesem Zusammenhang ist die sogenannte ‚Wunderfrage‘, die darauf zielt, wie der bestmögliche Zustand aussieht: was ihn ausmacht, woran man ihn erkennt, wie relevante Andere sich zu ihm verhalten würden, was er unter verschiedensten Perspektiven für Folgen hat etc. Wunderfragen können Visionen unterstützen und konkretisieren helfen. Zugleich kann damit Energie und Motivation entstehen, sich in Richtung des visionären Bilds aktiv zu bewegen.
Beispiele:
- Was läuft in der Zusammenarbeit gut? Was möchten Sie gern bewahren? Was müssten Sie tun, wenn Sie noch mehr davon realisieren wollten?
- Wie sieht für Sie der bestmögliche Zustand aus? Angenommen, alles liefe ‚wie am Schnürchen‘, so gut, wie Sie es sich nur vorstellen können: wie sähe die Situation dann aus? Was würden Sie dann konkret tun? Was die anderen Beteiligten? Was würden die anderen darüber sagen, was sie wahrnehmen und erleben? …
- Wenn das Problem plötzlich weg wäre (z.B. weil eine gute Fee vorbeigekommen ist und es weggezaubert hat): Was würden Sie am Morgen danach als erstes anders machen? Was danach? Wer wäre vom Verschwinden des Problems am meisten überrascht? Was würden Sie am meisten vermissen? …
(4.2.) Verschlimmerungsfragen und Selbstmordfragen
Verschlimmerungsfragen beziehen sich darauf, wie man eine bestimmte – in der Regel schon als schwierig wahrgenommene – Situation weiter verschlechtern kann. Dabei geht es natürlich nicht darum, das, was zur Verschlechterung beitragen würde, dann auch zu tun, sondern es geht darum, wichtige Wirkfaktoren und zwar besonders bezogen auf das eigene Handeln klarer zu erkennen. Der Hauptpunkt dabei ist: das, was man verschlechtern kann, kann man ja offenbar beeinflussen, und d.h., man könnte es grundsätzlich auch verbessern. Eine spezielle Variante von Verschlimmerungsfragen ist die Frage nach ‚systematischen Selbstmordstrategien‘, die danach fragt, wie man selbst dazu beitragen kann, dass die Sache (z.B. der neue Job, das Projekt, die Kundenbeziehung etc.) möglichst gründlich scheitert. Diese auf den ersten Blick etwas bizarr erscheinende Frage zielt nicht auf die Herbeiführung eines möglichst raschen desaströsen Endes, sondern darauf, diejenigen Bedingungen in den Blick zu bekommen, die für einen erfolgreichen Fortgang auf jeden Fall unverzichtbar sind – ähnlich wie die Luft zum Atmen. Indem die Frage nach systematischen Selbstmordstrategien den Fokus auf solche überlebenswichtigen Bedingungen lenkt, mobilisiert sie, wie man sagen könnte, die ‚positive Kraft des negativen Denkens‘.
Beispiele:
- Was müssten Sie tun, um Ihr Problem zu behalten, zu verewigen oder zu verschlimmern? Wie könnten Sie sich so richtig unglücklich machen, wenn Sie dies wollten?
- Was müssen wir tun, damit der Laden (das Team, die Abteilung, die ganze Organisation) möglichst schnell und möglichst sicher den Bach runter geht? Welche Interaktionen sind dafür nötig? Wer muss was mit wem tun?
- Was müssen Sie tun, damit die Situation bei diesem Kunden so eskaliert, dass er gar nicht mehr mit Ihnen spricht?
(5.) Zirkuläre Fragen
Zirkuläre Fragen sind Einladungen zum Perspektivenwechsel. A fragt B nach seinen Vermutungen hinsichtlich der Wünsche, Gedanken, Handlungen etc. von C; dabei kann C an- oder abwesend sein. In jedem Fall erfährt A etwas über B‘s Hypothesen (seine mentalen Modelle) zum Verhalten von C. Diese Hypothesen können natürlich – wie grundsätzlich alle Hypothesen - mehr oder weniger zutreffend bzw. unzutreffend sein. Als B‘s Hypothesen sind sie jedoch handlungsleitend und insofern relevant für B’s Verhalten gegenüber C. Für den Fall, dass C bei A’s Frage anwesend sein sollte, erhält C darüber hinaus zugleich auch eine Rückmeldung darüber, wie B sein Verhalten einschätzt und erlebt. Im Unterschied zu direkten Fragen (z.B.: A fragt C, wie es ihm geht) führen zirkuläre Fragen immer zum Einnehmen einer Außenperspektive. Damit ermöglichen es solche Fragen, wichtige neue Informationen über die Interaktionsprozesse innerhalb eines Systems zu generieren.
Beispiele:
- Was schätzen Sie, wie sich Ihr Kollege gerade fühlt?
- Was glauben Sie, was Herr Müller von Ihnen erwartet?
- Was glauben Sie, wie beurteilt Ihr Chef die Beziehung zwischen Ihnen und Ihren Mitarbeitern?
- Wie denken Sie, würde wohl der Markt reagieren, wenn Sie morgen eine Preissenkung um 5% ankündigen?
- Aus der Sicht Ihrer Kunden: wer bietet wohl bessere Servicequalität: Sie oder Ihre Mitbewerber?
(6.) Fragen zu Lösungsversuchen
Diese Fragen dienen dem Zweck, herauszufinden, welche Lösungsstrategien in aktuellen oder auch in vergleichbaren früheren Situationen schon versucht worden sind und welche Erfahrungen damit gemacht wurden. Generiert werden so einerseits wichtige Informationen über den bisherigen Problemverlauf. Gleichzeitig bieten sich damit aber auch Anhaltspunkte, wie denkbare Handlungsoptionen als sinnvolle Verbindung von Neuem und Bewährtem aussehen könnten.
Beispiele:
- Welche Lösungsversuche haben Sie bisher schon unternommen? Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht? Was hat sich in Ihren Augen bewährt? Was hat sich als schwierig oder schädlich erwiesen?
- Wie würden die anderen Beteiligten die bisherigen Lösungsversuche wohl einschätzen? An welchen Punkten gibt es wohl ähnliche und wo ganz andere Einschätzungen als bei Ihnen?
- Wie haben Sie früher schwierige Situationen zusammen gemeistert?
- Auf welche Ressourcen und Fähigkeiten bei sich und den anderen können Sie sich – auch wenn es noch so schwierig wird – auf jeden Fall verlassen?
4. Einsatzmöglichkeiten systemischer Fragen
Grundsätzlich lassen sich systemische Fragen immer dann einsetzen, wenn es um die Lösung komplexer Probleme geht. Besonders geeignet sind systemische Fragen dabei in Beratungs- und Coachingkontexten, wenn es darum geht, einzelne Personen, Teams und Organisationen darin zu unterstützen, für schwierige Probleme neue Lösungen zu finden. Anwendungsbereiche hier sind etwa: Supervisionsgespräche, Führungscoaching (die Führungskraft in der Rolle des Coaches), kollegiales Coaching, Teamentwicklungsprozesse, Konfliktmoderationen und andere Moderationsanlässe. Die systemisch orientierte Beratung kann dabei auch durchaus eine Selbstberatung (Selbstreflexion) sein.
Neben Beratungskontexten unterschiedlichster Ausrichtung lassen sich systemische Fragen natürlich auch bei gemeinsamen Problemlösungen in Meetings, Gruppenbesprechungen, Visions- und Strategiegesprächen, Kreativsitzungen etc. mit Gewinn verwenden.
Voraussetzung für einen sinnvollen Einsatz systemischer Fragen ist neben der Kenntnis der Fragetypen allein die Bereitschaft, eine Außenperspektive auf das besprochene Thema einzunehmen und mittels dieser Außenperspektive unterschiedliche Sichtweisen zum thematischen Feld durchzuspielen. Die Bereitschaft zur Einnahme einer Außenperspektive kann dabei gerade durch systemische Fragen, die deren Wirksamkeit demonstrieren, noch gefördert werden. Zurückhaltung in bezug auf systemische Fragen empfiehlt sich demgegenüber insbesondere dann, wenn man selbst als Partei gerade mitten in einem Konflikt steckt und innerlich (mal wieder) auf 180 ist. In solchen Fällen neigen Leute eher zur Anhänglichkeit an ihre eigene Perspektive. Systemische Fragen, wie z.B. „Was glauben Sie denn eigentlich, wie Ihr Chef das findet, was Sie hier machen? können dann durchaus weiter provozieren. Aber man muss ja auch nicht immer bloß systemische Fragen stellen.
Übersichtstabelle: Systemische Fragen
Fragetyp |
Kennzeichen |
Beispiel |
(1.) Einschätzungsfragen |
A fragt B nach seinen Ansichten zu einer Situation, nach seinen Einschätzungen zu Bedingungen, Ursachen und Folgen etc. |
„Wie erleben Sie gegenwärtig die Fortschritte im Projekt? Was, denken Sie, hat sich besonders gut entwickelt, was läuft noch nicht so gut?“ |
(2.) Operationalisierungsfragen |
Zielen auf Indikatoren, eruieren, was in Hinblick auf einen behaupteten oder in Frage stehenden Sachverhalt wahrnehmbar und beobachtbar ist. |
„Wenn unser Ziel heißt: mehr Kundenorientierung, woran würden denn unsere Kunden merken, dass wir noch stärker an Ihren Wünschen orientiert sind?“ |
(3.) Differenzierungsfragen |
Fragen nach genaueren Unterscheidungen, z.B. Prozent-, Skalen- oder Klassifizierungsfragen. |
„Was glauben Sie, zu wie viel Prozent erfüllen Sie derzeit die Erwartung Ihrer Kunden, schnell und zuverlässig beliefert zu werden?“ |
(4.) Hypothetische Fragen |
Hypothetische Fragen: „Was wäre, wenn ...?“ |
„Wenn die Qualitätsprobleme in den nächsten Monaten so bleiben, welche Auswirkungen wird das wohl auf die Beziehung zu unseren Kunden haben?“ |
(4.1.) Selbstmordfragen |
Fragen der Art: „Was müssen wir / Sie / ich tun, um ‚die Sache’ (das Projekt, den Job, das Unternehmen, die Beziehung etc.) möglichst schnell und möglichst gründlich gegen die Wand zu fahren?“ |
„Was, glauben Sie, müssten wir tun, um diesen Großkunden, der sich in letzter Zeit immer wieder über schlechte Produkt- und Servicequalität von uns beklagt hat, endgültig zu verprellen?“ |
(4.2.) Wunderfragen |
Beleuchten, wie der bestmögliche Zustand aussieht. |
„Angenommen, es käme eine gute Fee zu uns und wir könnten uns den bestmöglichen Zustand für unser Team wünschen, wie sähe dann die Welt bei uns wohl aus?“ |
(5.) Zirkuläre Fragen |
Einladung zum Perspektivenwechsel: A fragt B, was B meint, was C denkt, will, beabsichtigt, fühlt etc. |
“Was glauben Sie, was diesem Kunden besonders wichtig ist? Was erwartet er wohl von uns und worauf achtet er vor allem?“ |
(6.) Lösungsfragen |
Dienen dem Zweck, herauszufinden, welche Lösungsstrategien in der aktuellen oder auch in vergleichbaren früheren Problemsituationen schon versucht worden sind und welche Erfahrungen damit gemacht wurden. |
„Welche Lösungsversuche haben Sie bisher schon unternommen? Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht? Was hat sich in Ihren Augen bewährt? Was hat sich als schwierig erwiesen?“ |