15. Juni 2010

Strategien für ein Leben mit Drive

7 + 2 Aufmerksamkeitsfokussierungen für mehr Energie, Produktivität und Lebenslust 

Dr. Stefan Hölscher

[Dieser Artikel ist eine Vorabpublikation aus dem 2011 von Stefan Hölscher im Junfermann Verlag erscheinenden Buch: Leben mit Drive]

 

Was ich in einer Situation erlebe und was sich daraus für mich ergibt, wird maßgeblich davon geprägt, worauf sich meine Aufmerksamkeit richtet.

 

Die Fokussierung meiner Aufmerksamkeit ist wie ein Filter für das, was ich wahrnehme und wie ein Generator für das, was weiter geschieht.

 

Die Fokussierung meiner Aufmerksamkeit ist ein Mittel von größtmöglicher Wirkungskraft. Ob ich den Fokus dabei ganz absichtlich und bewusst steuere oder ob dieser Fokus ganz unwillkürlich und wie von selbst entsteht, spielt für die Wirkung keine entscheidende Rolle. Wichtig ist aber, worauf sich der Fokus meiner Aufmerksamkeit richtet, und dies kann ich natürlich beeinflussen, ganz besonders dadurch, dass ich mir bestimmte Fragen stelle. Um guten Drive im Umgang mit Situationen unterschiedlichster Art, im Umgang mit anderen und nicht zuletzt im Umgang mit mir selbst zu entfalten, sind bestimmte Fokussierungen der Aufmerksamkeit besonders hilfreich.

 

Schauen wir auf 7 + 2 Strategien, die den Blick öffnen, weiten und erhellen können. Sie zu nutzen kann ein wesentlicher Beitrag zu guter Energie, Produktivität und Lebenslust sein:

 

1. Aufmerksamkeitsfokus: Was ist gut an dem, was schon da ist?

 

Der Akzent dieser Frage liegt auf „Was ist gut?“ Die Frage ist nicht, ob irgendetwas gut ist, weil mein Blick mit dem „Ob“ schon tendenziell negativ eingefärbt wäre. Frage ich „Was ist gut?“, so wird es kaum eine Situation geben, in der mir nicht eine ganze Reihe von Punkten in den Sinn kommen.

 

Was ist gut am heutigen Tag? Was wird – so wie der Tag geplant ist – für mich wohl besonders angenehm, attraktiv, energievoll, inspirierend sein? Was ist positiv an dem, was ich im Moment erlebe? Was ist gut an dieser Situation? Was ist gut an der Begegnung, die ich gerade habe? Was ist an dem, was mein Gegenüber tut, in meinen Augen schätzenswert, engagiert, entgegenkommend, hilfreich? Was ist die gute Absicht im Tun des anderen in Bezug auf Themen, um die es gerade geht, in Bezug auf mich und meine Bedürfnisse, unsere Beziehung, unsere Familie, unser Team, unsere Organisation? Was ist besonders positiv an der Situation im Hinblick auf mich selbst, mein Befinden, meine Energie, meine Gesundheit ...? Welche Kompetenzen von mir kommen hier besonders zum Tragen? Welche Früchte meiner Arbeit zeigen sich gerade?

 

Die Fokussierung auf das, was am Gegebenen bereits gut ist, führt wie von selbst zu einer Fokussierung darauf, wofür das, was da ist, im weiteren Verlauf gut sein kann.

 

 

2. Aufmerksamkeitsfokus: Wie kann man das Vorhandene sinnvoll aufnehmen und nutzen?

 

Auch hier ist der Fokus nicht: „Kann man das, was jetzt da ist, irgendwie nutzen?“ Darauf wäre die wahrscheinliche Antwort: „Wohl kaum.“ Der Fokus ist vielmehr: „Wie kann man es nutzen?“ Wenn ich die Frage so stelle und ihr und mir eine ernsthafte Chance gebe, so werde ich etwas Sinnvolles entdecken.

 

Welche Möglichkeiten eröffnen sich durch die gegebene Situation? Was geht? Für welche wichtigen Bedürfnisse – von mir, von meinem Gegenüber, von uns – lässt sich etwas tun? Was kann ich persönlich lernen, was können wir gemeinsam lernen? Welche spannenden Herausforderungen stellen sich? Welche verborgenen Schätze lassen sich heben?

 

Was immer passiert: Ich kann etwas Sinnvolles darin finden. Und ich kann Anknüpfungspunkte entdecken, neue Perspektiven erkennen, Handlungs-optionen entwickeln.

 

 

3. Aufmerksamkeitsfokus: Welche wichtigen Bedürfnisse zeigen sich in der gegebenen Situation?

 

Der Fokus ist wiederum: „Welche Bedürfnisse zeigen sich hier“ und nicht, ob sich welche zeigen. (Wahrscheinliche Antwort: „Nein, keine.“)

 

Was kann ich wahrnehmen in Bezug auf relevante Bedürfnisse von mir – gerade auch solche Bedürfnisse, die sich vielleicht nicht so direkt offenbaren? Was kann ich aus Gefühlen und Stimmungen über meine Bedürfnisse lernen? Was aus Ambivalenzen, Spannungen oder inneren Konflikten? Welche verschiedenen Bedürfnisse erkenne ich hier und wie stehen sie zueinander? Was erfahre ich über Bedürfnisse von mir in einer Situation, in der ich mich wenig kompetent oder sogar ohnmächtig fühle? Was sagen mir Symptome meines Körpers, wie zum Beispiel Herzklopfen, Magenbeschwerden, Druckgefühle oder Verspannungen, über Bedürfnisse, die vielleicht momentan zu wenig Raum bekommen?

 

Was erfahre ich über die Bedürfnisse meines Gegenübers? Was über die meines Konfliktpartners? Auch wenn ich vielleicht manches von dem, was er oder sie sagt, tut, fordert oder meint, einseitig oder unangemessen finde: Welche grundlegenden Bedürfnisse liegen hinter dem, was er oder sie zum Ausdruck bringt? Was kann ich hier für nachvollziehbare Wünsche, Interessen und Anliegen erkennen? Was würde ich vielleicht an seiner oder ihrer Stelle ganz ähnlich wollen?

 

Wenn ich meine eigenen Gedanken und Handlungsimpulse und die Reaktionen und Handlungen meines Gegenübers bewusst wahrnehme, kann ich die zugrunde liegenden Bedürfnisse herausfinden – eine wesentliche Voraus-setzung, um etwas für deren Erfüllung tun zu können.

 

Wenn ich meine Aufmerksamkeit ernsthaft darauf richte, welche wichtigen Bedürfnisse wohl hinter dem gezeigten Verhalten stehen, ist es nur ein ganz kleiner Schritt zur Frage, wie sich diese Bedürfnisse sinnvoll miteinander verbinden lassen.

 

4. Aufmerksamkeitsfokus: Wie lassen sich die verschiedenen Bedürfnisse gut integrieren?

Auch hier macht das „Wie“ in der Frage die Musik. Bei einem „Ob“ würde man schnell nur noch Misstöne, eine frustrierende Kakophonie zwischen den verschiedenen Bedürfnissen wahrnehmen können.

Wo gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den Bedürfnissen? Wo gibt es Anknüpfungspunkte? Wie lassen sich die verschiedenen Bedürfnisse integrieren: auf welchen Wegen, in welcher Art und Weise, in welcher Kombination oder Reihenfolge, mit welchen Prioritäten? Wo sind Kompromisse nötig? Welche Bedingungen können dazu beitragen, dass den verschiedenen Bedürfnissen möglichst gut entsprochen werden kann? Was sind die wichtigsten Kriterien, denen eine gute Integration der Bedürfnisse entsprechen sollte?

 

Meine Überlegungen zielen darauf ab, den größtmöglichen gemeinsamen Nenner zu finden, das miteinander zu verbinden, was verbunden werden kann. Durch ein kreatives Verbinden der unterschiedlichen Bedürfnisse nutze ich Chancen und Synergien. 

 

Derartige Überlegungen leiten über zur nächsten Fragerichtung.

 

 

5. Aufmerksamkeitsfokus: Worum geht es mir hier eigentlich?

 

Dieser Fokus hilft, sich nicht im Unterholz zu verlieren und seine Energien auf Nebenschauplätzen zu verplempern. Die Frage „Worum geht es mir hier eigentlich“ ist nicht allein aus dem Moment heraus zu betrachten. Der Moment ist oft trügerisch und verzerrt die Proportionen des Geschehens, zum Beispiel wegen hineinspielender Emotionen. „Worum geht es eigentlich?“ betrachtet die Kernziele, das, worauf es mir zu guter Letzt ankommt.

 

Ich fokussiere: Was ist mir wirklich wichtig – bei dieser Aufgabe, bei diesem Projekt, in dieser Rolle, in dieser Begegnung, dieser Präsentation, diesem Meeting, dieser Beziehung …? Was möchte ich langfristig erreichen? An welchen Werten möchte ich mein Tun orientieren? Was ist das große Bild? Was ist die Vision? Was ergibt sich daraus für mein Tun jetzt? Was verdient Priorität? Was rückt eher in den Vordergrund, was eher in den Hintergrund? Inwiefern kann ich aus dem großen Bild und der Vision Kraft schöpfen, für das, was jetzt ansteht? – Solche und ähnliche Fragen kann man natürlich auch gemeinsam betrachten: Worum geht es uns hier eigentlich? Was wollen wir hier langfristig erreichen? ...

 

Der Fokus darauf, worum es mir eigentlich geht, schärft den Blick für das Wesentliche. Er hilft mir, dass ich mich mit meinen Werten, Zielen, Bedürfnissen … in Übereinstimmung fühle und gibt mir dadurch Kraft und Klarheit.  

 

 

 

6. Aufmerksamkeitsfokus: Was kann ich dafür tun, dass es mir möglichst gut geht?

 

Hierin liegt ein ganz genereller Faktor für guten Drive: Ich darf und sollte darauf achten, dass es mir gut geht. Fokussieren darf und sollte ich Punkte wie die folgenden:

 

Wann, wo und wie kann ich heute zumindest eine nennenswerte Aktivität einplanen, die mir gut tut und die mir Energie gibt, selbst wenn dieser Tag aus lauter Aufgaben und Pflichten zu bestehen scheint? Wie muss ich die anderen ‚Tagesordnungspunkte’ angehen, damit ich auch tatsächlich zu der für mich erfreulichen Aktivität komme? Wo gibt es heute vielleicht auch noch eine weitere Gelegenheit, etwas für mich Schönes und Wertvolles zu machen? Was kann ich jetzt und hier für mein persönliches Wohlbefinden tun: in dieser Situation, bei dieser Arbeit, in dieser Begegnung, diesem Meeting, dieser Präsentation, diesem Kundengespräch...? Welche innere Haltung, welches Bild von der Situation, welche Auffassung von meiner Rolle, welche Präzisierung meiner Zielsetzungen kann mir helfen, mich möglichst kraftvoll und im Gleichgewicht zu fühlen?

 

Was kann ich ganz generell für mein Wohlbefinden tun? Welche Aktivitäten sind mir so wichtig, dass ich sie auf jeden Fall mit hoher Priorität in mein Leben einplanen möchte, weil sie mir Kraft geben, Spaß machen oder ich sie einfach brauche? Welche Formen von Bewegung und Sport, welche Freizeitaktivitäten, welche Projekte und Vorhaben, welche Begegnungen mit anderen Menschen ... ? Welche Voraussetzungen muss ich schaffen, damit diese Aktivitäten einen für meine persönliche Balance gut verankerten Platz bekommen?

 

Welche Bedürfnisse sollte ich in meiner Wahrnehmung und in meinem Handeln insgesamt ernst nehmen, wenn ich an die verschiedenen Bereiche meines Lebens denke: an meine Arbeit, meine sozialen Beziehungen (Familie, Partnerschaft, Freunde etc.) meine Freizeitinteressen, mein körperliches Wohl, meine übergreifenden Sinn- und Werteorientierungen. Welche Prioritäten sollte ich hier setzen, welche Mischung und welche Akzentuierung tun mir gut, welcher Rhythmus und welcher Wechsel von Aktivitäten entsprechen mir besonders? Wie kann ich in guter Weise auf mein Wohlbefinden, meine gute Energie und meine Balance achten?

 

Fragen über Fragen, aber eine ist so wichtig wie die andere, denn ohne mein Wohlbefinden gibt es keinen echten Drive. Und dies lässt sich gleich noch auf das Wohlbefinden miteinander erweitern.

 

 

 

Der Fokus dieser Frage ist eigennützig und uneigennützig zugleich. Indem ich auf mich, mein Wohlergehen, meine Energie und Balance achte, achte ich zugleich auf ein produktives Verhältnis zu den anderen; denn nur wenn es mir gut geht, gibt es die Chance, dass ich in einen guten Drive mit den anderen komme zu den Themen, um die es uns geht.   

 

 

7. Aufmerksamkeitsfokus: Was kann ich zusammen mit den anderen dafür tun, dass guter Drive zwischen uns entsteht?

 

Wann immer ich etwas mit anderen tue, braucht es ein gemeinsames Wohlbefinden für einen guten Fluss der Energien verbunden mit einem kreativen Vorankommen in der Sache. Abermals ist hier der Fokus, „was“ und nicht, „ob“ wir etwas dafür tun können.

 

Wie sollten wir miteinander umgehen? Was sollte uns leiten? Was sollten wir in den Mittelpunkt stellen? Was eher in den Hintergrund rücken? Worauf sollten wir uns gegenseitig aufmerksam machen? Wie können wir unsere jeweiligen Bedürfnisse und Interessen befriedigen? Wie können wir unsere jeweiligen Kenntnisse, Stärken und Fähigkeiten möglichst kreativ nutzen?

 

Wenn wir mit Achtsamkeit und Präsenz auf das eingehen, was gerade zwischen uns ist und auch hier unseren Fokus auf Möglichkeiten und Chancen richten, kommen wir in einen gemeinsamen Fluss – in einen angenehmen und produktiven Drive.   

 

 

Alle skizzierten Aufmerksamkeitsfokussierungen, sind letzten Endes Ausdruck derselben inneren Grundhaltung:

 

Schätze, was da ist, was auch immer es ist. Nimm es an und geh davon aus, dass sich etwas Sinnvolles daraus machen lässt.

 

Je mehr diese Grundhaltung unser Leben prägt, desto automatischer und unwillkürlicher nehmen wir solche Fokussierungen vor. Aber natürlich wird das nicht jederzeit und flächendeckend geschehen. Immer wieder kommt es vor, dass wir das, was gerade da ist, schwierig und widrig finden. Und je schwieriger und widriger wir es finden, umso weniger sind wir in der Stimmung, zu schätzen, was da ist. Um in solchen Situationen, wenn auch nicht unbedingt sofort, so doch möglichst bald wieder auf einen Weg zurückzukommen, der Drive ermöglicht, gibt es eine grundlegende und äußerst effektive mentale Strategie, die zu all den genannten hinzukommt, nämlich die der systematischen Selbstreflexion. Dabei geht es darum, sich selbst, das eigene Tun und seine zu erwartenden Folgen, wohlwollend und kritisch zugleich zu betrachten und daraus sinnvolle Folgen für das eigene Handeln zu ziehen. Folgende zwei Aufmerksamkeitsfokussierungen können hierzu hilfreich sein:

 

 

8. Aufmerksamkeitsfokus: Auf welchem Kurs bin ich gerade und wohin führt dieser Kurs mich eigentlich?

 

Mit dieser Frage schaue ich darauf, was ich gerade tue, mit welchen inneren Haltungen, Motiven, Werten, Gefühlen ich unterwegs bin und was wohl die zu erwartenden Folgen von all dem sein werden. Ich stelle mein eigenes Handeln, seine Beweggründe und Effekte auf den Prüfstand.

 

Falls ich bei Lichte betrachtet zu dem Schluss gelangen sollte, dass mit größerer Wahrscheinlichkeit für mich unerwünschte Folgen aus meinem Handeln resultieren werden, kann ich mich entschließen, den eingeschlagenen Kurs zu ändern.    

 

 

9. Aufmerksamkeitsfokus: Wie kann ich meinen Kurs so ändern, dass sich mit größerer Wahrscheinlichkeit bessere und angenehmere Folgen ergeben?

 

Um hier Ideen zu entwickeln, wie sich das bewerkstelligen lässt, kann ich dann wieder alle Strategien nutzen, die hier beschriebenen und ebenso alle anderen, die mir – bewusst oder ganz automatisch eingesetzt – helfen, Drive zu entfalten. Guter Drive, jedenfalls wenn er längerfristiger und auch in den kritischeren Momenten meines Daseins stattfinden soll, braucht ein beständiges Wechselspiel derartiger Strategien. Die Fokussierung der Aufmerksamkeit auf mein eigenes Tun und seine zu erwartenden Folgen ist ein unverzichtbarer Teil davon.

Über den Autor

Dr. Stefan Hölscher verbindet fundierte psychologische Erfahrung mit Klarheit und humorvoller Pointierungslust. Er liebt intensive Reflexion als Grundlage für kraftvolle Impulse: als Coach und Trainer ebenso wie als Autor und kreativer Geist.


Individuelle Beratung unter +49 69 9399677-0 oder info@metrionconsulting.de

Das Grundprinzip für Drive: Schätze, was da ist – was auch immer es ist. Nimm es an und geh davon aus, dass sich etwas Sinnvolles daraus machen lässt.

Dr. Stefan Hölscher - Partner, Metrion Management Consulting