15. April 2010

Coaching - Was ist das eigentlich?

Das Wort Coaching wird heutzutage insbesondere in Managementzusammenhängen so inflationär gebraucht, dass man gelegentlich den Eindruck bekommen könnte, dass es kaum eine Art von Gespräch zwischen zwei oder mehr Menschen gibt, das nicht in irgendeiner Hinsicht als Coaching bezeichnet werden könnte. Hier droht eine Begriffsverwässerung, die unter anderem die ungünstige Folge haben kann, dass sich auch das Verständnis für die Rolle, was es eigentlich heißt und ausmacht, als Coach tätig zu sein, verwässert.

Um dieses Verständnis zu schärfen, umreisst der Artikel in groben Zügen, was Coaching bedeutet. Zuerst wird dabei die Besonderheit von Coaching im Verhältnis zu anderen Beratungssituationen verdeutlicht. Anschließend werden innere Haltungen, Phasen, Aktivitäten und Kompetenzen für Coachingprozesse beschrieben. Zuletzt wird in Form eines kurzen Exkurses ein Blick auf die Situation geworfen, in der eine Führungskraft in die Rolle des Coachs geht. 

Zwei Arten von Beratung

Beim Stichwort Beratung haben viele Menschen folgendes Bild im Kopf: Ein Berater gibt einem Ratsuchenden zu einer bestimmten Fragestellung, für die er als Experte gilt, Hinweise und Empfehlungen, die dem Ratsuchenden helfen sollen, zu einer guten Einschätzung oder Lösung seiner Frage zu kommen. Beratung meint hier ein asymmetrisches Verhältnis: der Berater hat gegenüber dem Ratsuchenden einen deutlichen Wissensvorsprung zu dem jeweiligen Thema und dieser Wissensvorsprung bildet die Grundlage für das Handeln des Beraters und das Gewicht, das seine Einschätzungen für den Ratsuchenden bekommen können. Wenn wir unseren Steuerberater um die Beurteilung eines steuerlichen Sachverhalts bitten, wenn wir einen Juristen um die Bewertung einer rechtlichen Frage ersuchen, wenn wir die Einschätzung einer Immobilie bei einem Immobiliensachverständigen in Auftrag geben – in all solchen und ähnlichen Fällen entspricht Beratung maßgeblich dem Expertenmodell.

Daneben gibt es jedoch noch eine deutlich andere Art der Beratung, nämlich diejenige, bei der der Berater als hilfreicher Sparringspartner gefragt ist. Der Berater und sein Gegenüber begegnen sich auf gleicher Augenhöhe. In einer Art Dialog versucht der Berater sein Gegenüber zu unterstützen, für sich selbst die bestmögliche Klärung und Lösung in Bezug auf sein jeweiliges Anliegen zu entwickeln. Dabei arbeitet der Berater vor allem mit Zuhören, Fragenstellen, Feedbackgeben oder dem Anbieten bestimmter Sichtweisen und Perspektiven. Dies schließt nicht aus, dass er auch Hinweise, Empfehlungen, Lösungsmöglichkeiten und ähnliches formuliert. In aller Regel wird der Berater den Prozess aber stärker mit Zuhören und Fragen als mit Diagnosen und Ratschlägen gestalten, und sofern er Diagnosen und Ratschläge formuliert, so ist es doch immer der Zu-Beratende, der darüber entscheidet, welche Bedeutung er diesen Punkten nun geben und inwiefern er sie überhaupt nutzen oder nicht nutzen will.

Im Unterschied zur Expertenberatung, bei der es darum geht, dass der Ratsuchende mit einer möglichst geeigneten Fachexpertise für seine jeweilige Problemstellung versorgt wird, geht es bei der Beratung nach dem Sparrings­partnermodell darum, die eigenen Fähigkeiten des Zu-Beratenden für seine jeweiligen Zielstellungen bestmöglich zu aktivieren. Das Coachen von Menschen zu beruflichen und / oder privaten Themen ist prototypisch für Beratung dieser Art. 

Coaching: eine Definition

Coaching ist etwas anderes als die Beratung durch einen Viel-Wissenden, der einem Nicht-so-viel-Wissenden mehr oder weniger subtil zu verstehen gibt, was er tun sollte. Ganz schlicht gesagt ist Coaching eine Art Hilfe zur Selbsthilfe. Etwas spezifischer kann man das, was damit gemeint ist, so umschreiben:

Einen anderen Menschen zu coachen, bedeutet, ihn in einem dialogischen Reflexionsprozess in Bezug auf ein eigenes Anliegen so zu unterstützen, dass er in der Lage ist, für sich möglichst sinnvolle und stimmige Lösungen zu entwickeln.

Coaching ist ein dialogischer Prozess: die Gesprächspartner begegnen sich im Coaching auf gleicher Augenhöhe und es geht um ein intensives Sich-Einlassen des Coachs auf das Anliegen, die Ziele, die Situation, die Sichtweisen und die Fähigkeiten und Eigenheiten des Gecoachten: Präsens, Offenheit für den anderen, Wertschätzung, Respekt, Zuhören, Nachfragen, aber auch das Ansprechen eigener Eindrücke und Sichtweisen spielen hierfür eine wichtige Rolle.

Coaching ist ein Reflexionsprozess. Zu einem Coaching kommt es besonders in schwierigen oder konflikthaften Situationen oder angesichts neuartiger Anforderungen und Herausforderungen. All diese Situationen sind dadurch geprägt, dass Menschen mit ihren bisherigen Lösungsmustern und Gewohnheiten an Grenzen stoßen. Indem das Coaching dem Gecoachten helfen soll, mit seinen eigenen Fähigkeiten die jeweilige Situation möglichst gut zu meistern, erfordert es Reflexion: eine Reflexion bisheriger Annahmen, Werte und Einstellungen, eine Reflexion unterschiedlicher Sichtweisen und Perspektiven, eine Reflexion von Strategien, Lösungsoptionen und Umsetzungsschritten.

Coaching setzt ein eigenes Anliegen des Gecoachten voraus, genauer gesagt ein Anliegen der Art, wie sich der Gecoachte zu bestimmten Dingen, Personen, Situationen etc. am besten – innerlich und äußerlich – verhalten soll (im Unterschied zum Beispiel zu dem Wunsch, dass andere sich endlich mal anders bzw. „besser“ verhalten sollten oder dass das Gegenüber einfach nur sieht, wie „schlecht“ es einem geht oder wie „recht“ man hat). Natürlich kann man als Gesprächspartner – egal ob als Kollege, Chef, Freund, Familienmitglied, Partner, externer Coach –, wenn man bei seinem Gegenüber Coachingbedarf vermutet, versuchen, bei demjenigen ein Anliegen hervorzurufen oder zu konkretisieren. Wenn aber am Ende des Tages keinerlei eigenes Anliegen entsteht, so wird es kein Coaching geben. Natürlich kann man trotzdem auf vielerlei Weise miteinander reden, z.B. indem man dem anderen Einschätzungen oder Feedback gibt, indem man miteinander diskutiert oder indem man dem anderen eine Empfehlung oder eine Anweisung gibt etc. – all dies ist aber (noch) kein Coaching.  Ein Coaching setzt voraus, dass der Gecoachte in Hinblick auf sein eigenes Denken und Handeln etwas klären, verändern oder weiterentwickeln will.  

Coaching ist ein Unterstützungsprozess. Es geht darum, dem Gecoachten zu helfen, dass er mögliche eigene Blockaden überwindet und seine eigenen Fähigkeiten in für ihn bestmöglicher Weise für die infrage stehenden Ziele aktivieren kann. Damit ist Coaching eine Art von Dienstleistung. Die zentrale Instanz zur Einschätzung der Qualität des Coachings ist dementsprechend der Gecoachte. Wenn der Gecoachte das Coaching nicht hilfreich fand, dann war es das auch nicht – egal, wie der Coach es erlebt hat.

Im Coaching geht es darum, dass der Gecoachte in Hinblick auf sein Anliegen möglichst sinnvolle und stimmige Lösungen entwickelt. Nur wenn die anvisierten Lösungen dem Gecoachten sinnvoll und stimmig erscheinen, haben sie eine Chance auf ernsthafte Umsetzung. Stimmigkeit meint dabei allerdings zugleich auch, dass der Coach den Gecoachten unterstützt darauf zu achten, inwieweit die anvisierten Ideen und Lösungen in seinem Handlungsumfeld, d.h. in Bezug auf wichtige Rahmenbedingungen und die Erwartungen und Wünsche relevanter Dritter stimmig sind. Diese kontextbezogene Stimmigkeit ist die Voraussetzung dafür, dass die angestrebten Lösungen auch tragfähig sind.

Hilfreiche Haltungen als Coach

Um als Coach den Gecoachten möglichst effektiv in der Klärung und Lösung der mit seinem Anliegen verbundenen Ziele zu unterstützen, sind bestimmte innere Haltungen hilfreich. Zu diesen Haltungen gehören insbesondere:

  • Präsenz: dies meint, dass der Coach innerlich aufmerksam ist für sein Gegenüber und sein Anliegen, dass er mit all seinen Sinnen und seinen Fähigkeiten jetzt für sein Gegenüber zur Verfügung steht.
  • Wertschätzung: dies meint, dass der Coach sein Gegenüber als Person und in seiner Rolle wertschätzt und dass er ihn als gleichrangigen jederzeit mitbestimmungsfähigen Partner in dem Prozess betrachtet.
  • Respekt: dies meint, dass der Coach die Autonomie und Entscheidungshoheit des Anderen respektieret.  Durch seine Fragen, Eindrücke, Hypothesen, Ideen etc. kann der Coach seinem Gegenüber hilfreiche Angebote machen. Der Gecoachte entscheidet aber zuletzt für sich selbst, was er davon inwiefern nehmen und nutzen möchte (und was nicht).
  • Zielorientierung: dies meint, dass es dem Coach darum geht, mit seinem Gegenüber an möglichst klaren Zielen zu arbeiten. Oft ist es dabei ein wichtiger Teil des Prozesses die relevanten Ziele erst einmal zu identifizieren und zu konkretisieren. Und natürlich können auch weitere Ziele im Laufe des Prozesses zu den ursprünglichen hinzukommen bzw. es können sich Modifikationen von Zielen ergeben. Wesentlich ist dabei jeweils, dass der Coach mit seinem Gegenüber ein klares und gemeinsames Verständnis darüber herstellt, an welche Zielen die beiden mit welcher Priorität arbeiten, denn die jeweiligen Ziele bilden die wichtigste Orientierungsgröße für den Prozess und die Ergebnisse des Coachings.  
  • Erkundungslust: dies meint, dass der Coach versucht die besondere Situation seines Gegenübers, seine Sichtweisen und seine Strategien und Fähigkeiten im Umgang mit solchen Situationen möglichst gut zu verstehen. Diese Haltung ist geprägt von der Neugier, das Besondere und Einzigartige der jeweiligen Situation erkunden zu wollen. Die Haltung ist nicht „ich weiß“, sondern „ich möchte gemeinsam mit Dir näher hinschauen, um besser zu verstehen“.
  • Ressourcenorientierung: dies meint, dass der Coach die Fähigkeiten seines Gegenübers fokussiert und aktiviert. Seine Haltung ist, dass sogenannte Schwächen nur die Schattenseiten von Stärken sind und dass sein Gegenüber über jede Menge Potenziale verfügt, um seine Probleme zu lösen.
  • Konstruktivismus: dies meint, dass sich der Coach in seinem Denken und Handeln konsequent daran orientiert, dass alle Realität immer nur subjektiv wahrgenommen, erklärt und bewertet werden kann, dass sich also je nach Sichtweise andere Realitätsbeschreibungen ergeben und dass die Idee einer rein objektiven Wahrheit für die zu bearbeitenden Themen nicht hilfreich ist.
  • Multiperspektivität: dieser Punkt, der auf dem Konstruktivismus in gewisser Weise aufbaut, meint, dass der Coach verschiedene Perspektiven – zum Beispiel verschiedene mögliche Beschreibungs-, Erklärungs- oder Bewertungsweisen oder die Perspektiven der unterschiedlichen Beteiligten – aktiv ins Spiel bringt, um seinen Gesprächs­­partner zu unterstützen, neue Gesichtspunkte und dadurch auch mehr Handlungsoptionen zu gewinnen.
  • Engagement und Distanz: dies meint, dass der Coach sich für sein Gegenüber und sein Anliegen ernsthaft und mit all seinen Möglichkeiten einsetzt, dass er aber gleichzeitig auch Abstand zu meinem Gegenüber hat, um immer wieder auch andere Perspektiven und eine reflexive und metakommunikative Ebene einnehmen zu können. 
  • Vertrauen: dies meint, dass der Coach Vertrauen hat, und zwar in sich selbst – seine Wahrnehmungen und seine Kompetenzen –, in die Fähigkeit des Gecoachten, die ihn bewegenden Themen letztlich gut lösen zu können und in den gemeinsamen Prozess: nämlich das Vertrauen, dass der Prozess einen leiten kann, wenn man sich offen und intensiv auf ihn einlässt und dass es nicht schlimm ist, darin gelegentlich nicht perfekt zu reagieren, weil ohnehin jeder mal Fehler macht und weil sich das meiste, was passiert, obendrein auch noch sinnvoll nutzen lässt, jedenfalls dann, wenn man die folgende Haltung einnimmt:
  • Nutzen: dies meint, dass der Coach die Haltung hat, dasjenige, was passiert, anzunehmen und davon auszugehen, dass sich etwas Sinnvolles / Nützliches daraus machen lässt. Diese Haltung lässt sich für alles, was im Coaching geschieht, verwenden: für Phänomene, die gemeinhin als „Widerstand, Dagegenhalten, Mauern, Nicht-Einsehen-Wollen“ etc. bezeichnet werden ebenso wie für Einfälle, Empfindungen, Assoziationen, Impulse des Coaches und natürlich auch des Gecoachten, für sogenanntes Misslingen, Störungen, Fehler etc. Alles, was passiert, kann man zumindest dafür nutzen, um wichtige Hinweise auf Bedürfnisse, Wirkfaktoren oder Zusammenhänge zu bekommen oder um in anderer Weise etwas für den Prozess Produktives daraus zu lernen.

Nicht nur im Coaching, sondern ganz generell haben innere Haltungen deutliche Auswirkungen auf das, was passiert. Im Zweifel ist die innere Haltung für den Verlauf und das Ergebnis der Begegnung mit einem anderen Menschen wirksamer als jede eingesetzte Technik oder Rhetorik. Die innere Haltung prägt in hohem Maße, was beim anderen als Idee, Intention und Beziehungsangebot ankommt und entsprechend auch, wie er darauf reagiert. Als Coach, vor allem dann, wenn man diese Rolle aus einem professionellen Bezug heraus wahrnimmt, z.B. als coachende Führungskraft oder als externer Coach, ist es daher von zentraler Bedeutung, sich selbst immer wieder bewusst zu machen, ob bzw. inwieweit man die hilfreichen Haltungen in einer konkreten Coachingsituation tatsächlich einnimmt und was es einem gegebenenfalls gerade schwerer macht, dies zu tun.

Stößt man auf etwas in der Situation oder beim Gegenüber, was es einem erschwert, die eine oder andere der skizzierten Haltungen zu realisieren, so ist dies kein Beinbruch. Wichtig ist aber, es zu merken und wenn möglich, für den Prozess produktiv zu nutzen. Merkt man z.B., dass man auf seinen Gesprächspartner tendenziell gereizt reagiert (obwohl man ansonsten gut drauf‘ ist), so kann man versuchen dieses Gewahr-werden dafür zu nutzen, um besser zu verstehen, was vielleicht auch bei anderen eine ähnliche Reaktion in Hinblick auf dieses Gegenüber auslösen könnte. Außerdem lohnt es sich vielleicht noch genauer zu hinzuschauen, welche Stärken des anderen wohl mit den Verhaltensweisen, die man gerade als „nervig“ erlebt, verbunden sind, um diese Stärken für die Ziele des Coachings noch besser einsetzen zu können.

Phasen im Coaching

Coaching ist eines sicher nicht, nämlich ein linear durchgetakteter Prozess, bei dem man mechanisch bestimmte Stationen durchläuft. Nicht nur in Hinblick auf das jeweilige Gegenüber und sein Thema, sondern auch in Hinblick auf die damit zusammenhängende Gesprächs- und Prozessgestaltung ist Coaching spezifisch und individuell bezogen auf den jeweiligen Bedarf und den jeweiligen Handlungsrahmen: wie oft oder wie lange man miteinander spricht, in welchen Abständen Gespräche erfolgen, welche Sprachebenen oder – formen für die Gespräche besonders angemessen sind, wie der Redeanteil der Beteiligten oder der Anteil von Fragen, reinem Zuhören, Ideenformulieren etc. ist, wie oft oder wie intensiv man auf Erwartungen und Ziele zu sprechen kommt – dies alles und vieles mehr wird hochgradig variabel sein. Gleichwohl gibt es bestimmte Phasen, die sich, auch wenn sie in jedem einzelnen Coaching zeitlich, formal und inhaltlich anders gestalten, in aller Regel in jedem, zumindest in jedem professionellen Coachingprozess, wiederfinden lassen. Hierbei handelt es sich um folgende Phasen:

  1. Ziele und Auftrag klären

Für die Wirksamkeit eines Coachings ist es wesentlich, möglichst von Anfang an einen klaren gemeinsamen Zielbezug zu haben. Hierüber muss eine Verständigung hergestellt werden: Was sind die Ziele, um die es dem Gesprächspartner im Zusammenhang mit seinem Anliegen insgesamt geht, und welchen Beitrag soll und kann das Coaching zur Erreichung dieser Ziele leisten? Dies gilt es miteinander anzuschauen und so zu klären, dass eine möglichst tragfähige Basis für die Zusammenarbeit in der Coachingsituation entsteht. Je nachdem, wie klar, wie komplex, wie vernetzt oder ambivalent Wünsche und Zielvorstellungen des Gesprächspartners sind, wird diese Klärung mehr oder weniger viel Zeit in Anspruch nehmen.

Nicht selten sind auch Konstellationen, in denen der Gesprächspartner zwar Veränderungsbedarf in Hinblick auf eine bestimmte Situation wahrnimmt, die Veränderungsnotwendigkeit aber bei anderen sieht.Hier geht es dann zunächst darum zu schauen, ob sich im Zusammenhang mit der jeweiligen Situation ein Punkt finden lässt, der das Handeln des Gesprächspartners selbst betrifft und an dem dieser auch bereit ist im Coaching zu arbeiten. Wenn der Gesprächspartner beispielsweise der Ansicht ist, dass andere sich ihm gegenüber notorisch unangemessen verhalten, dann kann ein solcher Punkt darin bestehen, zu schauen, wie sich derjenige in Anbetracht solcher Phänomene so verhalten kann, dass für ihn möglichst zielführende Ergebnisse trotz des „unangemessenen Verhaltens der anderen“ zu erwarten sind.

Aus der Klärung der Ziele für das Coaching ergibt sich der Auftrag: Was soll das Coaching in welchem Rahmen (Zeit, Ort, Struktur …) und mit welchen Rollenverantwortlichkeiten der Beteiligten leisten? Oft ist es dabei nötig, auch im laufenden Prozess noch einmal Ziel- und Auftragsklärungs­schritte vorzunehmen, z.B. wenn Ziele sich modifizieren, neue Ziele hinzu kommen oder bisherige wegfallen, wenn Rahmenbedingungen sich ändern etc.

Ziel- und Auftragsklärung kann zu jedem Zeitpunkt in einem Coaching sinnvoll sein. Unbedingt erfolgen sollte sie am Anfang.

  1. Situation und Kontext erkunden

Um den Gesprächspartner in einem Coaching möglichst effektiv unterstützen zu können, ist es nötig, ein Bild von der jeweiligen Situation und ihrem Kontext zu bekommen. Dazu empfiehlt es sich, Fragen zu stellen: Fragen, die helfen besser zu verstehen, beispielsweise: wie der Gesprächspartner die jeweilige Situation erlebt, welche Probleme er sieht, welche Lösungsversuche er schon unternommen hat, welche Erfahrungen er dabei sammeln konnte, was sich als Strategie eher besser und was sich nicht so gut bewährt hat, wie der Gesprächspartner das Handeln anderer in der Situation erlebt, welche Annahmen er bezüglich des Handelns anderer sowie relevanter Handlungszusammenhänge hat, welche inneren Haltungen und Bewertungen bei ihm dazu wohl vorhanden sind etc.     

Die Auftragsklärungs- und die Erkundungsphase gehen dabei nicht selten –zumindest ein gutes Stück lang – Hand in Hand. Dies hat damit zu tun, dass es, um zu verstehen, was genau das Anliegen des Gegenübers ist und welche Ziele sich daraus für ihn ergeben, wichtig ist, erkundende Fragen zu stellen. Aber auch wenn der Auftrag für das Coaching (erst einmal) geklärt ist, ist es in aller Regel erforderlich, weitere Fragen zu Situations- und Kontexteinschätzungen zu stellen, um das Besondere der jeweiligen Situation besser zu verstehen und um die Chance zu erhöhen, geeignete Ansatzpunkte für gute Lösungen zu finden.

  1. Hypothesen und Ideen entwickeln

Auch diese Phase ist nicht strikt von den anderen zu trennen. Wenn man erkundende Fragen stellt, sind darin oft schon Hypothesen und Ideen vorhanden. Gleichwohl wird es, wenn man mehr über die Situation des Anderen erfahren hat, eher möglich sein, Hypothesen und Ideen zu entwickeln, zum Beispiel zur Wirkung bestimmter Handlungsweisen oder innerer Einstellungen, zur Wechselwirkung von Handlungen der jeweiligen Beteiligten, zu verschiedenen Sichtweisen und Bewertungen der besprochenen Phänomene, zu möglichen Ansatzpunkten und Vorgehensstrategien etc.

Auch wenn Fragen das wohl wichtigste und wirkungsmächtigste Instrument im Coaching sind und die Kunst des Coachens ganz wesentlich eine Kunst des Fragens ist, so ist es doch nicht nur legitim, sondern oft höchst förderlich, als Coach Hypothesen und Ideen zu entwickeln. Diese Hypothesen und Ideen können dem Gecoachten helfen, neue Sichtweisen auf die Dinge zu entwickeln und dadurch auch zu anderen / besseren Lösungen zu kommen. Entscheidend ist allerdings, dass man sich als Coach bewusst ist, dass man mit seinen Hypothesen und Ideen – so wie eigentlich mit allem, was man im Coaching tut – Angebote für den Gecoachten macht. Er entscheidet, ob und inwiefern er eines dieser Angebote aufgreifen und für sich weiterverfolgen möchte.

Das heißt, als Coach sollte man mit Blick auf die verbalen und die non-verbalen Reaktionen seines Gegenübers darauf achten, wie er auf die jeweiligen Angebote reagiert. Und wenn der Gesprächspartner wenig Interesse oder Begeisterung für ein bestimmtes Angebot zeigt, dann sollte man nicht darauf beharren. Alle Ideen und Hypothesen – auch die vom Coach – sind wirklich nur Ideen und Hypothesen und nicht der Weisheit letzter Schluss.

  1. Ansatzpunkte verdichten

In einem Coaching wird es für gewöhnlich nicht nur eine Phase von Erkundungsfragen und eine Phase der Hypothesen- und Ideenbildung geben. Hypothesen und Ideen, gerade auch solche, die für den Gesprächspartner interessant sind, führen zu weiteren Fragen und aus der Besprechung dieser Fragen ergeben sich veränderte oder spezifizierte Hypothesen und Ideen. Die Erkundungs- und die Hypothesen- und Ideenentwicklungsphase gehen also nicht nur stark ineinander über, sondern sie verlaufen auch schleifenförmig.

In einem guten Coachingprozess verdichten sich dabei bestimmte Punkte, die sich als besonders interessant und relevant herauskristallisieren. Diese Verdichtung, die zugleich eine Fokussierung auf mögliche Ansatzpunkte bedeutet, lässt sich als weitere Phase im Coachingprozess betrachten. Sie führt das Coachinggespräch näher an die Konkretisierung von Handlungsoptionen heran.   

  1. Vorgehensweisen planen

Aus der Verdichtung von Ansatzpunkten ergibt sich für gewöhnlich recht organisch die gemeinsame Entwicklung und Planung von Vorgehens­weisen: Wie könnte der Gecoachte in den für die Thematik relevanten Situationszusammenhängen sinnvollerweise vorgehen? Was sollte er weiter so machen wie bisher? Welche Verhaltensänderung wäre – zumindest als Experiment – sinnvoll? Worauf sollte der Gecoachte besonders achten, sei es bei sich (bestimmte innere Einstellungen, Bewertungen, Akzentuierungen etc.) oder bei anderen (direkte verbale oder non-verbale Reaktionen von anderen, wahrgenommene Bedürfnisse oder Erwartungen, unterschiedliche Verhaltensweisen in verschiedenen Rollen oder Kontexten etc.). Solche Vorgehensweisen gilt es miteinander zu besprechen, zu planen und zu konkretisieren. Dabei ist es wichtig auch immer mit zu berücksichtigen, was anvisierte Verhaltensänderungen oder –experimente unterstützen und was sie gegebenenfalls erschweren kann. Unterstützungsfaktoren – sei es durch den Gecoachten selbst oder aus seinem Umfeld – gilt es zu nutzen, Mögliche Erschwernisse – innerer oder äußerer Art – sollten realistisch betrachtet werden, was insbesondere auch einschließt, sich zu überlegen, wie ein erfolgversprechender Umgang damit aussehen kann.   

  1. Geplantes umsetzen

In aller Regel gehört die Phase der Umsetzung zwar in den Coachingprozess, aber nicht in das Coachinggespräch. Selbst wenn der Coach in Teilen bei der Umsetzung – etwa als Beobachter, als aktiv beteiligter Kollege oder Chef etc. – mit dabei sein sollte, so handelt es sich doch hier um einen eigenen, vom Coachinggespräch zu differenzierenden Part des Geschehens. Gleichzeitig ist die Umsetzungsphase von allergrößter Bedeutung. Man könnte sagen, sie ist im Grund genommen der wichtigste Teil des Ganzen; denn Coachinggespräche können zwar Reflexionsmöglichkeiten, Feedback, Handlungsimpulse oder auch Simulationen bieten, ob und inwieweit dies alles wirksam ist, zeigt sich aber letztlich nirgendwo anders als in der jeweiligen Praxis. Von daher verdient die Umsetzung anvisierter Vorhaben für den Gesamtcoachingprozess einen prominenten Stellenwert.

 

  1. Erfahrungen reflektieren

Was auf jeden Fall im Coachinggespräch passiert, ist die Reflexion bei der Umsetzung gemachter Erfahrungen, und zwar egal, welcher Art die Erfahrungen sind. Selbst wenn der Gecoachte gar nicht erst versucht hat bzw. dazu gekommen ist, etwas umzusetzen, braucht dies Reflexion. Ebenso, wenn gute Umsetzungserfahrungen vorliegen und natürlich auch dann, wenn etwas als schwierig erlebt wurde. Aus all dem, kann man jede Menge lernen: Wie kam es wohl dazu? Was hat gut bzw. nicht so gut oder gar nicht gepasst? Was war förderlich, was hinderlich? Was sollte wiederholt, was modifiziert, was vielleicht neu ausprobiert werden? Etc. Die Reflexion gemachter Umsetzungserfahrungen in einer zwischen zwei Coachinggesprächen liegenden Zeitspanne führt neben dem, was der Gecoachte möglicherweise auch sonst noch als Anliegen mitbringt, ganz  organisch zu einer neuen Auftrags- und Zielklärung und einem neuen Phasenkreislauf für die anstehende neue Gesprächsrunde.

Natürlich wird ein solcher Kreislauf nicht ewig wiederholt. Wenn die Hauptziele des Coachings erreicht sind oder wenn einer der beteiligten Gesprächspartner meint, dass durch das Coaching (gegenwärtig) kein signifikanter Mehrwert für die jeweiligen Themen zu erzielen ist, wird das Coaching beendet. Auch dies sollte – ähnlich wie die Auftragsklärung zu Beginn – im gemeinsamen Gespräch explizit und konsensual passieren. Dabei geht es um eine Würdigung des Erreichten und einen Ausblick auf die Gestaltung des Zukünftigen.

 

Aktivitäten als Coach

Vergegenwärtigt man sich, was Coaching als Beratungsform bedeutet, welche Phasen einen Coachingprozess ausmachen und welche inneren Haltungen für den Coach besonders wichtig sind, um sein Gegenüber möglichst gut unterstützen zu können, so wird schon deutlich, welche Handlungsweisen für einen Coach charakteristisch sind. Insbesondere sind dies die folgenden:

  • Zuhören

Zuhören ist von absolut grundlegender Bedeutung. Nur wer willens und in der Lage ist, aktiv und anteilnehmend zuzuhören, was der andere sagt, hat die Chance einen substanziellen Coachingprozess zu ermöglichen. Umgekehrt kann man sagen: Es ist immer wieder erstaunlich, welche Reflexions- und Gesprächsintensität allein eine hohe Qualität aktiven Zuhörens bewirken kann.

  •  Nachfragen

Fragen sind das Hauptinstrument des Coaches. Coaching lässt sich zu einem wesentlichen Teil als Kunst reflexionsanregenden Fragens betrachten. Dabei können grundsätzlich alle möglichen Fragen gestellt werden, auch scheinbar sehr schlichte Verständnisfragen und Rückkopplungsfragen („Habe ich Sie richtig verstanden, dass…?). Für das Finden von Fragen hilft die Haltung: „Ich weiß hierüber wenig, darf aber fragen, um mir ein besseres Bild machen zu können. Dabei gibt es jede Menge Wichtiges zu entdecken, so dass es sich lohnt, intensiver nachzufragen.“

Besonders hilfreich im Instrumentarium des Coaches sind Systemische Fragen, die sich darauf beziehen, wie einzelne Menschen oder Gruppen von Menschen wichtige Aspekte ihrer Welt sehen und wie sie aufgrund dieser Sichtweisen agieren und mit anderen interagieren. (siehe dazu auch vom gleichen Verfasser das Kapitel „Fragen“  in: Hölscher S., Reiber W., Pape, K. & Loehnert-Baldermann, E.: Die Kunst gemeinsam zu handeln. Soziale Prozesse professionell steuern. Springer Verlag, Berlin, und den Artikel: Systemische Fragen. Erschienen als Download der Metrion Management Consulting, Frankfurt a.M.). Klassische Systemische Fragen sind:

  • Einschätzungsfragen (Fragen zur Wirklichkeitskonstruktion)

Sie fragen nach subjektiven Sichtweisen in Bezug auf den aktuellen Zustand, den Verlauf, die Ursachen und Kontextbedingungen von Situationen (z.B. „Wie würden Sie die bisherige Projektentwicklung beschreiben? Was hat sich besonders gut, was hat sich nicht so gut entwickelt?“)

  • Operationalisierungsfragen

Diese Fragen zielen auf Indikatoren, d.h. sie eruieren, was in Hinblick auf einen behaupteten oder in Frage stehenden Sachverhalt wahrnehmbar und beobacht­bar ist (z.B. „Was tut Herr Schulz, so dass Sie sagen, er sei „ein falscher Fünfziger“? „Welche Indikatoren sehen Sie für Ihre Annahme, dass das bisherige Vorgehen zu großen Problemen führen wird?“).

 

  • Differenzierungsfragen

Differenzierungsfragen laden dazu ein, Ideen, Überzeugungen, Stimmungen, Konzepte etc. genauer zu unterscheiden und abzustufen. Genauere Differenzierungen lassen sich dabei etwa durch Fragen nach Prozenten, Skalenwerten, oder Klassifizierungen erreichen (z.B. „Was glauben Sie, zu wie viel Prozent erfüllen Sie derzeit die Erwartung Ihrer Kunden, schnell und zuverlässig beliefert zu werden?“ „Was ist Ihnen denn bezogen auf die Umsetzung Ihres Vorhabens nach Ihrer eigenen Einschätzung in den letzten Wochen besonders gut gelungen, was mittel gut und was vielleicht auch gar nicht gut?“).

 

  • Hypothetische Fragen (Fragen zur Möglichkeitskonstruktion)

Dies sind Fragen der Art: Was wäre, wenn...? Der Sinn solcher Fragen liegt darin, Wirkungszusammenhänge zu beleuchten und neue Handlungsoptionen zu eröffnen („Wenn die Probleme in den nächsten Monaten so bleiben, welche Auswirkungen wird das wohl auf die Beziehung zu den Kunden haben? Bei welchen Kunden bestünde die Gefahr, sie zu verlieren? Und wie würden wohl die anderen Kunden reagieren?“).

Wichtige Unterformen hypothetischer Fragen sind Verbesserungs- und Verschlimmerungsfragen.

  • Verbesserungsfragen und Wunderfragen

Verbesserungsfragen beziehen sich – ausgehend von dem, was bereits gut läuft bzw. in der Vergangenheit gut gelaufen ist – darauf, wie man die Dinge noch weiter verbessern und positiv entwickeln kann. Damit lenken sie die Aufmerksamkeit statt auf Defizite auf Ressourcen und positive Erfahrungen. Ein besonders interessanter Fragetyp in diesem Zusammenhang ist die sogenannte ‚Wunderfrage‘, die darauf zielt, wie der bestmögliche Zustand aussieht („Wie sieht für Sie der bestmögliche Zustand aus? Angenommen, alles liefe ‚wie am Schnürchen‘, so gut, wie Sie es sich nur vorstellen können: wie sähe die Situation dann aus? Was würden Sie dann konkret tun? Was die anderen Beteiligten? Was würden die anderen darüber sagen, was wahrnehmen und erleben?“).  

 

  • Verschlimmerungsfragen und Selbstmordfragen

Verschlimmerungsfragen beziehen sich darauf, wie man eine bestimmte – in der Regel schon als schwierig wahrgenommene – Situation weiter verschlechtern kann. Der Hauptpunkt dabei ist: das, was man verschlechtern kann, kann man ja offenbar beeinflussen, und d.h., man könnte es grundsätzlich auch verbessern. Eine spezielle Variante von Verschlimmerungs­fragen ist die Frage nach ‚systematischen Selbstmordstrategien‘, die danach fragt, wie man selbst dazu beitragen kann, dass die Sache (z.B. der neue Job, das Projekt, die Kundenbeziehung etc.) möglichst gründlich scheitert. Diese auf den ersten Blick seltsam anmutende Frage zielt nicht auf die Herbeiführung eines möglichst raschen desaströsen Endes, sondern darauf, diejenigen Bedingungen in den Blick zu bekommen, die für einen erfolgreichen Fortgang auf jeden Fall unverzichtbar sind – ähnlich wie die Luft zum Atmen („Was müssen Sie tun, damit die Situation bei diesem Kunden so eskaliert, dass er gar nicht mehr mit Ihnen spricht?“).

 

  • Zirkuläre Fragen

Zirkuläre Fragen sind Einladungen zum Perspektiven­wechsel. A fragt B nach seinen Vermutungen hinsichtlich der Wünsche, Gedanken, Handlungen etc. von C; dabei kann C grundsätzlich an- oder abwesend sein. In jedem Fall erfährt A etwas über B‘s Hypothesen (seine mentalen Modelle) zum Verhalten von C („Was glauben Sie, was Herr Müller von Ihnen erwartet?“).

 

  • Fragen zu Lösungsversuchen

Lösungsfragen dienen dem Zweck, herauszufinden, welche Lösungs­strategien in aktuellen oder auch in vergleichbaren früheren Situationen schon versucht worden sind und welche Erfahrungen damit ge­macht wurden („Welche Lösungsversuche haben Sie bisher schon unternommen? Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht? Was hat sich in Ihren Augen bewährt? Was hat sich als schwierig oder schädlich erwiesen?“).

 

Systemische Fragen insgesamt sind ein hervorragendes Mittel, um Reflexionsprozesse anzustoßen und zu vertiefen, andere Sichtweisen ins Spiel zu bringen und neue Handlungsoptionen zu generieren.

 

  • Feedback geben

Feedback ist ein anderer wesentlicher Teil im Coaching. Der Coach nutzt seine eigenen Eindrücke aus der Begegnung mit seinem Gesprächs­partner sowie dem Bild, das er aus dessen Schilderungen über sein Handeln in seinem alltäglichen Umfeld bekommt, um dem Gesprächspartner zu Verhaltensweisen und Verhaltensmustern, die für die im Coaching besprochene Themen relevant sind, Feedback zu geben. Der Coach gibt positives und kritisches Feedback gleichermaßen. Grundsätzlich ist der Blick dabei stärker auf das Positive gerichtet: auf Fähigkeiten, Stärken, engagierte Bemühungen, klare Positionierungen und Bedürfnisäußerungen etc. Hier gibt es bei jedem Gegenüber jede Menge Gutes zu entdecken, das gerade auch deswegen zu fokussieren wichtig ist, weil darin wichtige Ressourcen stecken, die der Gecoachte für eine produktive Handhabung der jeweiligen Themen nutzen kann.

 

Wenn der Coach kritischere Punkte im Feedback anspricht, so betrifft dies in aller Regel Verhaltensweisen seines Gegenübers, die nach Wahrnehmung des Coaches zu ungünstigen Folgen bezogen auf die eigentlichen Ziele des Gecoachten führen. Hilfreich für das Thematisieren solcher Punkte sind dabei besonders folgende Orientierungen für den Coach:

 

  • Das „Schlechte“ ist oft nichts anderes als des Guten zu viel, d.h. gute Eigenschaften führen, wenn sie überdehnt werden, zu kritischen Effekten,
  • Oft produzieren Menschen mit guten Absichten ungute Effekte. Dies kann für den Gecoachten ebenso in Betracht zu ziehen sein, wie für andere Personen aus seinem Umfeld.
  • Mit Hilfe der eigenen Stärken kann man in aller Regel auch solche Verhaltensweisen entwickeln, die vielleicht bisher bei einem noch etwas unterentwickelt waren.

 

Mit diesen Orientierungen kann der Coach auch potenziell kritische und bedenkenswerte Punkte im Verhalten seines Gegenübers ebenso klar wie wertschätzend ansprechen.

 

  • Konfrontieren

Mit Konfrontieren ist nicht gemeint, was man vielleicht assoziieren könnte: den anderen in brüsker oder gar geringschätziger Weise massiv anzugehen. Gemeint ist, die Deutlichkeit zu erhöhen, insbesondere von einem Feedback, der Einschätzung einer Situation oder der Einschätzung von Handlungsfolgen. Sinnvoll und manchmal auch nötig ist eine solche Deutlichkeitsverstärkung vor allem dann, wenn es dem Gesprächspartner sehr schwer fällt, sich mit bestimmten Wirkungen seines Tuns ernsthaft auseinanderzusetzen bzw. diese überhaupt  zur Kenntnis zu nehmen, so dass ein ‚herkömmliches‘ Feedback ihn diesbezüglich gar nicht erreicht. Wirksame Wege der Deutlichkeitsverstärkung sind:

 

  • Die humorvolle Überspitzung. Dabei werden die betreffenden Eindrücke mit Witz oder Absurdität überpointiert, so dass sie in ähnlicher Weise Aufmerksamkeit erlangen können wie ehemals die Worte des Hofnarren beim König.
  • Metaphern, Bilder und Geschichten. Diese Mittel können, wenn sie zur Situation passend gewählt sind, große Eindringlichkeit und Direktheit erzeugen, auch wenn sie zunächst indirekter erscheinen.
  • Die direkte Verstärkung, bei der die jeweiligen Punkte noch klarer, direkter und unverblümter angesprochen werden, was sich neudeutsch als „face reality“ bezeichnen lässt.

 

Unabhängig davon, welchen Weg der Deutlichkeitsverstärkung man wählt: Voraussetzung, um eine gute und konstruktive Wirkung erzielen zu können, ist in jedem Fall die Wertschätzung des Gegenübers verbunden mit der grundsätzlichen Zuversicht, dass er oder sie die angesprochenen kritischen Punkte besser als bisher zu lösen in der Lage ist.

  • Hypothesen bilden

Um neue Sichtweisen ins Spiel zu bringen und eine hilfreiche (Such-) Bewegung im Sinne der anvisierten Ziele zu unterstützen, bietet der Coach seinem Gegenüber in unterschiedlicher Weise Hypothesen an. Diese beziehen sich häufig auf:

 

  • Auswirkungen innerer Annahmen (Hypothesen, Bewertungen) auf das geäußerte Verhalten
  • Mögliche Zusammenhänge zwischen inneren Einstellungen und Interaktionsverläufen (z.B. zwischen der Haltung „da kommt nichts Gutes bei raus“ und ihren Auswirkungen auf die jeweilige Situation)
  • Mögliche Wechselwirkungen zwischen den Handlungsweisen der verschiedenen Beteiligten
  • Mögliche Verhaltens- und Interaktionsmuster und ihre Auswirkungen

 

Alle Hypothesenbildungen des Coaches sind Angebote. Wenn der Gecoachte energievoll darauf reagiert, kann man sie weiterverfolgen, wenn nicht, sollte man gemeinsam weiterschauen, z.B. indem man neue Fragen stellt.   

 

  • Handlungsideen entwickeln

Der Fokus im Coaching wird darauf liegen, den Gecoachten durch aktives Zuhören, Fragen, Feedbackgeben, Hypothesenbilden etc. darin zu unterstützen, für sich selbst geeignete neue oder schon praktizierte Handlungsideen (weiter-) zu entwickeln. Dies schließt aber nicht aus, dass auch der Coach von seiner Seite aus Handlungsideen formuliert, z.B. auf Basis seiner Erfahrungen oder als Weiterdenken von Punkten, die der Gecoachte selbst schon angesprochen hat.

Ein gutes Mittel, um mit dem Gecoachten Handlungsideen näher zu betrachten sind hypothetische Fragen. Diese Fragen erlauben es intensiver in Szenarien reinzugehen, wobei klar ist, dass das Ganze zumindest erst einmal rein hypothetisch passiert. (Achten sollte man als Coach in diesem Zusammenhang allerdings darauf, dass man hypothetische Fragen nicht benutzt, um den Gecoachten in bestimmter Weise zu manipulieren. Wichtig für den Coach ist die innere Haltung: Ein Szenario ist eine denkbare Möglichkeit. Wir wollen es uns anschauen, aber auch wenn es mir jetzt gerade sehr plausibel erscheint, vielleicht passen andere Szenarien noch besser. Und vor allem muss es zuletzt auch gar nicht für mich, sondern für mein Gegenüber passen.“)     

  • Vorgehensweisen planen

Der Coach unterstützt seinen Gesprächspartner darin, möglichst geeignete Handlungspläne für seine alltägliche Praxis zu entwickeln. Eine wichtige Aufgabe des Coachs besteht in diesem Zusammenhang darin, mit seinem Gegenüber auf eine möglichst gute Realitätspassung zu achten. Durch Nachfragen zu möglichen Auswirkungen von anvisierten Strategien und Vorgehensweisen sowohl auf den Gecoachten selbst wie auch auf relevante Dritte in seinem Umfeld versucht der Coach sein Gegenüber darin zu unterstützen, möglichst kontexttaugliche Vorhaben zu planen. Außerdem achtet der Coach auf einen guten Level an Konkretisierung, so dass die Vorhaben greifbar und operationalisierbar werden („Was tun Sie, wenn Sie das tun? Worin würde der erste Schritt für Sie bestehen? Worin der zweite …?“). Schließlich wird der Coach auch darauf schauen, dass die anvisierten Vorhaben einen angemessenen Herausforderungsgrad haben, dass sie den Gecoachten also nicht überfordern, aber ebenso auch nicht unterfordern. Handlungsvorhaben dürfen spannend und herausfordernd sein, aber sie sollten den Gecoachten weder frustrieren noch langweilen.

  • Metakommunizieren

Metakommunikation im Sinne des Einnehmens einer höheren Betrachtungsebene zu dem, was passiert, hat im Coaching einen nicht zu unterschätzenden Stellenwert. Der Coach kann Metakommunikation nutzen, um mit seinem Gegenüber in wertschätzender und klarer Weise darüber ins Gespräch zu kommen, was ihm an den Reaktionen und Verhaltensweisen seines Gegenübers auffällt. Er wird dies vor allem dann tun, wenn sich eine solche Thematisierung für die zentralen Fragen und Ziele des Coachings nutzen lässt. Gleichzeitig kann der Coach auch bei der Besprechung von Situationen aus der Praxis des Gecoachten zwischendurch eine Metaperspketive einnehmen, um von einer anderen Reflexionsebene aus das Geschehen zu betrachten und so neue Sichtweisen und neue Ideen anzustoßen. Dadurch hilft der Coach dem Gecoachten auch, für sich selbst einen inneren Ebenenwechsel besser und leichter vornehmen zu können.

Coachingthemen sind häufig dadurch gekennzeichnet, dass es sich bei ihnen um Themen handelt, bei denen für den Gecoachten die Gefahr besteht, einen guten Abstand zum Geschehen zu verlieren, so dass er impulsiv-reflexhaft, einseitig oder wie gelähmt reagiert. Je besser man lernt, in solchen Situationen für sich selbst eine innere Beobachter-, also Metaperspektive aufzubauen, umso besser werden die Chancen mit der jeweiligen Situation differenziert und zielorientiert umgehen zu können. Der Coach wird seinen Gesprächspartner daher auch dabei aktiv unterstützen, das Aufbauen einer guten Metaperspektive für die infrage stehenden Situationen (noch) besser für sich selbst zu erlernen. Und hierzu kann der Coach durch sein eigenes Vorgehen einerseits als Modell fungieren, und andererseits kann er dem Gecoachten konkrete Hinweise geben, wie er für sich eine gute Metaperspektive etabliert (z.B. indem er sich fragt, worum es ihm in der jeweiligen Situation eigentlich geht, indem er verschiedene Mitglieder in seinem inneren Team unterscheidet und von einer höheren Warte aus koordiniert oder indem er sich selbst bestimmte Emotionen und Handlungsimpulse nachsieht – sie also als vorhanden akzeptiert – ohne ihnen dadurch automatisch nachgehen zu müssen).

Nicht zuletzt wird der Coach Metakommunikation auch dafür nutzen, um mit seinem Gegenüber über den bisherigen Coachingprozess, die Art der Zusammenarbeit und das bislang Erreichte zu reflektieren.

  • Lernerfahrungen reflektieren  

Der Coach wird mit seinem Gesprächspartner Erfahrungen, die dieser im Zusammenhang mit den zu besprechenden Themen zwischen den Coachinggesprächen erlebt hat, reflektieren. Dabei ist die Hauptzielrichtung immer, zu schauen wie man diese Erfahrungen nutzen und was man aus ihnen lernen kann. Und dafür kann man grundsätzlich alle Erfahrungen betrachten: solche, bei denen dem Gecoachten aus seiner Wahrnehmung heraus etwas gelungen ist, genauso wie schwierige Erfahrungen oder einfach interessante Beobachtungen und Entdeckungen. Aus den (Lern-)Erfahrungen ergeben sich oft zugleich wichtige Ansatzpunkte für die Themen und Ziele des aktuellen Gesprächs.

  

Die skizzierten Aktivitäten stellen wesentliche Aktivitäten für einen Coach dar. Dies schließt selbstverständlich nicht aus, dass in einer konkreten Situation auch noch andere Formen von Aktivitäten für die Erreichung der Ziele eines Coachings sinnvoll sein können. Professionelles Coaching ist in hohem Maße situativ flexibel und bedarfsangepasst. Dies bedeutet auch: die skizzierten Aktivitäten folgen nicht einem bestimmten Ablaufschema. Auch wenn sich – so wie oben dargestellt – in grober Weise typische Phasen eines Coachingprozesses differenzieren lassen: die Kunst des Coachens besteht gerade darin, ein Gefühl dafür zu haben, was jetzt am besten passen und weiterhelfen könnte. Von daher können die beschriebenen Aktivitäten miteinander in bunter Mixtur geschehen. Jede kann mit jeder vernetzt sein. Jede kann auf jede folgen, und jede kann in jedem Teil des Prozesses wichtig sein.  

Coaching-Kompetenzen

Welche Kompetenzen braucht ein guter Coach? Ein wesentlicher Teil der Antwort auf diese Frage liegt in den skizzierten Aktivitäten, denn man kann sagen, die Kompetenz für jede dieser Aktivitäten stellt eine wichtige Coachingkompetenz dar. Das heißt, produktiv zuhören, nachfragen, Feedback geben, (in dem beschriebenen Sinn) konfrontieren, Hypothesen bilden, Handlungsideen entwickeln, Vorgehensweisen planen, metakommunizieren und Lernerfahrungen reflektieren zu können – all dies sind zentrale Coachingkompetenzen.

Daneben – aber man kann auch sagen direkt verbunden damit – braucht ein Coach eine gute Wahrnehmung: eine gute Selbstwahrnehmung und eine gute und einfühlsame Wahrnehmung von anderen und von Interaktionssituationen.

Insbesondere braucht ein guter Coach ein gutes Gespür für die Gestaltung von Dramaturgie, Rhythmus und Timing – mit anderen Worten die Kompetenz der bedarfsorientierten Prozessgestaltung: was ist wann wohl in welcher Art und Weise besonders erfolgversprechend? Was braucht Tempo, was Entschleunigung? Was braucht Ausführlichkeit, was Kürze? Was braucht Reflexion, was Ausprobieren und Üben? Was braucht Direktheit, was eher andere Wege der Kommunikation (Bilder, Metaphern, Geschichten etc.). Was braucht es jetzt, was später? Um welche Balance geht es gerade, und wie könnte sie sich wohl am besten gestalten lassen? Wo steckt wie viel Energie und was lässt sich daraus sinnvolles machen? Die Kunst des Coachens ist ganz wesentlich die Kunst des Gespürs für den Prozess. Und die hat natürlich viel mit Wahrnehmung zu tun, aber auch mit Training, Erfahrung, Vertrauen und Präsens.

Ein Coach sollte über eine gute Selbstreflexions- und Selbststeuerungsfähigkeit verfügen. Eigene Emotionen, eigene Konflikte, Schwierigkeiten, Blockaden und Krisen produktiv reflektieren und gestalten zu können, macht es in jeder Hinsicht leichter, auch andere Menschen in schwierigen Situationen eine zielführende Unterstützung geben zu können.

Hilfreich für einen guten Coach sind auch allgemeine psychologische Kompetenzen: insbesondere Kenntnisse in Persönlichkeitspsychologie, Wahrnehmungs­psychologie sowie Kenntnisse in der Psychologie von Gruppen und Organisationen.

Darüber hinaus sind spezifische Kompetenzen in einigen der etablierten Beratungsansätze hilfreich. Klientenzentrierte Gesprächsführung nach Rogers, Kognitive Verhaltenstherapie, Gestalt- oder Hypnotherapeutische Ansätze, Transaktionsanalyse, provokative Verfahren, NLP etc. –  in zumindest dem einen oder anderen dieser Ansätze sollte ein Coach, der diese Rolle professionell ausübt, bewandert sein. Ganz besonders zentral sind dabei Kompetenzen in Systemischen Beratungsansätzen, die gerade dann, wenn es um die Betrachtung individuellen Handelns im Zusammenspiel mit Anderen geht, einen enormen Fundus von Möglichkeiten zur Einschätzung und produktiven Gestaltung herausfordernder Situationen bieten.

Ein guter Coach muss kein Experte sein für das, was sein Gegenüber tut. Manchmal ist es sogar eher hinderlich, allzu viel Wissen über das Metier des Anderen zu haben. Dies verleitet schnell Expertenratschläge geben zu wollen und wird so ist für Coachingprozesse oft zur Falle. Nichtsdestotrotz: hilfreich ist, Feldkenntnisse mitzubringen. Mit eigenen Erfahrungen im Management, mit Kenntnis einer bestimmten Branche oder Organisation, mit Erfahrungen in der jeweiligen Kultur etc. tut man sich leichter, bei einem entsprechenden Gegenüber eine gute Ankopplung herzustellen und typische Phänomene und Zusammenhänge verstehen und einordnen zu können.  

Handwerk oder Kunst?

Ist Coaching nun ein Handwerk oder eine Kunst? Wie in den meisten anderen Fällen, in denen diese Frage gestellt wird, ist die Antwort: sowohl als auch. Coaching ist ein Handwerk, das man durch viel Training, methodische Ausbildung, Praxis und Erfahrung immer besser lernen kann. Und es ist zugleich eine Kunst. Aber auch wenn man als Coach mehr und mehr einen Level erreicht, auf dem die Kunst des Coachens spürbar wird, so bleibt es doch zugleich immer auch Handwerk.

Um dieses Handwerk zu erlernen, braucht es keine genialen Gaben. Hilfreich ist eine gute Portion emotionale und soziale Intelligenz, die Fähigkeit zur (Selbst-) Reflexion, die Bereitschaft, die oben skizzierten Grundhaltungen einzunehmen (wie Präsens, Wertschätzung, Respekt, Zielorientierung etc.), die Bereitschaft das Handwerk des Coachens methodisch zu erlernen sowie nicht zuletzt das Interesse daran, anderen Menschen als Sparringspartner in persönlich herausfordernden Situationen engagiert zur Verfügung zu stehen. Der Rest kommt fast wie von selbst...

Exkurs: Die Führungskraft in der Rolle des Coachs

Zu den Herausforderungen im Leben einer Führungskraft gehört es, in sehr verschiedenen Rollen unterwegs zu sein: als Stratege, Rahmensetzender, Koordinierender, Moderierender, Anweisender, Beurteilender, Unterstützer, Sparringspartner, Kontrollierender etc. Klar ist, dass viele dieser Rollen in struktureller Hinsicht gerade ein nicht-symmetrisches Verhältnis zwischen Chef und Mitarbeiter bedeuten. Der Chef, der eine Anweisung gibt, der den Rahmen vorgibt oder etwas kontrolliert, wird in aller Regel als aus einer asymmetrischen Rollenbeziehung heraus handelnd erlebt. Diese strukturelle Asymmetrie macht das Chef-Mitarbeiter-Verhältnis im Kern ja überhaupt aus. Klar ist also, dass die strukturelle Grundsituation zwischen Chef und Mitarbeiter gerade keine Begegnung auf gleicher Augenhöhe ist. Und diesen Umstand werden Mitarbeiter wie Chefs in aller Regel auch niemals völlig vergessen – wobei man hinzufügen kann: dies ist im Sinne der Rollenklarheit auch gut so.

In Hinblick auf die Führungskraft in der Rolle des Coachs bedeutet das nun zweierlei: Zum einen wird es zwischen Chef und Mitarbeiter innerhalb der beruflichen Rolleninteraktionen niemals 100%ig gelingen, auf gleiche Augenhöhe zu kommen. Hier ist nur eine Annäherung möglich. Für ein sinnvolles Coaching ist das allerdings auch schon genug, jedenfalls dann, wenn so ein partnerschaftlicher Dialog- und Reflexionsprozess, wie er für Coaching wesentlich ist, ermöglicht wird. Zum anderen müssen Voraussetzungen geschaffen werden, damit eine möglichst partnerschaftliche Begegnung zwischen Chef und Mitarbeiter überhaupt stattfinden kann.

Die Voraussetzungen hierfür sind zunächst allgemeiner Natur. Sie haben viel mit der jeweiligen Führungs- und Teamkultur zu tun. Alles, was eine eher partner­schaftliche Kultur fördert, kommt auch der Ermöglichung von Coaching zu Gute, zum Beispiel: wenn Feedback auch im Alltag – positiv und kritisch – sowohl vom Chef zum Mitarbeiter wie auch vom Mitarbeiter zum Chef erfolgt; wenn auch der Chef, aber natürlich ebenso die Teammitglieder in der Lage sind, ehrlich zu sagen, wo sie an Grenzen stoßen, was sie nicht wissen oder nicht können und sich dabei ratsuchend an andere Teammitglieder wenden; wenn man tatsächlich auf offene Ohren und Unterstützung für eigene Anliegen rechnen kann; wenn eine Kommunikations­kultur besteht, in der man miteinander etwas ernsthaft zu erkunden vermag, ohne dass es darum geht, wer recht oder unrecht hat; wenn man auch in Konflikten in der Lage ist, fair und konstruktiv miteinander umzugehen etc. Je mehr solche Voraussetzungen in einem Team vorhanden sind, desto eher werden auch produktive Coachinggespräche möglich sein. Coaching ist dann gar nicht mehr so etwas Besonderes, weil ohnehin eine partnerschaftliche Atmosphäre besteht, aus der heraus man über einzelne Themen auch intensiver miteinander in einen unterstützenden Reflexionsprozess gehen kann. Ob man einen solchen Prozess dann „Coaching“ oder anders oder gar nicht besonders benennt, ist zweitrangig. Wichtig ist allerdings auch in einer gut funktionierenden partnerschaftlichen Teamkultur, dass der Chef, der angesichts eines bestimmten Themas in die Rolle des Coachs gehen möchte, sich der Besonderheiten dieser Rolle wohl bewusst ist.  

Ein klares Bewusstsein für die Rolle als Coach zu haben, ist generell wichtig. Für die coachende Führungskraft gilt dies jedoch ganz besonders, da es hier vielleicht einige Fallen mehr gibt. Wenn etwa der coachende Chef auch inhaltlich gut bewandert ist in dem, was sein Gegenüber tut, kann es sein, dass der Chef aufgrund dieser Expertise in nicht wenigen Situationen recht schnell zu wissen meint, ‚wie der Hase läuft‘ und was zu tun ist, um ihn zu fangen. Und hierin liegen mindestens gleich zwei Fallen: die eine ist, zu wenig zu erkunden und damit die spezifische Situation des Mitarbeiters gar nicht angemessen zu verstehen; die andere ist, dass, auch wenn ein eher partnerschaftliches Chef-Mitarbeiter-Verhältnis besteht, der Mitarbeiter denkt, er solle nun in den Augen des Chefs dies-und-das tun, auch wenn das für ihn vielleicht gar nicht sehr stimmig ist.

Der coachende Chef sollte also ganz besonders darauf achten, intensiv zu erkunden und immer wieder zu schauen, ob bzw. inwieweit eine von ihm vorgebrachte Idee für den Mitarbeiter selbst passend ist. Natürlich wird es auch Situationen geben, in denen der Chef der klaren Überzeugung ist, dass die Sache so-und-so zu geschehen habe, auch wenn der Mitarbeiter dies anders sieht. Sofern der Chef aber in einem solchen Fall früher oder später zur Ansage oder doch einer starken Empfehlung übergeht, sollte er sich bewusst sein, dass er zumindest jetzt gerade in einer anderen Rolle als der des Coaches agiert. Dies zu tun, ist natürlich nicht illegitim. Da der coachende Chef seinen Mitarbeiter immer vor dem Hintergrund seiner jeweiligen Ziele coachen wird (es sei denn er begegnet seinem Gegenüber als Privatperson), kann er schneller in den Wechsel zu deutlich asymmetrischen Rollenverhältnissen hineingeraten als etwa ein coachender Kollege, Freund, Lebenspartner oder ein externer Coach. Umso wichtiger ist, dass der Chef dies bewusst tut; und bewusst heißt hier zum einen, dass er sich einen solchen Schritt in einer Coachingsituation per se unter Abwägung des Für und Wider gut überlegt (denn natürlich wird er, wenn Mitarbeiter wiederholt ein vermeintliches Coachinggespräch als Abfolge von Ansagen erleben, längerfristig einen Preis dafür zahlen, z.B. in Hinblick auf eine eingeschränkte Offenheit und ein mehr taktisches Vorgehen seiner Mitarbeiter). Mit dem Wechsel aus der Rolle des Coaches in eine andere Führungsrolle hinein bewusst umgehen heißt zum anderen aber auch, dass der Chef einen solchen Rollenwechsel transparent machen sollte – sowohl den Umstand, dass, als auch das Warum. Wenn der Chef hier sauber und fair agiert, kann er als Coach für den Mitarbeiter weiterhin wirksam bleiben.

Sehr bewusst umgehen sollte der Chef ebenso mit der Frage, in welchen Situationen er als Coach gegenüber seinen Mitarbeitern tätig werden will. Und auch dies impliziert zweierlei: erstens, dass der Chef ein Bild davon hat, was typische Coachingthemen und –situationen in seinem Führungsbereich überhaupt sind, und zweitens, dass er ein Bild davon hat, wann er selbst in die Rolle des Coaches gehen will – im Unterschied dazu, dass er das Coaching an jemand anders delegiert, z.B. einen direkten Kollegen des Mitarbeiters, einen anderen Kollegen aus der Organisation oder einen externen Coach. Die Bewusstheit dieser Entscheidung ist nicht nur wegen der Implikationen der Rolle als Coach wichtig, sondern auch in Hinblick auf die Frage, wer zu dem jeweiligen Thema wohl voraussichtlich der geeignetste Gesprächspartner wäre und natürlich auch in Hinblick auf handfeste Ressourcenfragen, z.B. wie viel Zeit der Chef diesem Thema selbst widmen kann und möchte.

Wenn sich der Chef entscheidet, einen Mitarbeiter zu einem bestimmten Thema coachen zu wollen, dann ist es natürlich gut, wenn der Mitarbeiter das auch entsprechend sieht, dass er nämlich zu einem bestimmten Thema Coachingbedarf hat und dass sein Chef zur Klärung dieses Themas ein guter Gesprächspartner ist. Idealerweise kommt der Mitarbeiter diesbezüglich sogar auf den Chef zu. Wenn andererseits zwar der Chef denkt, dass der Mitarbeiter Coachingbedarf hat (z.B. findet der Chef den Umgang dieses Mitarbeiters mit Kunden, seine Strukturiertheit oder sein Führungs- oder Kooperationsverhalten verbesserungs­bedürftig), der Mitarbeiter dies aber nicht so sieht, liegt eine andere Ausgangssituation vor. In diesem Fall müsste der Chef erst einmal ein – oder auch mehr als ein – Gespräch führen, um zu versuchen, mit dem Mitarbeiter eine hinreichend ähnliche Situations- und Bedarfseinschätzung herzustellen. In dieser Phase helfen für eine produktive Gesprächsführung dann zwar auch Coachinghaltungen und –methoden, z.B. Zuhören, Fragen, Feedback geben, gegebenenfalls Konfrontieren, Hypothesen entwickeln etc.; gleichwohl ist ein solches Gespräch noch kein Coaching im engeren Sinn, sondern der Versuch, die Bedingungen für ein Coaching herzustellen.

Für ein Coaching braucht es ein Anliegen des Gecoachten der Art „wie gehe ich um mit …?“. Wenn ein solches in Hinblick auf die auch für den Chef relevante Thematik entsteht, kann das Coaching starten. Falls es andererseits trotz aller redlichen Bemühung des Chefs nicht entstehen sollte, dann hat der Chef natürlich immer noch diverse Möglichkeiten, wie er nun mit dieser Situation umgehen möchte; und zumindest einige davon werden abermals mit Gesprächen mit dem Mitarbeiter zu tun haben; zu einem Coaching ist es aber dann nicht gekommen. 

Was ist das Fazit von alledem? Chefs können sehr wohl ihre Mitarbeiter coachen. Und gutes Chef-Mitarbeiter-Coaching kann für alle Beteiligten gewinnbringend sein. Der Chef sollte mit Coaching­situationen und seiner Rolle darin, allerdings besonders bewusst und transparent umgehen; denn Unheil lauert nicht in der Coachingsituation mit dem Mitarbeiter an sich, sondern in den Effekten von Rollenunklarheit und Rollenvermischung. Gerade weil Chefs gegenüber ihren Mitarbeitern in so unterschiedlichen Rollen unterwegs sind, braucht es ein umso deutlicheres Rollenbewusstsein. Dies muss nicht Anspannung oder Künstlichkeit mit sich bringen. Wenn eine partnerschaftliche Teamkultur besteht, ist Coaching auch zwischen Chef und Mitarbeiter oft organisch möglich. Das Beste was der Chef zur Entwicklung einer Coachingkultur tun kann, ist daher alles, was ein kooperativ-partnerschaftliches Miteinander in seinem Team stärkt.   

Literaturverzeichnis

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Fischer-Epe, M.: Coaching: Miteinander Ziele erreichen. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt

Gordon, Th.: Manager-Konferenz. Effektives Führungstraining. München: Heyne

Hölscher, S.: Strategien für ein Leben mit Drive. Vorabpublikation  aus dem 2011  von  Stefan  Hölscher  im Junfermann Verlag erscheinenden Buch: Leben mit Drive. Erschienen als Skript der Metrion Management Consulting, Frankfurt a.M.

Hölscher S., Reiber W., Pape, K. & Loehnert-Baldermann, E.: Die Kunst gemeinsam zu handeln. Soziale Prozesse professionell steuern. Berlin: Springer Verlag

Hölscher, S.: Systemische Fragen. Erschienen als Skript der Metrion Management Consulting, Frankfurt a.M.

Hölscher, S.: Stresskreisläufe. Zur Wahrnehmung und Auflösung problem­verstärkender Systemdynamiken. Erschienen als E-Book unter www.active-books.de  im Junfermann  Verlag, Paderborn

Malik, F.: Führen, Leisten, Leben. Wirksames Management für eine neue Zeit. München: Heyne

Migge, B.: Handbuch Coaching und Beratung. Weinheim: Beltz

Mücke, K.: Systemische Beratung und Psychotherapie. Ein pragmatischer Ansatz. Berlin: Ökosysteme Verlag

Schulz von Thun, F.: Miteinander reden. Teil 1-3. Kommunikation für Führungskräfte. Reinbeck: rororo

Von Schlippe, A. & Schweitzer, J.: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht

Über den Autor

Dr. Stefan Hölscher verbindet fundierte psychologische Erfahrung mit Klarheit und humorvoller Pointierungslust. Er liebt intensive Reflexion als Grundlage für kraftvolle Impulse: als Coach und Trainer ebenso wie als Autor und kreativer Geist.


Individuelle Beratung unter +49 69 9399677-0 oder info@metrionconsulting.de

Kein Coachinggespräch gleicht dem anderen. Effektives Coaching erfordert in jedem Moment situatives, nicht schematisches Agieren und Reagieren.

Dr. Stefan Hölscher - Partner, Metrion Management Consulting