Wenn Improvisationstheater-Schauspieler auf die Bühne gehen, haben sie auf den ersten Blick nicht viel bei sich: es ist kein Bühnenbild zu sehen, meist tragen sie kein besonderes Kostüm und vor allem haben sie keinen vorbereiteten Text. Was sie mit auf die Bühne nehmen, ist einzig die Bereitschaft, im Moment zu agieren.
Beim Improvisationstheater werden die Geschichten und Charaktere im Zusammenspiel der Schauspieler auf der Bühne entwickelt. Dazu meist das Publikum das Thema der Szenen, legt fest, wo die Geschichte spielt oder auch, welche Wendung das Geschehen beeinflusst. Im Vorhinein kann also kein Drehbuch geschrieben werden, die Geschichten entstehen erst auf der Bühne.
Die Schauspieler sind darin geübt, vielschichtige Situationen zu überblicken, schnell Entscheidungen zu treffen und das Agieren der Mitspieler einzuschätzen. Diese im Theater spielerisch angewandten Kompetenzen zeigen klare Parallelen zum Geschäftsleben auf, denn auch hier ist es wichtig, auf unerwartete Ideen eines Kunden oder anderer Gesprächpartner eingehen zu können bzw. in unübersichtlichen Situationen den Überblick zu behalten.
Die grundlegenden Prinzipien des Improvisationstheaters eignen sich also auch dazu, Kommunikationssituationen im beruflichen Kontext zu betrachten und die kreativen Potentiale im Alltag zu steigern.
Der britische Theaterautor, Regisseur und Schauspiellehrer Keith Johnstone (geb. 1933) gilt als Vater des Improvisationstheaters, wie es heute größtenteils praktiziert wird. Nach Johnstone’s Verständnis sind die Spielideen im Menschen schon vorhanden, es ist nur wichtig, die Einfälle zuzulassen ohne nachzudenken. Hier geht es darum, die eigenen kreativen Potentiale, die eigenen Gedanken nicht direkt als zu profan oder als zu langweilig zu bewerten, sondern sie einzusetzen. Oft ist es gerade die Suche nach der „allerwitzigsten“ Pointe oder dem allerbesten Opener für eine Präsentation, welche die eigene Spontaneität hemmt.
Das Vertrauen in den ersten Gedanken öffnet den Zugang zur eigenen spontanen Kreativität, allerdings bedarf es einiger Regeln und Prinzipien, um diese bestmöglich zu nutzen. Nur durch eine gewisse Lenkung können aus dem Nichts heraus schlüssige und zielgerichtete Geschichten entstehen.
Grundpfeiler des Improvisationstheaters:
- Vertraue dem, was Du tust!
Ein wichtiges dieser Prinzipien ist entsprechend der Maxime von Johnstone, den ersten Gedanken anzunehmen und ihn gut zu heißen. Auf der Bühne gibt es unendlich viele Möglichkeiten, eine Szene beispielsweise zu eröffnen. Was zählt, ist, sich für eine dieser Möglichkeiten, die im Augenblick alle gleich gut oder gleich schlecht sind, zu entscheiden. Bestimmend für die Qualität der Szene ist es, der getroffenen Entscheidung zu vertrauen und in dieser Haltung zu spielen. Anstatt zu hadern und zu zweifeln: handeln. Die Spielidee muss klar kommuniziert werden, denn erst mit deutlichen Signalen können die Mitspieler diese Idee unterstützen, so dass eine Geschichte entsteht.
- Ja genau! Und...
Eine improvisierte Geschichte kann nur erspielt werden, wenn die Spielideen des Mitspielers prinzipiell bejaht werden. Geht der erste Spieler auf die Bühne und lässt einen sonnigen Tag am Strand entstehen, wird der zweite Spieler diese Idee aufnehmen und vielleicht mit einem imaginierten Liegestuhl dazu kommen, um diese Illusion zu unterstützen. Kommt der zweite aber auf die Bühne und schimpft über den furchtbaren Regentag, gerät der erste Spieler in Erklärungsnot und das Publikum ist verwirrt. Die Angebote des anderen müssen also erkannt, angenommen und weiterentwickelt werden. Dazu sind Wachheit und Aufmerksamkeit Grundvoraussetzung, aber auch die Bereitschaft, eine eigene Idee zurückzunehmen und die des anderen zu stärken.
- Wie lasse ich meinen Partner gut aussehen?
Würden beide Spieler versuchen, nur ihre eigenen Ideen durchzusetzen, hätten die Zuschauer eher das Gefühl, einem Boxkampf beizuwohnen, als einer Theatervorstellung. Das Publikum möchte ein Zusammenspiel sehen, aus dem sich eine Geschichte entwickelt und keinen Kampf, der starr bleibt. Aber auch die klare Entscheidung, den Geschichtsverlauf in eine bestimmte Richtung zu lenken, unterstützt den Spielpartner und ist unerlässlich für die Gestaltung einer Szene. Denn würde nicht entschieden, worum es in der Geschichte am Strand geht, oder welche Prüfung der Held zu bestehen hat, blieben die Spieler nur an ihrem Strand stehen und würden aus „Höflichkeit“ den jeweils anderen entscheiden lassen. Die Ideen des Gesprächspartners ernst zu nehmen und aufzunehmen, auch wenn sie den eigenen Vorstellungen widersprechen, verhindert also, in der Kommunikation stehen zu bleiben. Ebenso unterstützen klare Entscheidungen die Entwicklung der Interaktion. Darüber hinaus behält derjenige, der die Spielideen des anderen bewusst aufnimmt, auch die Fäden der Szene in der Hand.
- Wer hat das Sagen?
Im Improvisationstheater wird der spezifische Machtanspruch, der sich bei jedem Partner einer Interaktion finden lässt, als Status bezeichnet. Ein Spieler im Hochstatus verhält sich dominant gegenüber einem Spieler im Tiefstatus; dieser wiederum passt sein Handeln an die Vorgaben des Hochstatus an. Der momentane Status der Figuren zueinander ist erkennbar an Körpersprache, Handlungen und Sprechweise der Spieler. So zeichnet sich ein Hochstatus-Spieler durch ruhige zielgerichtete Bewegungen, aufrechte Haltung und deutliche, normale Stimmlage aus. Ein Tiefstatus-Spieler ist eher durch unsichere Bewegungen, eine gebeugte oder starre Haltung und eine piepsige oder zu laute Stimmlage zu erkennen. Der Status in der Kommunikation entsteht also durch das Verhalten und ist grundsätzlich unabhängig vom sozialen Status, den man hat. In jeder Interaktion ist ein Statusgefälle, oder auch ein Status-Spiel zu erkennen. So kann man bildlich gesprochen eine „Status-Brille“ aufsetzen und eine Interaktion nur in Bezug auf das Statusgefüge betrachten. Ist das Spiel um die leitende Position einmal durchschaut, kann der Status in z.B. einer Gesprächssituation auch bewusst eingenommen werden. Außerdem kann auch das Statusverhalten des Gegenübers eingeschätzt und bewusst darauf reagiert werden. Durch bestimmte Signale auf verbaler und vor allem nonverbaler Ebene den eigenen Status zu stärken oder aber auch gezielt zu senken, steigert das Handlungsrepertoire in Kommunikationssituationen.
Die dramaturgische Betrachtung unseres Agierens in Relation zu anderen und die Fähigkeit, Partner oder Kollegen als Mitspieler zu sehen, schult die professionelle Kommunikation. Mit einer spielerischen Herangehensweise und dem Wissen um die aufgezeigten Prinzipien kann sich Raum für unerwartete Lösungswege auftun, so dass sich alltägliche Gespräche in spannende Geschichten verwandeln.
Die Grundprinzipien des Improvisationstheaters auf einen Blick:
- Vertraue dem, was Du tust!
- Ja, genau! Und...
- Wie lasse ich meinen Partner gut aussehen?
- Wer hat das Sagen?
zum Weiterlesen:
Johnstone, K. (2000). Improvisation und Theater – Die Kunst, spontan und kreativ zu agieren. Berlin: Alexander Verlag.
Schmitt, A & Esser, M. (2009). Status-Spiele: Wie ich in jeder Situation die Oberhand behalte. Frankfurt: Scherz Verlag