15. September 2004

Selbstmarketing

Selbstmarketing heißt wörtlich übersetzt „sich selbst auf den Markt bringen“. Es ist ein Mittel, um seine persönlichen Ziele in der Organisation eigenverantwortlich und durch eigene Initiative umzusetzen. Dabei kann es sich um die eigene Karriereplanung handeln, um die Steigerung seiner persönlichen Wirksamkeit in seiner Funktion oder auch „nur“ darum, die eigene Arbeit mit der Zeit besser an die persönlichen Bedürfnisse und Werte anzugleichen. Märkte sind (virtuelle) Orte des Tausches, wobei in diesem Fall nicht etwas Materielles, sondern Verhalten gegen Verhalten getauscht wird: Engagement gegen Anerkennung, Gefälligkeit gegen Rückendeckung, Unterstützung gegen Unterstützung, Leistung gegen ‚gute Presse’ usw. Im Falle eines Experten könnte das Tauschgeschäft z.B. lauten: „Biete Expertise als wichtigen Beitrag für die Lösung Deiner Probleme, suche dafür adäquate Entlohnung, Anerkennung, Reputation, vielleicht auch direkte Unterstützung für meine Karriere.“

Selbstmarketing gewinnt Bedeutung in einer Zeit, in der sich die Menschen viel stärker eigeninitiativ darum bemühen müssen, gesehen, ihren Fähigkeiten entsprechend beschäftigt und entwickelt zu werden. Heute gibt es kaum mehr Personen oder dafür zuständige Zentralstellen, die sich im Sinne einer Vollversorgung um den Einzelnen kümmern, die wissen, was er kann, was er wollen sollte und ihn obendrein an die Hand nehmen, um eventuell auftauchende Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Dafür fehlt nicht nur die Zeit. Die allgemeinen Vorstellungen über das Verhältnis aus Selbst- und Fremdsteuerung haben sich im Zeitalter des „Empowerment" radikal verändert. Das ‚gütige Patriarchat', das sich väterlich, streng und weise um die Belange der Mitarbeiter in der Organisation kümmert, hat sich zurückgezogen. Es hat dabei Autonomie- und Handlungsspielräume für den Einzelnen hinterlassen, die es nun bewusst und beherzt auszufüllen gilt. Die eigenverantwortliche Umsetzung der persönlichen Ziele und Vorstellungen ist dennoch nicht ohne die Mithilfe von Förderern, Mentoren und Multiplikatoren möglich. Sie müssen gefunden, angesprochen und für sich gewonnen werden.

Marketing sorgt dafür, dass Nachfrage geweckt oder dass bestehende Nachfrage aufrechterhalten und ausgebaut wird. Häufig ist eine permanente Anstrengung erforderlich, um dauerhaft und erfolgreich „im Geschäft“ zu bleiben. Bei Selbstmarketing ist das „Angebot“ das ganz spezifische Leistungsvermögen z.B. des Fachexperten, das von seiner Person bzw. Persönlichkeit nicht getrennt werden kann. Die „Nachfrager“ sind andere Personen, normalerweise in derselben Organisation, denen dieses Angebot in Bezug auf ihre Ziele, Vorstellungen und Wünsche nützlich erscheint. Es handelt sich also um eine Verknüpfung von Interessen, wobei die Bewertung der Tauschobjekte von dem jeweils individuellen Wertesystem der Beteiligten abhängt und die „Währungen“ nur bedingt konvertibel sind.

Voraussetzung für ein erfolgreiches Selbstmarketing sind Antworten auf die folgenden Fragen:

1.Was will ich beruflich erreichen?

2.Was ist mir wirklich wichtig?

3.Was habe ich für die Erreichung meiner Ziele anzubieten und einzusetzen?

4.Wer sind die aktuellen oder potenziellen Nutzer meiner Expertise?

5.Wer kann mich unterstützen?

6.Welche persönlichen Handlungskonsequenzen ergeben sich daraus?

Aus den Antworten lässt sich eine persönliche Handlungs- oder Wirksamkeits-strategie für die weitere Arbeit in der eigenen Organisation ableiten.

Was will ich erreichen und was ist mir wirklich wichtig?

Hier geht es um Klarheit in Bezug auf persönliche Prioritäten, längerfristige Ziele und zentrale Werte. Folgende Leitfragen können bei einer ersten Strukturierung helfen: Wie sieht eine beruflich, privat, familiär / partnerschaftlich, sozial erstrebenswerte Zukunft für mich aus? Was bedeutet beruflicher Erfolg eigentlich für mich? Welche Wirkungen sollen von meinem Handeln ausgehen? Welche Spuren möchte ich im Unternehmen längerfristig hinterlassen? Mit welchen Menschen will ich zukünftig zusammen sein? An welchem Ort? Mit welchen Themen, in welcher Funktion möchte ich Verantwortung übernehmen? Woher beziehe ich zukünftig meine Anerkennung? Und was bin ich bereit, dafür in Kauf zu nehmen? Welchen Preis bin ich nicht bereit zu zahlen?

Was habe ich anzubieten und einzusetzen?

Für die Erreichung der persönlichen Ziele sind Ressourcen notwendig. Dazu gehören fachliches Wissen, Organisations- und Umsetzungswissen, Erfahrung sowie persönliche Fähigkeiten und Eigenschaften. Außerdem gehören die in der Vergangenheit gewachsenen „Vermögenswerte“ dazu wie persönliche Reputation (Image) und Netzwerke aus Kollegen, Kunden, früheren oder aktuellen Förderern, externe Bekannte usw. („Beziehungskapital“). Ein Ressourcencheck, der im Hinblick auf die jeweils relevanten Aspekte der voraussichtlichen Unternehmensentwicklung zu bewerten ist, kann zu dem Ergebnis führen, dass es notwendig ist, zusätzliche Kompetenzen oder Aktiva aufzubauen, um die eigenen Ziele zu erreichen.

Für erste Überlegungen im Hinblick auf Wissensressourcen eignet sich in Anlehnung an die unternehmensstrategischen Diskussionen das Konzept der Kernkompetenzen. Damit ist ein in sich verflochtenes Bündel aus Wissen, Können und Erfahrungen gemeint, die Summe der individuellen Problemlösungsfähigkeiten, die im Laufe der Lebens- und Berufsgeschichte entstanden sind. Sie repräsentieren ein Nutzenpotenzial für andere in der Organisation. Weil jede Biografie einzigartig ist, sind auch die geschichtlich entstandenen Kernkompetenzen einzigartig. Kernkompetenzen erschöpfen sich nicht in den Inhalten formaler Ausbildungsgänge (davon gibt es viele), sondern integrieren Erfolgserlebnisse und Floperfahrungen, Erfahrungen mit schwierigen Kunden oder Kollegen, die reflektierte Erfahrung mit der eigenen Persönlichkeit etc.

Um die eigenen Kernkompetenzen zu finden, bietet sich als Ausgangspunkt die Analyse vor allem der jüngeren beruflichen Aufgaben an. Welche meiner Tätigkeiten und Projekte der letzten Jahre waren besonders erfolgreich gewesen? Und welche Faktoren waren dafür ausschlaggebend gewesen? Wie und wodurch schaffe ich es im Allgemeinen, meine Kunden zufrieden zu stellen? Welche typischen Kundenprobleme löse ich mithilfe meines Know-hows? Welchen Zusatznutzen stifte ich vielleicht? Besitze ich „schlummernde“ Fähigkeiten, die ich in die Waagschale werfen könnte, obwohl ich sie (zuletzt) nicht eingesetzt habe? Leiste ich im privaten Umfeld Besonderes? Werde ich häufig von Freunden oder Verwandten angefragt? Habe ich ein Hobby, bei dessen Ausübung sich Talent zeigt? Gibt es frühere berufliche Erfahrungen, die ich lange nicht mehr genutzt habe? Kurz: Wo sehe ich meine spezifischen Stärken?

Die Ressource Reputation oder Image wirkt wie ein persönliches Markenzeichen. Sie basiert auf Erfahrungen, die andere mit mir gemacht haben. Image ist ein Vorurteil, nichts wirklich Objektives, aber seine Wirkung ist real und möglicherweise beträchtlich. Ein positives Image gleicht einem Vermögenswert, weil es Handlungsspielräume erweitert (ich bekomme „Kredit“) und die eigene Wirksamkeit durch die wohlwollende Aufmerksamkeit und Interpretation anderer erhöht. Ein negatives Image ist ein Handicap, weil auch gut gemeinte und erfolgreiche Aktivitäten entweder gar nicht wahrgenommen oder im Sinne der negativen Vorfestlegungen (um-) interpretiert werden. Eine Imageveränderung lässt sich normalerweise nur sehr langsam und allmählich erreichen, weil Menschen sich nur ungern von ihren inneren Bildern über andere trennen. Notwendig sind dafür wiederkehrende Irritationen über mich und mein Verhalten bei denjenigen, um die es mir geht.

Eine unvoreingenommene Erforschung des eigenen Images ist leichter gesagt als getan, denn es kann unliebsame Überraschungen und Kränkungen mit sich bringen. Und gerade dann, wenn es nicht nur positiv ist, kann man von anderen nicht unbedingt große Ehrlichkeit erwarten. Images oder Fremdbilder können sehr ungerecht sein. Vor allem können sie sich deutlich unterscheiden vom Selbst- und Idealbild. Dennoch handelt es um wichtige Informationen. Konkret bieten sich Gespräche mit Vorgesetzten an, aber auch mit Kollegen, Kunden, Lieferanten, Externen und Mitarbeitern. Mit Blick auf das gewünschte Image (z.B.: „ich möchte als ein loyaler, engagierter, pragmatisch denkender und hoch qualifizierter Experte für … gelten“) gilt es danach, passende Kernaussagen und eventuell symbolische Botschaften zu finden, sie an richtiger Stelle zu platzieren und dabei in geeigneter Weise für Aufmerksamkeit zu sorgen, insbesondere bei Meinungsbildnern und Multiplikatoren. Selbstverständlich gelingt es nur dann, ein gewünschtes Image durchzusetzen, wenn es durch die eigene Persönlichkeit, so wie sie nun mal ist, gedeckt wird. Von der Unternehmensöffentlichkeit bisher noch nicht (ausreichend) wahrgenommene Seiten können vorgezeigt und betont werden, aber es wird nicht gelingen, auf Dauer erfolgreich zu schauspielern, sich zu verstellen und zu maskieren. Nicht-authentisches Verhalten torpediert nach aller Erfahrung über kurz oder lang das eigentlich Gewollte.

Gelegenheiten für ein praktisches „Image-Management“ können z.B. Meetings, Konferenzen, Präsentationen, Messen oder Dienstreisen sein. Wichtig ist, dass die ausgesendeten Mitteilungen von den relevanten Personen auch im gewünschten Sinne wahrgenommen und verstanden werden. Gesprächskontakte sind immer Gelegenheiten, persönliche Botschaften und Erfolge zu kommunizieren, getreu dem Motto: „Tue Gutes und rede darüber!“ Besonders wirksam für das eigene Image sind passende Kommentare durch Dritte. Es könnte sich lohnen, im Hinblick darauf bestimmte Personen gezielt anzusprechen. Manchmal wirkt Lob durch geschätzte Externe am stärksten.

Eine weitere Ressource für die Verfolgung der eigenen Ziele ist das im Laufe der Zeit entstandene soziale Netzwerk aus Kollegen, Freunden und Förderern. Wichtige Mitteilungen können in Netzwerke „eingespeist“ und in Umlauf gebracht, es können aber auch wichtige Informationen daraus bezogen werden. Wer innerhalb seiner Organisation auf dem Laufenden bleiben will, Trends erkennen und ein Gespür für passende Interventionen sowie für das richtige Timing entwickeln möchte, ist auf soziale Netzwerke angewiesen. Für eine erfolgreiche Selbststrategie empfiehlt es sich deshalb zu prüfen, ob die richtigen Entscheider, Trendsetter, Meinungsbildner und Multiplikatoren dabei sind. Eventuell muss das persönliche Netzwerk gezielt um bestimmte Personen oder Personengruppen erweitert werden. Daraus ergibt sich die Frage nach einer klugen Kontaktstrategie.

 

Wer sind die Nutzer meiner Expertise und wer kann mich unterstützen?

Für die Entwicklung eines Selbstmarketingkonzeptes stellt sich die Frage nach der Zielgruppe: Wer sind eigentlich die aktuellen und darüber hinaus die potenziellen Nutzer meiner Expertise? Und welche Personen, Gruppen oder Gremien kommen außerdem für mich als Unterstützer, als „Imageproduzenten“ oder als Netzwerkpartner in Frage? Es empfiehlt sich, möglichst konkrete Schlüsselpersonen zu identifizieren und sie so gut wie möglich kennen zu lernen. Welche Vorstellungen dürften sie über mich haben? Was wissen sie von mir oder was glauben sie von mir zu wissen? Wie kann ich meine diesbezüglichen Annahmen überprüfen? Außerdem: Welche Aufgaben und Ziele verfolgen sie? Was wird von ihnen erwartet und woran werden sie gemessen? Was ist ihm oder ihr persönlich besonders wichtig? Was nicht? Welche Bedürfnisse, persönliche Eigenarten, Lieblingsthemen oder Interessen dürften sie haben?

Je mehr Antworten gefunden werden, desto leichter wird das „Andocken“ gelingen. Das hat nichts mit Manipulation zu tun, denn es geht um einen geplanten Beziehungsaufbau und um die Vorbereitung einer erfolgversprechenden Kommunikation, nicht um ein Täuschungsmanöver.

Handlungskonsequenzen

Die vorgestellten Überlegungen führen zu einem Plan für die Steigerung der eigenen Organisationswirksamkeit. Vielleicht gibt es auf einige Fragen, die besondere Relevanz besitzen, noch keine befriedigenden Antworten. In diesem Fall sind als erste Handlungskonsequenz weitere Klärungen erforderlich. Was müsste ich genauer wissen und wer kann mir eine Antwort geben? Im nächsten Schritt ist festzulegen, was ich selbst tun kann und will, um meine Kompetenzen zielbezogen auszubauen bzw. um Engpässe im Verhalten auszuweiten, damit persönliche Schwächen unbedeutender werden. Schließlich ist zu klären, wer in welcher Reihenfolge und mit welcher Absicht kontaktiert werden sollte. Was möchte ich eigentlich genau von der betreffenden Person? Und was habe ich ihr anzubieten? Wie kann ich kurzfristig ihr Interesse finden? Warum sollte es für sie oder ihn sinnvoll sein, sich auf mein Angebot einzulassen? Worauf reagiert sie positiv? Was sage ich eigentlich? Welches Verhalten und welches äußere Erscheinungsbild von mir sind der Situation angemessen und unterstreichen das, was ich mitteilen möchte? Was wird mein erster Schritt sein? Wann werde ich ihn setzen?

Nicht zuletzt: Wie bei jeder Strategie ist auch bei Selbstmarketing ein Controlling sinnvoll, damit es gelingt, auf der selbst gewählten Spur zu bleiben und an sie erinnert zu werden, wenn es nötig ist. Woran werde ich also die Erfolge meiner Strategie feststellen und messen können? Welche Indikatoren und Messgrößen eignen sich dafür?

Über den Autor

Wolfgang Reiber liebt es, die Dinge ganzheitlich zu betrachten, etwa das Zusammenspiel zwischen wirtschaftlichen, psychologischen und politischen Aspekten in Organisationen und Gesellschaft. Gemeinsam darüber nachzudenken, was ist, was sein sollte und wie es gehen könnte, mit Respekt und mit einer Prise Humor, das schätzen er und seine Kunden ganz besonders.


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