Die Krise ist ein Härtetest für die Qualität von Führung. Wie angenehm ist es, in Zeiten der Expansion Erfolge zu feiern, Prämien auszuschütten, Beförderungen auszusprechen oder zusätzliches Personal einzustellen. Ganz anders geht es in Zeiten der Kontraktion zu: Personal muss abgebaut werden, anstatt Prämien gilt es, Zumutungen zu verteilen, und die Abkehr von ehemals erfolgreichen, sicherheitsspendenden und lieb gewonnenen Gewohnheiten steht auf der Tagesordnung.
Auch die meisten Führungskräfte halten diese Phase für eine Zumutung. Sie sollen fordern, Unangenehmes durchsetzen und sanktionieren. Sie sollen sich auseinander setzen und sich dabei systematisch unbeliebt machen. Sie sollen immer präsent und verständnisvoll sein, gleichzeitig aber für sich selbst keinerlei Verständnis oder gar Dankbarkeit erwarten. Sie sollen kraftvoll und optimistisch sein, Glaubwürdigkeit ausstrahlen und Vertrauen entwickeln.
Das klingt mehr als anspruchsvoll. Braucht es dafür nicht einen Arnold Schwarzenegger des Managements? Oder können es auch ganz „normale“ Führungskräfte schaffen, erfolgreich und unbeschädigt aus der Krise herausgekommen? Nach unseren Erfahrungen ja! Es gelingt, wenn Führungskräfte ehrlich und authentisch sind im Kontakt mit ihren Leuten, wenn sie ihnen zuhören, sie ernst nehmen, aber gleichzeitig in ihrer besonderen Rolle deutlich werden, dazu stehen und konsequent handeln.
Besonders in der Krise gilt, dass Führungskräfte nicht nicht führen können. Alles, was sie tun, steht unter besonderer Beobachtung. Jeder Satz, jede Geste wird gedeutet und interpretiert. Umso wichtiger ist es, deutlich zu sein und auf die Übereinstimmung von Worten und Taten zu achten. Im Folgenden sollen vier Aspekte genauer betrachtet werden.
1) Informationspolitik
In Krisenzeiten stehen grundsätzlich zu wenig Informationen zur Verfügung, weil es immer mehr Fragen als Antworten gibt. Der Übergang zwischen Gerücht und Fakt wird fließend, weiche und spekulative Aussagen werden mit der Zeit immer fester und (scheinbar) zuverlässiger. Niemand weiß mehr genau, was Sache ist, und negative Gefühle machen sich breit. Das geschieht etwa so: Eine Krise wird am Horizont deutlich. Im Managementteam gibt es erste Ideen und vage Vorstellungen über das weitere Vorgehen. Bis auf weiteres ist Vertraulichkeit vereinbart worden, um „die Pferde nicht unnötig scheu zu machen", aber jeder im Unternehmen ahnt, dass schmerzhafte Veränderungen kommen werden. Die Mitarbeiter riechen den Braten, Fragen werden gestellt, Antworten verweigert, und die Gerüchteküche kocht. Jeder spürt, dass die Führungskraft viel mehr weiß, als sie sagen will. Ihre Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel. Was sollte sie tun?
Nach unseren Erfahrungen ist es richtig zu schweigen, solange auch in Umrissen noch nichts klar ist. Aber wenn die Mitarbeiter ohnehin schon wissen, dass etwas im Busch liegt (gerade in Krisenzeiten können sie gewöhnlich das Gras wachsen hören), ist es besser, entsprechende Überlegungen umstandslos zuzugeben, verbunden mit der Zusage, spätestens zu einem Zeitpunkt x (der möglichst nicht in allzu weiter Ferne liegt) genauere Informationen mitzuteilen. Das ist für die Mitarbeiter nicht befriedigend, aber es ist ihnen lieber, als angelogen zu werden. Grenzenlose Offenheit ist auch später weder sinnvoll noch möglich. Aber für die meisten Mitarbeiter ist das in Ordnung, wenn ehrlich und (selektiv) offen miteinander geredet wird, die Gründe für ein vorläufiges Zurückhalten von Informationen plausibel sind und nicht der Eindruck entsteht, dass sie für dumm verkauft werden.
2) Auseinandersetzungen
Die Rolle der Führungskraft bringt es mit sich, gelegentlich zwischen unterschiedlichen Übeln auswählen zu müssen. Für sie muss die Existenzsicherung der Organisation Vorrang haben gegenüber den Bedürfnissen einzelner Mitglieder. Das kann Härte und große Ungerechtigkeit im Einzelfall bedeuten. Um so wichtiger ist es, Entscheidungen sorgfältig zu überlegen, objektive Kriterien möglichst transparent anzuwenden und, so weit es geht, den Regeln der Fairness zu folgen.
Wenn es zu harten Schnitten kommen muss, empfiehlt es sich, diese möglichst schnell zu kommunizieren und umzusetzen. Wir kennen Führungskräfte, die das gerade nicht tun, weil sie ihre Mitarbeiter schonen wollen. Das Motiv ist sympathisch, die Folgen aber sind gegenteilig. Ein Schrecken ohne Ende ist in aller Regel schlimmer als ein kräftiger Schrecken, der sofort Klarheit mit sich bringt.
Führungskräfte, die gut durch eine krisenhafte Phase kommen, tauchen nicht ab, wenn es ernst wird. Sie lassen sich von negativen Emotionen nicht anstecken, weisen sie aber auch nicht arrogant oder autoritär zurück. Schon gar nicht jammern sie aus Solidarität einfach mit. Sie bleiben statt dessen präsent, sind klar und bestimmt, dabei aber immer respektvoll. Sie lassen sich von der Emotionalität ihrer Mitarbeiter durchaus berühren, zeigen sich als Mensch und nicht als Funktionär, bleiben aber gleichzeitig eindeutig in dem, was sie wollen und für erforderlich halten. Das erfordert Disziplin, Rollenbewusstsein und ein gutes Gespür in der Situation für die eigenen Gefühle und die der anderen. Übermenschlich ist das nicht, aber es braucht ein beachtliches Maß an persönlicher Reife.
Meistens hilft es der Führungskraft, wenn sie unterscheiden kann, was an den unangenehmen Reaktionen ihrer Rolle und was ihrer Person gilt. Wut und Empörung von Mitarbeitern, die gerade eine für sie sehr schlechte Nachricht empfangen haben, sind normal. Entsprechende Reaktionen müssen deshalb prinzipiell erlaubt sein. Wenn die zugrunde liegende Entscheidung aber verantwortungsvoll getroffen und wohl überlegt ist, kann es der Führungskraft gelingen, Anfeindungen ernst, aber nicht persönlich zu nehmen.
3) Umgang mit den Verlierern der Krise
Damit so etwas wie Aufbruchstimmung in der Krise entstehen kann, ist es wichtig, dass im Erleben der Mitarbeiter fair und anständig mit denjenigen umgegangen wird, die (haben) gehen müssen. Dank und Respekt für die geleistete Arbeit, Verständnis für die Schwierigkeiten, in denen die Betroffenen stecken werden, Unterstützung für die Zeit danach, – das sind die Mindestanforderungen. Erfüllt das Unternehmen sie nicht, kommen bei den Zurückgebliebenen Schuldgefühle auf („warum bin ich noch einmal davon gekommen, der andere aber nicht?“). Misstrauen und Ängste können sich verstärken („wann werde ich dran sein?“) und über die Identifikation mit den Entlassenen baut sich neue Wut auf. Diese kann später übergehen in eine allgemeine Apathie und Resignation.
4) Sicherheit stiften im weiteren Prozess
Auch wenn die schmerzhaften Maßnahmen über die Bühne gegangen sind und wenn fair mit den Verlierern umgegangen worden ist, brauchen die (verbliebenen) Mitarbeiter ein überdurchschnittliches Maß an emotionaler Sicherheit, um optimistisch und kreativ weiterarbeiten zu können. Eine wesentliche Grundlage dafür ist die erlebte Glaubwürdigkeit von Führungskräften. Disziplin und Menschlichkeit zahlen sich spätestens jetzt für sie aus. In Gesprächen und gemeinsamen Veranstaltungen können sie viel bewirken.
Emotionale Sicherheit entsteht u.a. aus Gemeinschaftserlebnissen. Wenn über die wirklich relevanten Fragen ehrlich miteinander gesprochen wird, stärkt man sich gegenseitig. Geteilte Angst wird kleiner und ist leichter zu ertragen. Dialoge, die über Bereichs- und Hierarchiegrenzen hinweg stattfinden, fördern darüber hinaus Verbundenheit, Mut und Orientierung. Kontinuität in diskontinuierlichen Zeiten kann zusätzlich stabilisieren. Feste Rhythmen, Zeiten, Räume und Rituale, vielleicht auch wiederholte Formeln oder passende Symbole bieten sich an.
Fazit
Erfolgreiches Führen in der Krise ist kein Hexenwerk. Vielmehr sind elementare menschliche Fähigkeiten gefragt: Kontakt, Ehrlichkeit, Mut und Anstand sowie ein gutes Gespür dafür, was in der gegebenen Situation wirklich notwendig ist, um einerseits der Organisation eine gute Zukunft zu ermöglichen und um andererseits den beteiligten und betroffenen Menschen bei allen unvermeidlichen Härten Fairness und Respekt zukommen zu lassen.