05. Juni 2024

Schreck: Emotion

Emotionen kommen in der Businesswelt vor allem als Phrase vor. Da gibt es die Abermillionen von Leuten, die von sich mit beeindruckender Beharrlichkeit behaupten, für ihre Arbeit zu „brennen“, sie mit „Feuer“ und „Leidenschaft“ zu betreiben, obwohl, wenn man sie dabei betrachtet, so gar keine Leidenschaft, stattdessen aber gediegene Ödnis sich als Eindruck aufdrängen will. Und natürlich gibt es in nahezu jedem Businessumfeld, das etwas auf sich hält, jede Menge markiger Sätze, wie emotional alle und alles „hier bei uns“ sind – egal wie blechern das tönt. Emotionen sind IN – jedenfalls solange, wie sie sich nicht von ihrer dunklen Seite zeigen. Drohen bei einzelnen Mitarbeitenden oder gar ganzen Teams Gefühle wie Traurigkeit, Wut oder Ohnmacht an die Oberfläche zu dringen, kommen gar Tränen ins Spiel – so scheint es nur einen Reflex zu geben: ein paar tröstend-aufbauend-motivierende Worte („Wird schon werden!“) und dann: nichts wie weg. Wie der Teufel das Weihwasser, so meiden die meisten Führungskräfte und Mitarbeitende Situationen, in denen sie mit dunklen Emotionen ihres Gegenübers ernsthaft in Kontakt geraten könnten. Nicht wenige sagen es sogar ganz direkt: „Wenn jemand weint, ist das Gespräch vorbei.“

Vorbei ist hier allerdings etwas anderes oder eigentlich müsste man sagen, es hat noch gar nicht begonnen: nämlich ein vernünftiger Umgang mit Emotionen. Klar ist, wir haben sie, die Emotionen, und manchmal haben sie auch uns – und zwar sowohl die Emotionen, die wir schön finden wie auch die anderen. Und mehr noch: Echte Freude, Dankbarkeit, Begeisterung, Leidenschaft (um auch dieses schwer missbrauchte Wort noch einmal zu verwenden) empfinden zu können, setzt Schwingungsfähigkeit voraus. Und wirklich Freude und andere positive Emotionen empfinden können nur Menschen, die auch traurig sein können – und es immer mal wieder auch sind. Helle und dunkle Emotionen sind wie Zwillingspaare. Es gibt sie nur zusammen. Und das ist auch gut so, denn Emotionen haben die Funktion, uns spüren zu lassen, wie es gerade für uns ist, wie es sich anfühlt, da zu sein, wo wir sind. Emotionen sind verdichtete, immer auch körperlich spürbare Informationen. Verbunden damit sind Bedürfnisse, die sich quasi in den Emotionen zeigen und die ihrerseits ernstgenommen werden wollen: zum Beispiel das Bedürfnis nach Anerkennung, nach Freiheit, nach Gestaltungsmöglichkeit.

Starke Emotionen nicht zu berücksichtigen, ist kein Weg für den konstruktiven Umgang damit. Und durch Flucht und Vermeidung zu signalisieren, dass die starke Emotion meines Gesprächspartners jetzt nicht ganz passt, ist auch kein Mittel für einen wertschätzenden und hilfreichen Umgang mit ebendieser Person in ebendieser Situation. Es ist einfach nur Ausdruck eigenen Unvermögens – Ausdruck der eigenen Armut im Umgang mit Emotionen.

Wenn Traurigkeit, Wut, Ohnmacht oder Tränen kommen, so sind sie eben da. Sie lassen sich nicht wegblasen oder mit ein paar motivierenden Sprüchen schnell mal ins Positive drehen. Es gilt, solche Situationen auszuhalten, da zu sein, zu spiegeln, welches Erleben man gerade beim anderen wahrnimmt (zum Beispiel, dass es gerade bedrückend für den Anderen ist); es gilt Tempo rauszunehmen, sich und dem Anderen Zeit zu lassen; es gilt mitzufühlen (das ist die Urbedeutung von „Sympathie“!) zu fragen, was der Andere jetzt braucht und ob bzw. wann er weitersprechen kann. Es gilt, dazubleiben, mitzuspüren und dann, wenn und sofern wieder möglich, ein paar Schritte weiterzudenken. Die Erfahrung, die sich dabei machen lässt, ist: dazubleiben, tut am Ende beiden gut und nach einer Weile und getragen von einer echten Portion Empathie, ist erstaunlich viel möglich und kommunizierbar, auch wenn gerade eben noch Tränen geflossen sind. Dafür braucht es etwas Mut und Vertrauen – in den Anderen, vor allem aber in sich selbst: dass Du das aushalten kannst und bleibst und hilfst.

Und siehe da: je mehr das gelingt, umso kraftvoller können sich mitunter auch helle Emotionen zeigen; und wir können sie miteinander teilen. Stärker als zuvor; sogar Begeisterung und Leidenschaft.

Über den Autor

Dr. Stefan Hölscher verbindet fundierte psychologische Erfahrung mit Klarheit und humorvoller Pointierungslust. Er liebt intensive Reflexion als Grundlage für kraftvolle Impulse: als Coach und Trainer ebenso wie als Autor und kreativer Geist.


Individuelle Beratung unter +49 69 60 60 55 60 oder info@metrionconsulting.de

Ohne Freude keine Traurigkeit. Ohne Trauer kein Glück.

Dr. Stefan Hölscher - Partner, Metrion Management Consulting