05. Juni 2024

Belastungen von Mitarbeitenden verstehen und helfen können

Kennen Sie diese Situation: Sie machen sich als Führungskraft Sorgen um die Gesundheit eines Mitarbeitenden, weil die Person zum Beispiel andauernd von früh morgens bis spät abends arbeitet, sich immer noch mehr Arbeitspakete an Land zieht, zunehmend blasser und weniger vital wirkt, aber auf normale Nachfragen hin eher abwiegelt und signalisiert, dass schon alles in Ordnung sei. Also laden Sie den Mitarbeitenden, um der Sache weiter nachzugehen zum Gespräch ein. Doch das Gespräch endet nach recht kurzer Zeit wie das berühmte Hornberger Schießen. Sie haben Fragen gestellt und der Mitarbeiter / die Mitarbeiterin hat erneut mit möglicherweise nicht allzu vielen Worten signalisiert, dass alles schon gut genug passt. Zurück bleibt bei Ihnen als Führungskraft ein flaues Gefühl, dass die eigentlichen Themen in dem Gespräch seitens des Mitarbeitenden gar nicht berührt worden sind, sodass Ihre Sorgen weiter steigen – ihre Ratlosigkeit aber auch.

Wie kommt es zu diesem offenbar wenig ergiebigen Verlauf? Verantwortlich dafür ist in den meisten Fällen die Art des Fragens: Gestellt werden nur allzu oft geschlossene Fragen, etwa wie „Geht es Dir gut?“, „Ist alles in Ordnung?“, „Bist Du zufrieden?, „Passt es für Dich?“ etc., auf die hin es dann oft ebenso kurze wie nichtssagende Antworten gibt, die dann in der Regel eine weitere Runde mit wohlmeinenden Fragen auslösen: „Ist wirklich alles in Ordnung?, „Kannst Du noch gut von der Arbeit abschalten?“, „Macht Dir das alles noch Spaß?“ - Fragen, die zu einer freundlichen Wiederholung der bereits gegebenen unverfänglichen Antworten führen – so, als ginge es um ein lustiges Katz-und-Maus-Spiel, bei dem der Mitarbeitende sich immer wieder mit kleinen Bewegungen in die Sicherheit des Nichtssagenden zu entziehen versteht. Doch geht es hier nicht um ein Spiel.

Wenn Mitarbeitende tatsächlich immer mehr überlastet, vielleicht sogar Burn-Out- oder Depressions-gefährdet sind oder sie sich in einer anderen Art psychischer Krise befinden, sodass die Sorgen der Führungskraft nur allzu berechtigt sind, ist es in vielen Fällen tatsächlich alles andere als einfach, erstmal das Eis des Schweigens zu brechen. Und zwar nicht, weil der Mitarbeitende es so lustig findet, die Führungskraft vergeblich nachfassen zu lassen, sondern weil die Situation für die Person selbst befremdlich und mit Angst, Scham und Selbstzweifel besetzt ist, sodass jede Art von Face-Reality-Kommunikation – auch diejenige, die man mit sich selbst führen könnte – mehr als schwierig ist. Als Führungskraft auch nur ein wenig mehr darüber zu erfahren, wie es dem Mitarbeitenden wirklich gerade geht, ist also kein Spaziergang. Gleichzeitig aber ist es oft der Schlüssel zu zielgerichteter Hilfe; denn nur wenn man gemeinsam besser versteht, was los ist, kann eine zielgerichtete Unterstützung – wie immer diese im Einzelnen aussehen mag – in Gang gebracht werden. Solange die Führungskraft kein hinreichend klares Bild von der Belastungssituation des Mitarbeitenden bekommt, können seitens des Unternehmens unterstützende Maßnahmen gar nicht passgenau spezifiziert werden.

Um die Chance in solchen Fällen zu erhöhen, die Situation eines Mitarbeitenden besser zu verstehen, hilft bereits folgendes Paar von Fragen, von denen die erste auf die Belastung, die zweite auf die Kraftquellen schaut: Wie stark würdest Du bezogen auf die letzten Wochen und Monate Deine eigene beruflich-private Gesamtbelastung einschätzen auf einer Skala von 1–10, wobei 1 bedeutet „ich fühle mich extrem wenig belastet“ und 10 bedeutet „ich fühle mich extrem stark belastet“? – Und wie stark würdest Du andererseits bezogen auf die letzten Wochen und Monate Deine persönliche Energie und Vitalität auf einer Skala von 1–10 einschätzen, wobei 1 bedeutet „meine persönliche Energie ist extrem niedrig ausgeprägt“ und 10 bedeutet „meine persönliche Energie ist extrem hoch ausgeprägt?

Auf solche Fragen ist es schwierig, einfach nur mit „O.K.“ oder „Passt schon“ zu antworten. Falls sich nun zeigt, dass der Mitarbeitende eine Belastung von 8 oder 9 oder gar 10 und eine Energie von 3 oder 2 oder sogar nur 1 angibt, so ist unmittelbar klar, dass hier Handlungsbedarf besteht. Natürlich gilt es dabei, weiter nachzufragen – und zwar wieder in beide Richtungen hinein, also zum Beispiel: „Wo kommt Deine Belastung besonders her – im Job und auch privat? Wie gehst Du aktuell damit um? … Woraus schöpfst Du Energie? Wie oft und wie intensiv kommst Du zu den Dingen, die Dir gute Energie geben? Gibt es in Hinblick auf die bestehenden Belastungen und Deine Energiequellen Veränderungen in den letzten Wochen oder Monaten? Welche Veränderungen sind das? Was bräuchtest Du wohl, damit das Verhältnis von Belastung und Vitalität für Dich wieder in eine bessere Balance kommt? Was kannst Du selbst wohl dafür tun? Wobei brauchst Du Unterstützung? Wer könnte dabei wohl in welcher Weise unterstützend sein?“

Differenzierende und konkretisierende Nachfragen dieser Art helfen, überhaupt ins Gespräch zu den relevanten Themen zu kommen, gemeinsam besser zu verstehen, was los ist und damit auch Ansatzpunkte zu finden, wie eine sinnvolle und zielgerichtete Hilfe aussehen könnte. Natürlich ist damit dann das Problem noch nicht gelöst. Gelegt ist aber der Grundstein für eine Lösung. Und damit sind wir gemeinsam dann einen ersten echten Schritt weitergekommen.

Über den Autor

Dr. Stefan Hölscher verbindet fundierte psychologische Erfahrung mit Klarheit und humorvoller Pointierungslust. Er liebt intensive Reflexion als Grundlage für kraftvolle Impulse: als Coach und Trainer ebenso wie als Autor und kreativer Geist.


Individuelle Beratung unter +49 69 60 60 55 60 oder info@metrionconsulting.de

Gesundheit und Wohlbefinden sind der Angelpunkt, ohne den wir heute keine Freude und Morgen keinen Erfolg mehr haben werden.

Dr. Stefan Hölscher - Partner, Metrion Management Consulting