Wenn ich mit Manager*innen, der Berufsgruppe, mit der ich es seit mehr als 25 Jahren am häufigsten zu tun habe, über das Thema Feedback spreche, betone ich in der Regel, dass es sich dabei um ein Thema handelt, bei dem die Theorie außerordentlich trivial ist, insbesondere die Kriterien für konstruktives und nicht-konstruktives Feedback, was aber in keiner Weise bedeutet, dass diese Kriterien in der Praxis auch ständig mit Leben erfüllt werden. Die Welt ist voller Beispiele von verschenktem, verkorkstem, vergiftetem oder sonst wie verdorbenem Feedback. Meine Erfahrung dabei ist, dass es diesbezüglich in größeren Profit-Organisationen an vielen Stellen sogar noch ziemlich gut aussieht. Natürlich gibt es auch da jede Menge Vorfälle von suboptimalem oder inadäquatem Feedback. Nichtsdestotrotz: Ich erlebe viele Führungskräfte, die Feedback nicht nur als äußerst wichtiges Instrument für Führung und Zusammenarbeit grundsätzlich ernst nehmen, sondern die auch, was eine Weiterentwicklung des Umgangs damit, den sie selbst oder die Mitarbeitenden in ihrem Verantwortungsbereich an den Tag legen, angeht, lernbereit und aufgeschlossen sind: Führungskräfte, die ihre Sache beim Feedbackgeben und –nehmen oft erstaunlich gut machen. Ihre Mitarbeitenden übrigens auch. Das ist aber nicht überall so.
Nach meiner Erfahrung ist die Feedbackkultur in sozialen und Non-Profit-Organisationen im Schnitt deutlich schlechter als die in größeren Profit-Organisationen, unterboten allerdings noch vom Feld der Kunst und Kultur. Man sollte es ja kaum für möglich halten und würde sicher die umgekehrte Reihenfolge für die wahrscheinlichere halten, aber Menschen in sozialen Organisationen und im Bereich von Kunst und Kultur, pflegen miteinander gar nicht so selten eine geradezu desaströse Feedbackkultur. Und, um dies gleich so dick wie möglich zu unterstreichen: Ich spreche über Häufungen, nicht über „alle“, denn selbstverständlich gibt es in allen Bereichen Organisationen und erst recht auch viele einzelne Personen, die konstruktiv und hilfreich mit Feedback und Kommunikation überhaupt umgehen.
Es geht also um Tendenzen, und da ist meine Beobachtung: Was grundsätzlich in allen interaktionellen Kontexten passieren kann, passiert in sozialen und kulturellen Kontexten überzufällig häufig: Das Feedbackgeben schießt meilenweit übers Ziel hinaus – sei es, dass es, obwohl nötig, gar nicht erst gegeben wird, dass es undifferenziert hochjubelnd daherkommt oder dass es global vernichtend wird. Alles drei ist furchtbar; der Negativexzess aber immer noch etwas furchtbarer, vor allem für die, die es trifft.
Ich kann nur Hypothesen über das Warum dieser Phänomene bilden, und zu meinen Hypothesen gehört:
- Zum Teil scheint es schlichtweg ein Mangel an Skills zu sein. Man/frau ist in sozialen und kulturellen Kontexten augenscheinlich weniger geübt darin, hilfreich und konstruktiv mit Feedback umzugehen. Dies mag erstaunen angesichts der theoretischen Schlichtheit der Erfolgsfaktoren von Feedback, aber was man nicht übt, das kann man nicht richtig. Wer nicht geübt hat, Steaks zu braten, wird sie anbrennen lassen oder innen roh auf den Teller bringen, egal wie leicht das Braten eigentlich wäre.
- Je mehr man einander braucht und auch weiß, dass das so ist, umso mehr wird man, wenn man einigermaßen clever durch die Welt geht, auf konstruktives Feedback achten. Führungskräfte brauchen ihre Mitarbeitenden und umgekehrt ist das ähnlich. Je mehr die jeweilige Arbeit echte Teamarbeit ist, umso offensichtlicher wird dieser Punkt. Dies gilt nun natürlich gleichermaßen für die Arbeit in Profit- wie auch in sozialen oder in Kultur-Organisationen, erklärt also nicht den Unterschied. Was ich allerdings nicht so selten erlebe, ist, dass Individualismus, auch da, wo seine Blüten für die Zusammenarbeit kritisch werden, in sozialen Kontexten noch deutlich stärker gepflegt wird als in Profit-Organisationen. Und in kulturellen Zusammenhängen ganz besonders: Hier werden Idiosynkrasien jedweder Art oft nicht nur nach Herzenslust kultiviert, sondern sogar zum großartigen Markenzeichen erhoben – egal, wie borniert sie sind.
- Manchmal drängt sich auch der Eindruck auf, dass es nicht zuletzt auch eine Portion Frust über zu wenig bekommene eigene Wertschätzung oder zumindest der gefühlte Mangel daran ist, der Menschen im sozialen und im kulturellen Bereich, wenn sie kritisches Feedback geben, mal so richtig vom Leder ziehen lässt.
- Schließlich könnte man auch zu der Hypothese gelangen, dass es womöglich in Profitorganisationen gegenüber Sozial- und Kulturorganisationen einen etwas größeren Anteil mental robusterer Naturen gibt, was ‚Austeilen‘ und ‚Einstecken‘ angeht, mit allem, was man darin positiv und kritisch sehen mag.
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, wenn jetzt besonders von übertrieben negativem Feedback die Rede ist: Das ewig positive ist von konstruktivem, hilfreichem Feedback ebenfalls Lichtjahre entfernt. In meinem ersten Studium, dem der Philosophie, hatte ich es jahrelang mit einem Professor zu tun, aus dessen Mund, jedenfalls wenn es um Anwesende ging, immer nur schier unermesslich Positives kam. Nie etwas Kritisches, was dazu führte, dass alle Leute in seinem Umfeld geradezu paranoide auf die ganz kleinen, ganz feinen und eigentlich gar nicht mehr hörbaren Unterschiede im positiven Feedbacksermon fixiert waren, um so etwas wie einen Hauch von echtem und damit brauchbarem Urteil herauszuhören.
Man darf Punkte, die man für kritisch hält, klar und deutlich ansprechen. Herumeiern hilft nicht. Keinem der Beteiligten. Die Frage ist eher, wie man es tut, mit welcher Haltung, welchen Worten und welchem Mix zur Seite des Positiven hin. Und ob man, jedenfalls in einem dialogischen Setting, zwischendurch auch mal schaut, wie der/die Feedbackempfänger/in das Feedback aufnimmt, ob er/sie überhaupt etwas damit anfangen kann und wie es ihm/ihr damit gerade geht. Was demgegenüber leider nicht zu selten passiert - sofern das Feedback nicht ganz totgeschwiegen wird bis das Fass ultimativ übergelaufen ist -, ist allerdings ein Sich-Suhlen in den ewig gleichen Punkten des Negativen bis an die Grenze des Erbrechens. – Warum? Ja, warum, wenn doch vom Grundsatz her so intelligent erscheinende Leute zu Werke sind? Vielleicht hat es hiermit zu tun:
- Man findet die eigenen kritischen Punkte so wichtig und bedeutungsschwer, dass man meint, sie ausführlicher ausführen zu müssen.
- Man denkt, der/die Feedbackempfänger/in habe noch nicht so recht verstanden, worum es eigentlich geht und brauche es noch etwas deutlicher.
- Man kommt in einen negativen Sog, und sieht nun riesig groß die identifizierten Kritikpunkte, und wenn man noch weiterschaut, findet man immer mehr davon (Tunnelblick).
- Man möchte doch „ehrlich“ sein, und „ehrlich“ heißt hier oft: Man findet es „scheiße“ und sagt das auch – natürlich, ohne dies unzivilisierte Wort in den Mund zu nehmen. Es ist halt nur die Haltung dahinter, die das Ganze „scheiße“ findet und die in wunderbarer Weise auch mit den schöner klingenden Worten rüber schwappt.
Besonders der letzte Punkt, vor allem auch in Verbindung mit dem der negativen Wahrnehmungsselektion, eben dem Tunnelblick, hat Potenzial für Unheilvolles. Zu den beliebtesten Begründungen für das gerade ausgeteilte Desasterfeedback gehört – und zwar wiederum besonders im Sozial- wie im Kulturbereich – genau dies: „Ich möchte es ja nur ehrlich sagen.“ Na, wie denn auch sonst? Die Frage ist nur, ob „ehrlich“ das einzige Kriterium für Feedbackqualität ist. Und ganz offensichtlich ist die Antwort auf diese diffizile Frage ein krachendes: „Nein, nein und nochmals nein.“
Feedback sollte ehrlich sein. Ja, klar; aber auch differenziert, wertschätzend, würdigend, zielorientiert, motivierend und vieles mehr, damit es hilfreich ist. Feedback ist ein kommunikativer Akt: Was soll mit dem jetzt erreicht werden? Die ultimative Verletzung und Vernichtung des Feedbackempfängers vermutlich nicht, es sei denn, wir befinden uns in maligne sadistischen Kontexten.
Ein paar ganz schlichte Dinge können helfen, Feedback konstruktiver zu machen:
- Der ernsthafte Blick auf das Positive: Was von dem, was schon da ist, ist positiv? Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit lässt sich hier einiges finden (und wenn sich wirklich nicht nur bei irgendeinem Kleindetail, sondern im Großen und Ganzen gar nichts nennenswert Positives finden ließe, auch nach reichlicher Überlegung nicht und wir uns in einem Kontext der Kollaboration befinden, dann kann man diese Kollaboration getrost vergessen).
- Das Positive nicht nur wahrnehmen, sondern explizit würdigen, und zwar mindestens genauso ausführlich und differenziert, wie man sich dem Kritischen widmet.
- Mit dem Positiven beginnen. (Die Antwort auf die sehr herausfordernde Frage, warum dies sinnvoll ist, überlasse ich in diesem Fall gerne Ihnen, liebe, kluge, lesende Person.)
- Kritikpunkte als Schattenseiten von Stärken und Potenzialen sehen und möglichst nicht als ganz genuine, große „Defizite“.
- Sich überlegen, was man eigentlich erreichen möchte mit seinem Feedback und auch ganz generell im jeweiligen Situations- und Beziehungsgefüge.
- Sich fundiert vorbereiten, auf den Inhalt und auch auf das Wording und d.h. auch berücksichtigen, was wohl wie beim Gegenüber ankommen könnte.
- Regelmäßige Rückkoppellungen einbauen derart, dass man den/die Feedbackempfänger/in fragt, was er/sie mit den Punkten anfangen kann.
- Gemeinsam geteilte Schlussfolgerungen und hilfreiche Handlungsschritte identifizieren.
- Realistische Unterstützung anbieten.
- Einen positiven Abschluss finden.
Natürlich gibt es auch auf der anderen Seite, der Seite der Feedbackempfänger, Punkte die beherzigenswert sind für die konstruktive Aufnahme von Feedback. Als da wären z.B.:
- Erst einmal zuhören.
- Nachfragen, um besser zu verstehen statt gleich dagegenzuhalten oder sich zu rechtfertigen.
- Gute Absichten annehmen beim Feedbackgebenden.
- Das Feedback als Angebot und Lernchance betrachten (und Lernen kann man bekanntlich immer, selbst wenn die empfangene Kritik überzogen sein sollte).
- Und falls es besonders emotional geworden ist: Erst einmal etwas sacken lassen statt gleich zu schießen oder sich final ins Schneckenhaus zurückzuziehen.
Soweit die ebenso schöne wie schlichte Theorie. Die meisten würden natürlich zu alledem sagen: „Absolut nichts Neues“ und „Kann ich alles. Tue ich vielleicht nicht immer, aber doch ganz schön oft“ – Sie sicher auch, liebe lesende Person. Natürlich! Aber, ehrlich, wie oft und wie konsequent tun Sie’s wirklich? Und bevor Sie jetzt sagen, „kein Thema“, vielleicht fragen Sie kurz noch mal ein paar Leute, die von Ihnen in letzter Zeit ein Feedback abbekommen haben, besonders eines der kritischeren Art. Und falls sich dann herauskristallisieren sollte, möglicherweise auch im Rahmen einer realistischen Selbstreflexion, dass da doch noch Optimierungsmöglichkeit besteht: Gehen Sie sie an.
Konstruktives Feedback kann man – so wie professionelles Kommunizieren generell – üben. Es lohnt sich. Man kann es selbst für sich tun. Man kann es im Team oder in der ganzen Organisation auch miteinander tun. Zuerst braucht es dafür eine kleine Analyse, was schon jetzt in Bezug auf den Umgang mit Feedback gut läuft und woran es bisweilen hakt. Ersteres sollte man stabilisieren und ausbauen. Letzteres sollte man als Ausgangspunkt nehmen, um ein paar (weniger ist mehr!) Strategien zu überlegen, wie man das verbessern kann. Und dann geht es ans Umsetzen und an die Frage, wie man Nachhaltigkeit in erzielte Verbesserungen bringt.
Alles kein Zauberstück. Man muss es nur tun: ernsthaft, konsequent, lernbereit und langfristig! Und wenn man es tut, wird man nach und nach immer mehr erleben, dass es sich lohnt, das zu tun, weil dadurch Beziehungen und Ergebnisse besser werden – für alle Beteiligten.