12. Dezember 2017

Coaching in agilen Kontexten

Im allgemeinsten Sinn würde ich Coaching als aktivierende Hilfe zur effektiven Selbsthilfe definieren. Konkreter: Der Coach unterstützt den Coachee (oder auch mehrere) in einer herausfordernden Situation als Sparringspartner auf näherungsweise gleicher Augenhöhe auf der Basis eines Anliegens des Coachees. Das, was der Coach dabei vor allem tut, ist zuhören, erkundende Fragen stellen, reflektieren, Hypothesen und Ideen anbieten sowie Feedback geben mit dem Ziel, die Fähigkeiten, Ideen und Motivation des Coachees zu aktivieren, so dass dieser zu bestmöglichen eigenen Lösungen findet.

Als systemisch bezeichne ich Coaching dann, wenn dabei gezielt und systematisch systemische Haltungen, Methoden und Sichtweisen zum Tragen kommen, wie etwa die klare Kenn­zeichnung der Ideen und Inter­ventionen des Coachs als bloße Angebote, die durchgängige Verwendung systemischer Fragen, aktive Hypothesen­bildung, multi­perspektivische Betrachtungs­weisen, die Fokussierung von Kontext­bedingungen und Inter­aktions­zusammen­hängen sowie eine, bezogen auf Handlungs­strategien, experimentell-ausprobierende und neugierig-reflektierende Grundhaltung.

Wenn es darum geht, Teams und Einzelne bei der Einführung, Nutzung und Weiterentwicklung agiler Methoden und Organisationsformen zu unterstützen, scheint es mir sinnvoll, Coachingaktivitäten auf drei Ebenen zu unterscheiden:

  1. Coachingaktivitäten für Mitglieder eines agilen Teams aus einer entsprechenden Teamrolle heraus (wie z.B. der des Scrum Masters).
  2. Coachingaktivitäten gegenüber agilen Teams oder einzelnen Mitgliedern durch Linienvorgesetzte in Situationen, in denen das Team aus sich heraus nicht hinreichend weiterkommt.
  3. Coachingaktivitäten für agile Teams oder relevante Personen in deren Umfeld durch spezialisierte externe oder interne agile Coaches.

Was macht diese Aktivitäten jeweils aus und was unterscheidet sie? Schauen wir zunächst auf die teaminternen Coachingaktivitäten. In agilen Teams braucht es meist jemanden, dessen Aufgabe es ist, dafür zu sorgen, dass die methodische Struktur, die zeitliche Taktung und insgesamt die Stringenz des Prozesses eingehalten werden, so wie es etwa ein Scrum Master tun sollte. In dieser Rolle ergeben sich Coachingbedarfe z.B. dann, wenn sich das Team mit einer Entscheidung schwer tut, Motivationsprobleme oder Teamkonflikte entstehen. In solchen Momenten ist nicht ein methodischer Taktgeber, sondern ein Coach gefragt.

Kommt ein agiles Team mit einem internen Thema, wie etwa einem Konflikt, einer Rollen- oder Ressourcenfrage oder einem relevanten Schnittstellenthema gar nicht aus sich heraus klar, dann gibt es den jeweiligen Vorgesetzten als weitere Unterstützungs- und Eskalationsinstanz. Der Vorgesetzte kann dabei als Sparringspartner agieren, um dem Team zu mehr Klarheit oder Handlungsideen zu verhelfen. Er kann aber natürlich auch selbst seinen Einfluss informell oder formell geltend machen, um zu helfen, das Problem zu lösen. Im ersten Fall agiert der Vorgesetzte eher als Coach, im zweiten eher als Wegbereiter oder Entscheider. Natürlich sind auch Mischungen aus diesen beiden Rollen möglich.

Gilt es, agile Methoden und Organisationsformen neu einzuführen, in ihrer Wirksamkeit weiterzuentwickeln oder über bestehende Bereiche auf neues Terrain zu übertragen, so wird es immer auch spezialisierte interne oder externe Coaches brauchen, die zwar nicht als Entscheider, wohl aber als professionelle Sparringspartner zur Verfügung stehen, um Fragen, wie mit Voraussetzungen, Methoden, Spielregeln, Rollen, kulturellen Barrieren etc. umgegangen werden soll, zu klären. Diese Coaches, die insbesondere auch über Erfahrungen und Kenntnisse mit der (Weiter-)Entwicklung von und dem Umgang mit agilen Arbeitsweisen und Methoden verfügen sollten, werden heute oft als „agile Coaches“ bezeichnet.

Es braucht also, und dies unterstreichen auch die diesbezüglichen Ergebnisse einer von mir im Sommer 2017 durchgeführten Befragungsstudie (siehe dazu den Blogbeitrag „Erfahrungen mit agilen Arbeitsformen. Eine Studie“) alle drei Ebenen von Coaching Aktivitäten, damit agile Methoden und Organisationsformen möglichst wirksam und stimmig gestaltet und genutzt werden können. Dies gilt ganz besonders dann, wenn das jeweilige Umfeld mit agilen Arbeitsweisen noch nicht sehr vertraut ist. Aber selbst in agil versierten Organisationen gibt es immer wieder Herausforderungen, die es erforderlich machen, dass ein coachender Sparringspartner nicht nur innerhalb, sondern auch jenseits der jeweiligen Teamgrenzen diese erfolgreich handelt.

Geht man davon aus, wie die Ergebnisse der o.g. Befragungsstudie nahelegen, dass kulturelle Barrieren, gefolgt von Rollen- und Organisationsproblemen die größten Hindernisse auf dem Weg agiler Organisationsentwicklung sind, dann wird gleichzeitig klar: agile Taktgeber ebenso wie die jeweiligen Führungskräfte und erst recht professionelle agile Coaches, benötigen nicht nur allgemeine Coachingskills und fundierte Erfahrungen im Umgang mit agilen Arbeitsweisen, sondern auch systemisches Coaching-Knowhow. Ein solches Knowhow ist dabei hilfreich (und nicht selten auch notwendig), die verschiedenen Perspektiven innerhalb agiler Teams, zwischen den Mitgliedern agiler Teams und denen nicht-agiler Organisationseinheiten, zwischen Vertretern verschiedener Hierarchieebenen, agil Erfahrenen und Unerfahrenen, Begeisterten und Skeptikern, Vorwärtsdrängenden und Behutsamen etc. wahrzunehmen, zu würdigen und in ein möglichst konstruktives Zusammenspiel zu bringen.

Literatur

  • Hölscher, St. (2017). Warum Agilität kein Allheilmittel ist. Zeitschrift für Organisationsentwicklung, 4/2017
  • Hölscher, St. (2015). Die neue Mitarbeiterführung. Führen als Coach. München: C.H. Beck.
  • Hofert, S. (2016). Agiler führen. Einfache Maßnahmen für bessere Teamarbeit, mehr Leitung und höhere Kreativität. Springer Gabler.
  • Komus, A. (Hrsg.) (2017). Abschlussbericht Status Quo Agile 2016/2017 der 3. Studie über Erfolg und Anwendungsformen von agilen Methoden. Hochschule Koblenz, University of Applied Sciences.
  • Laloux, F. (2016). Reinventing Organizations. Ein illustrierter Leitfaden sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. Vahlen.
  • Oestereich, B., & Schröder, C. (2017). Das kollegial geführte Unternehmen. Ideen und Praktiken für die agile Organisation von morgen. Vahlen

 

 

Über den Autor

Dr. Stefan Hölscher verbindet fundierte psychologische Erfahrung mit Klarheit und humorvoller Pointierungslust. Er liebt intensive Reflexion als Grundlage für kraftvolle Impulse: als Coach und Trainer ebenso wie als Autor und kreativer Geist.


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Kein Coachinggespräch gleicht dem anderen. Effektives Coaching erfordert in jedem Moment situatives, nicht schematisches Agieren und Reagieren.

Dr. Stefan Hölscher - Partner, Metrion Management Consulting