Was ist das Problem?
Schlechte Personalauswahl kostet Nerven, Produktivität, Geld und Reputation – Bewerber und vor allem Arbeitgeber! Hier entdecken Sie Wege, wie es besser geht. Worin liegt das Problem?
Da ist zum einen das scheinheilige Spiel der Eitelkeiten, die reine Fassade: Der ideale Kandidat bewirbt sich beim besten Unternehmen der Welt auf die beste Art und Weise von allen Bewerbern auf eine Stelle, die alle nur denkbaren Vorteile und Annehmlichkeiten bietet. Der Bewerber schreibt und sagt, was das Unternehmen hören will (oder was er dafür hält) – von irgendetwas muss man ja leben. Das Unternehmen schreibt und sagt, was Bewerber hören wollen (oder was es dafür hält) – ist ja schließlich Fachkräftemangel! Und dann wählt man mit den bewährten Instrumenten aus: Anschreibenprüfung, Lebenslaufinterpretation, Recherche im Internet, Interviews mit Standardfragen der Ratgeberliteratur. Das habe ich an anderer Stelle beschrieben (Von einem, der auszog, das Recruiting zu lernen).
Wie erschreckend defensiv und rückwärtsgewandt ist so etwas in einer VUCA-Welt! Dabei kann eine Stellenbesetzung so unendlich viel mehr sein als ein schlechtes Schauspiel, bei dem Bewerbungsratgeber das Drehbuch schreiben und Unternehmen und Bewerber hilflose Statisten sind. Klar, das Bewerbungstheater hat Tradition und wird – auch dank der Ratgeberliteratur – erwartet: Ein Teufelskreis des Erwartungsmanagements!
„Und? Wenn es nützt“, höre ich Sie sagen, „so lass uns doch Theater spielen!“ Nichts gegen Theater in Organisationen – aber das ist schlechtes Theater, schädliches Theater. Es ist schlechtes Theater, weil beide Seiten sich nicht kennen lernen. Es ist schlechtes Theater, weil beide Seiten nicht ausreichend wissen, worauf sie sich einlassen. Es ist schlechtes Theater, weil Beurteilungsfehlern (wie den berüchtigten Kahneman‘schen Biases) Tür und Tor geöffnet wird. Beurteilungsfehler wiederum auf beiden Seiten, nicht nur beim künftigen Arbeitgeber, auch beim Bewerber. Beide Seiten entscheiden nach dem Bauchgefühl (mit „professioneller“ Intuition, mit dem Herzen). Dann wird die Entscheidung rationalisiert (d.h. nachträglich begründet), oft mit geradezu absurden Begründungen (wie der Stärke des Händedrucks, der Festigkeit der Stimme, der Sprechgeschwindigkeit und so weiter).
Was tun?
Maßnahmen zur Erhöhung der Trefferquote in der Personalauswahl sind kein Hexenwerk. Nutzen Sie dazu die seit Jahrzehnten bewährten wissenschaftlichen Erkenntnisse der Eignungsdiagnostik. Dabei geht es nicht darum, anderen „in den Kopf“ zu schauen und den ganzen Menschen kennenzulernen. Wer behauptet, das zu können, ist ein Scharlatan. Es geht darum, berufsbezogene Leistung besser vorhersagen zu können als nur mit dem Bauch oder dem Würfel – wobei würfeln preiswerter und nicht immer schlechter ist (zumindest fairer). Es geht wesentlich besser. Es geht messbar besser.
Was kann das konkret heißen? Hier einige Ansätze zur Erhöhung der Trefferquote:
- Beginnen Sie mit der Analyse der Anforderungen der zu besetzenden Stelle. Sprechen Sie dazu mit Vertretern des Fachbereichs und aus dem weiteren Umfeld der Stelle – nicht nur mit der künftigen Führungskraft - über Situationen, die entscheidend für die berufliche Leistung sind. Erfragen Sie, welches Verhalten hier gut, vertretbar und welches schlecht ist.
- Kreieren Sie Online Karriereseiten mit Stellenausschreibungen, die die Zielgruppe ansprechen. Und versprechen Sie nichts, was Sie nicht halten können. Und denken Sie dran: „culture eats recruiting for breakfast“. D.h.: arbeiten Sie an der materiellen und immateriellen Arbeitsumgebung Ihrer Organisation, damit Sie Ihr Unternehmen guten Gewissens bewerben können
- Achten Sie auf Passung des Bewerbers zur Stelle und umgekehrt. Geben Sie Bewerbern die Möglichkeit die Stelle und Ihr Unternehmen kennenzulernen. Packen Sie den Bewerber nicht in Watte. Sprechen Sie auch über Herausforderungen.
- Nutzen Sie zur Vorauswahl kognitive Eignungstests (umgangssprachlich: Intelligenztests). Besonders für entscheidende Positionen. Immer – ja wirklich immer - für Stellenbesetzungen im Management.
- Führen Sie strukturierte Interviews (egal ob am Telefon, per Video oder vor Ort). D.h. stellen Sie allen, mit denen Sie sprechen dieselben Fragen. Die Fragen haben Sie aus der Anforderungsanalyse entwickelt. Legen Sie ein Schema fest, wie Sie die Antworten bewerten. Führen Sie Interviews nur geschult und nur zu zweit.
- Ignorieren Sie Beratungsangebote, Software oder gar künstliche Intelligenz zur Personalauswahl, wenn ihre Wirkung nicht eignungsdiagnostisch bestätigt wurde oder um ihre Entscheidungsregeln ein Geheimnis gemacht wird. Eine künstliche Intelligenz mit programmiertem Bauchgefühl ist nicht besser als ein Mensch mit Bauchgefühl!
Und das Bauchgefühl?
Das Bauchgefühl, die Intuition ist dann wertvoll, wenn die Bewerber zuvor qualitativ hochwertig (standardisiert nach den Regeln des diagnostischen Handwerks) ausgewählt worden sind und die Stelle möglichst realistisch dargestellt wurde. Sonst verhungern Sie nach guter Auswahl, entscheidungs-unfähig zwischen zwei gleich geeigneten Bewerbern wie Buridans Esel zwischen zwei gleich großen und gleich weit entfernten Heuhaufen.
Ach ja, ich sprach ja davon, wie Organisationen das lernen können. Ich meine durch Rebellion. Was ist damit gemeint? Eignungsdiagnostische Aufklärung für gute Personalauswahl – dazu haben sich die recruitingrebels, die demnächst als Verein eingetragen und gemeinnützig werden, verschworen. Wir werden mit Ihrer, der Praktiker, Hilfe den Teufelskreislauf des Bewerbungstheaters durchbrechen, damit es weniger frustrierte Stelleninhaber und weniger enttäuschte Arbeitgeber gibt. Damit es fair und transparent zugeht in Personalabteilungen.
Unsere Rebellion ist kein spätpubertäres Dagegensein, kein Kampf gegen Autoritäten. Es geht uns nicht um eine Zurschaustellung derjenigen, die nicht so handeln wie wir das für unabdingbar richtig halten. Unsere Rebellion ist Aufklärung auf Basis des wissenschaftlichen Status Quo in der Personalauswahl mit ihren Standards. Unsere Rebellion ist Diskussion und Kampf um Aufmerksamkeit. Unsere Rebellion ist angewandte Weisheit und persönliche Meisterschaft, darum Dinge auf kollaborative, soziokratische und wertvolle Weise zu verändern. Unter dieser Perspektive sind wir Rebellen: #recruitingrebels.
Lesetipps:
Ackerschott, Harald: Grundlagen der Eignungsdiagnostik III: Das Interview, https://www.linkedin.com/pulse/grundlagen-der-eignungsdiagnostik-folge-iii-das-Interview
Ackerschott, Harald; Gantner, Norbert; Schmitt, Günter: Eignungsdiagnostik. Qualifizierte Personaölentscheidungen nach Din 33430, Berlin, Wien, Zürich 2016
Diagnostik- und Testkuratorium (Hrsg.): Personalauswahl kompetent gestalten. Grundlagen und Praxis der eignungsdiagnostik nach Din 33430, Wiesbaden 2018
Diercks, Joachim; Kupka Kristof (Hrsg.): Recrutainement, Spielerische Ansätze in Personalmarketing und –auswahl. Wiesbaden 2013
Knabenreich, Henner: Karriere-Websites mit WoW!-Effekt. Wie Sie Karriereseiten gestalten, denen kein Bewerber widerstehen kann. Wiesbaden 2019
Krause, Diana Eva (Hrsg.): Die wichtigsten diagnostischen Verfahren für das Human Resources Management, Wiesbaden, 2017
Lüthy, Anja; Ehret, Tanja: Krankenhäuser als attraktiver Arbeitgeber, Stuttgart, 2014
Raschke, Marc: Warum das Klinikum Dortmund keine Probleme hat, Krankenpfleger zu finden: https://twitter.com/i/status/1194525403148423168
Verhoeven, Tim (Hrsg): Digitalisierung im Recruiting. Wie sich Recruiting durch künstliche Intelligenz, Algorithmen und Bots verändert. Wiesbaden 2019