15. September 2013

Vertrauen schaffen

In einer Welt, die stark zusammen gewachsen und sehr komplex geworden ist, und die infolge dessen immer wieder neue Überraschungen und Verände-rungsschübe hervorbringt, ist Vertrauen zur vielleicht wichtigsten Unter-nehmensressource geworden. Vertrauen in die Mitarbeiter ist notwendig, damit diese auch durch eigene Initiative und ohne prüfenden Blick auf ihr Arbeitszeitkonto originelle Lösungen für unerwartet auftauchende Probleme entwickeln. Vertrauen ist umgekehrt auch in die Führung des Unternehmens notwendig, damit die Mitarbeiter annehmen können, dass sie ernst genommen werden und sich ihre Mühe lohnt. Ohne Vertrauen droht eine Art organisationaler Burnout: anstelle von kreativen Initiativen innerer Rückzug und das Abspulen von Routinen, anstelle von Leistungsmotivation Dienst nach Vorschrift, anstelle von Stolz und Freude Verzagtheit, Opfergefühle, Pessimismus, Gleichgültigkeit in Bezug auf Qualität und Kundenzufriedenheit etc.

Die Erfahrungen der letzten Jahre und Jahrzehnte haben leider dazu geführt, dass Vertrauen zu einem ziemlich knappen Gut geworden ist. Beispiele dafür gibt es reichlich, u.a. Downsizing-Programme ohne Rücksicht und Interesse für das Schicksal langjähriger und verdienter Mitarbeiter trotz guter Unter-nehmensgewinne; eine Preispolitik in manchen wettbewerbsschwachen Branchen, die scheinbar ohne Rücksicht auf Verbraucher mit unglaubwürdigen Begründungen herausholt, was nur irgendwie herauszuholen ist; unver-hältnismäßig, teilweise obszön hohe Managergehälter, scheinbar unabhängig vom Unternehmenserfolg, bei gleichzeitigen Ermahnungen an alle anderen, den Gürtel enger zu schnallen; ein unverantwortliches und im Ergebnis desaströses Verhalten in weiten Teilen des Finanzsektors, scheinbar ohne nennenswerte Konsequenzen. Dazu passt der allgemeine Vertrauensverlust in die Politik und in die Politiker. Das alles wird von Medien berichtet, die untereinander in hartem Wettbewerb stehen und die deshalb nicht selten zu Übertreibungen neigen. Stimmungsmache verkauft sich gut. Selbst dort, wo eigentlich nichts zu bemängeln ist, wird nach Skandalen gesucht und, wenn nötig, werden manchmal auch welche erfunden. Natürlich hinterlässt das Wirkung, besonders bei ohnehin schon verunsicherten Menschen. Davon gibt es nicht wenige in den meisten der Unternehmen, die wir kennen, aus unterschiedlichen Gründen und in unterschiedlicher Anzahl.

Wenn Vertrauen so wichtig geworden und gleichzeitig so gefährdet oder bereits beschädigt ist, wie kann es Führungskräften dann gelingen, in einem misstrauisch gewordenen Umfeld Vertrauen aufzubauen, zu erhalten oder zurück zu gewinnen? Zum Glück gibt es auch dafür Beispiele. Nach unserer Erfahrung sind vor allem die folgenden fünf Eckpunkte bzw. Cluster ausschlaggebend:

 

Sinn:

Arbeit wird gewöhnlich dann als sinnvoll erlebt, wenn ihr Ergebnis im Verständnis der Menschen wertvoll ist, und zwar nicht nur ökonomisch. Das Gefühl "es ist für eine gute Sache" schafft eine Grundlage für die Identifikation mit der Aufgabe, und mit ihr entstehen Anstrengungsbereitschaft sowie Vertrauensbereitschaft - Vertrauen z.B. darin, dass die Arbeit letzten Endes erfolgreich sein wird.

Zugänglichkeit, Zuversicht und Ehrlichkeit:

Um Vertrauen in die Kompetenz und in die Integrität von Führungskräften zu entwickeln, müssen diese zunächst einmal zugänglich sein. Eine offene Tür und ein offenes Ohr sind die Mindestvoraussetzungen. Wichtig ist, dass sie ihren Mitarbeitern wirklich zuhören und sich dabei auch emotional berührbar zeigen. Wenn sie ihren Mitarbeitern für eine bestimmte Zeit ihre uneingeschränkte Aufmerksamkeit geben und sich offenkundig mit Kopf und Herz auf die Gesprächssituation einlassen, schaffen sie Vertrauen. Managementroboter wären dazu nicht in der Lage. Führungskräfte sollten sich gleichzeitig professionell und zuversichtlich zeigen, wissend, worauf es ankommt und was grundsätzlich zu tun ist. Das Gefühl von Sicherheit auch in unsicheren Situationen steckt an - und umgekehrt. Ihre Aussagen müssen aber auch ehrlich sein. Nicht alles, was sie wissen, müssen sie sagen, aber das, was sie sagen, muss stimmen. Es gilt darüber hinaus, die größtmögliche Transparenz herzustellen, weil sich so der Verdacht einer "hidden agenda" und die in schwieri-geren Zeiten unvermeidliche  Gerüchtebildung am besten eindämmen lassen, und weil die Mitarbeiter valide Informationen brauchen, um konstruktiv mitdenken und eigenverantwortlich handeln zu können. Das gilt prinzipiell auch für die Übermittlung von "Bad News".

Dialog und Einbindung:

Die Anforderungen in einem komplexen Umfeld benötigen das gesamte verfügbare  Reservoire an Wissen, Erfahrung und Kreativität. Eine Kultur des Miteinanders ist erforderlich. Die Mitarbeiter müssen sich dazu eingeladen fühlen und sich mit dem Unternehmen und seiner generellen Zielrichtung identifizieren. Dafür benötigen sie Informationen (siehe oben), Diskussionsmöglichkeiten und Handlungsspielräume, eventuell auch Zuspruch und Ermunterung. Loyalität und Selbstvertrauen zu entwickeln fällt meistens leichter, wenn anerkannte Führungskräfte sagen, dass sie Vertrauen haben in die Kompetenz ihrer Mitarbeiter und in die Verantwortlichkeit ihres Tuns. Das wichtigste Instrument dafür ist der Dialog. Die Kommunikation über die Ebenen hinweg kann und sollte eventuell auch über das persönliche Gespräch hinausgehen, z.B. via elektronische Foren, Newsletters oder Podcasts. Wichtig ist die möglichst zügige Umsetzung von Mitarbeiterideen, soweit sie das nicht in eigener Verantwortung selbst erledigen können. Überhaupt ist rasches und ein möglichst direktes Feedback wichtig sowie ehrliche Anerkennung für eingebrachte Ideen und gezeigten Einsatz. Wenn bestimmte Vorschläge aus guten Gründen nicht umgesetzt werden können, ist nichtsdestotrotz eine Würdigung und eine glaubwürdige Begründung der Ablehnung erforderlich.

Fairness, Respekt und Anstand:

Der Aufbau und die Aufrechterhaltung einer Vertrauenskultur hängen unmittelbar mit der Qualität der Beziehungen zwischen Führungskräften und Mitarbeitern zusammen. Auch der oben genannte zweite und dritte Eckpunkt setzen gute Beziehungen voraus. In diesem vierten Punkt geht es um die allgemein praktizierten Regeln und Werte der Zusammenarbeit.

Fairness bedeutet, sich gemäß vernünftiger und im Hinblick auf die Interessen der beteiligten Menschen ausbalancierter Regeln zu verhalten, und zwar auch dann, wenn andernfalls kurzfristige persönliche Vorteile zu erzielen wären. Respekt betrifft die Person des Gegenübers und basiert auf dem Grundsatz, dass der andere auf einer fundamental menschlichen Ebene vollkommen gleichwertig ist. Anstand gründet im Kern auf der Idee, den anderen so zu behandeln, wie man selbst von anderen behandelt werden möchte.

Konsistenz und Stabilität der wesentlichen Werte und Regeln:

Gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit sind die Grundlage für eine Vertrauenskultur. Sie bildet sich langsam heraus und kann binnen Sekunden zerstört werden. Für Menschen ist es wichtig, sich auf die Gültigkeit der für sie wichtigen Regeln und Werte verlassen zu können, auch auf die ungeschrie-benen. Das Erleben von Inkonsistenz (z.B. wenn manche Äußerungen einfach nicht zueinander passen) oder schon die Befürchtung, dass bestimmte, für die Menschen identitätsstiftende Werte und Regeln infrage gestellt werden, sorgen gewöhnlich für große Aufregung und  aufkeimendes Misstrauen. Natürlich müssen trotzdem immer wieder tradierte und ehemals sinnvolle Regeln oder auch Werte verändert werden. Dies sollte aber nicht verdeckt oder "einfach so" geschehen, sondern möglichst offen, mit nachvollziehbaren Begründungen und einer angemessenen Würdigung des jetzt Überholten.

Die beschriebenen fünf Punkte sind  - jeder für sich und im Zusammenhang - essentiell für die Aufrechterhaltung oder Herstellung einer Vertrauenskultur. Natürlich kann man Vertrauen nicht einfach "machen". Es entsteht von alleine, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind und wenn die Menschen die Möglichkeit haben, entsprechende Erfahrungen zu machen. Wenn das Vertrauen beschädigt ist, wird es schwieriger. Die Menschen wollen dann von der Nachhaltigkeit der kommunizierten Botschaften und des gezeigten Verhaltens ganz besonders überzeugt werden. Das kann im Einzelfall sehr langwierig und für die verantwortlichen Führungskräfte frustrierend sein. Positive Über-raschungen, die dem negativen Erwartungsmuster der Mitarbeiter wider-sprechen, können Impulse im gewünschten Sinne setzen. Diese müssen dafür aber erst einmal wahrgenommen und so wie gemeint verstanden werden. Redundanz ist deshalb wichtig. Sprechen die wichtigsten Führungskräfte nicht mit einer Stimme, passen Worte und Taten nicht überein oder werden zentrale Botschaften faktisch und ohne glaubwürdigen Grund schnell wieder zurück genommen, wird der Vertrauensaufbau nicht gelingen. Im Gegenteil: Enttäuschte Hoffnungen werden einen (zusätzlichen) Flurschaden anrichten, der es in Zukunft noch schwerer werden lässt, das notwendige Vertrauen zurück zu gewinnen.

Über den Autor

Wolfgang Reiber liebt es, die Dinge ganzheitlich zu betrachten, etwa das Zusammenspiel zwischen wirtschaftlichen, psychologischen und politischen Aspekten in Organisationen und Gesellschaft. Gemeinsam darüber nachzudenken, was ist, was sein sollte und wie es gehen könnte, mit Respekt und mit einer Prise Humor, das schätzen er und seine Kunden ganz besonders.


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In Hierarchien wird der Zusammenhalt durch abstrakte Regeln und Macht gewährleistet. In Netzwerken und Teams durch Identifikation und Vertrauen.

Wolfgang Reiber - Partner im Ruhestand, Metrion Management Consulting