Dieser Artikel basiert auf dem gleichnamigen Kapitel im Buch von Wolfgang Reiber „Vom Fachexperten zum Wissensunternehmer. Wissenspotenziale stärker nutzen, die persönliche Wirksamkeit erhöhen“, SpringerGabler Verlag 2012
I. Überzeugen-Überreden-Manipulieren
Wenn wir überzeugt sind, sind wir entschieden und handeln gewöhnlich dementsprechend. Manchmal liegt dem eine gründliche Analyse zugrunde, manchmal handeln wir spontan und lassen uns von flüchtigen Eindrücken und Gefühlen leiten. Und manchmal werden wir im Zuge eines offenen und ehrlichen Dialoges überzeugt.
Überzeugt werden im Dialog heißt, sich aufgrund von mehr oder weniger differenzierten Überlegungen den persönlichen Vorstellungen, Einschätzungen, Meinungen oder Empfehlungen eines anderen zumindest in wichtigen Teilbereichen anzuschließen. Wenn wir auf eine sorgfältige Analyse verzichten, zum Beispiel weil wir abgelenkt sind, es eilig haben, das Thema für uns nicht wichtig ist, wir erschöpft, verunsichert oder gestresst sind, neigen wir dazu, uns anhand einfacher Faustformeln zu entscheiden. Wir beachten dann nicht alle eigentlich zur Verfügung stehenden Informationen sondern beschränken uns auf sehr wenige, unter Umständen auf eine einzige. Dadurch gewinnen wir Zeit und sparen Energie, eventuell leidet die Qualität (jedoch nicht unbedingt), und vor allem sind besonders anfällig für Manipulationen aller Art. Beispiele für Faustformeln sind „Präferenz hat, was man kennt“ oder „Take the Best“. Bei letzterer sind nur ein, zwei oder höchstens drei Gründe für die Entscheidung ausschlaggebend, nicht mehr. Dabei kann es sich um die rasche Verfügbarkeit eines bestimmten Artikels handeln (auch wenn er teurer ist als andere), die Einfachheit der Bedienung oder die schöne Form.
Andere spontane Entscheidungen gründen auf intuitiven Wahrscheinlichkeitseinschätzungen, die davon abhängen, wie schnell uns passende Beispiele einfallen (jüngere Ereignisse beeinflussen uns deutlich mehr als länger zurück liegende), oder inwieweit wir persönlich schon entsprechende Erfahrungen gemacht haben oder auch, wie gut wir uns das, worum es geht, vorstellen können. Für unser spontanes Entscheidungsverhalten wichtig ist weiterhin das sogenannte Kontrastprinzip: Wir überschätzen oder unterschätzen oft Differenzen, nachdem wir zuvor einen bestimmten Referenzwert innerlich festgelegt, also eine Art Anker gesetzt haben. Zeigt uns ein Verkäufer zum Beispiel einen astronomisch teuren Anzug und danach einen deutlich billigeren, der aber auch überteuert ist, erscheint uns dieser zunächst preislich ganz moderat. Oder ein anderer Verkäufer zeigt uns eine Immobilie in einem sehr schlechten Zustand, die obendrein noch sehr teuer sein soll, und danach eine andere, ebenfalls sehr teure, in akzeptablem Zustand. Den meisten von uns erscheint dann die zweite viel günstiger als sie es objektiv ist.
Kohärenz und Plausibilität unserer Vorstellungen sind entscheidend für unser Gefühl von Sicherheit, die Menge und Qualität der zugrunde liegenden Informationen sind dafür unwichtig. Was wir hören und sehen löst bestimmte Assoziationen in uns aus. Wir legen uns umgehend auf dieser Grundlage eine möglichst einfache Geschichte zurecht und entwickeln dabei das gute Gefühl: „So ist es!“ Eventuelle Zweifel und Zwiespältigkeit werden tendenziell unterdrückt. Daniel Kahnemann, ein bekannter Sozialpsychologe und Nobelpreisträger, nennt dieses Phänomen „WYSIATI“ (What you see is all there is). Einzelfälle und kleine Stichproben werden, ohne dass es uns bewusst wird, einfach hochgerechnet. Man könnte sagen, im normalen Alltag gewinnt meistens Plausibilität gegenüber Logik und kritischem Denken. Was eventuell nicht passt, wird durch unsere eigene Geschichtsschreibung passend gemacht. Und häufig konstruieren wir Kausalität, wo tatsächlich Zufall herrscht. Ein Beispiel ist das Spielkasino, wo die meisten Menschen beim Roulette auf schwarz setzen, einfach nur, weil zuvor dreimal hintereinander rot gekommen ist.
Faustformeln, Wahrscheinlichkeitseinschätzungen und Plausibilität bestimmen zu einem großen Teil unser (spontanes) Entscheidungsverhalten. Darüber hinaus kommen sechs Prinzipien ins Spiel, die uns ebenfalls beeinflussen, ohne dass uns dies immer bewusst ist:
1.Reziprozität:
Stabile menschliche Interaktionen benötigen längerfristig ein Gleichgewicht aus Geben und Nehmen. Diese Regel ist bei den meisten Menschen tief verankert. Wer beispielsweise unaufgefordert ein kleines Geschenk erhält, spürt normalerweise umgehend eine gewisse Verpflichtung, sich zu revanchieren – es sei denn, wir vermuten bei dem anderen Kalkül.
2.Commitment und Konsistenz:
Wer sich einmal festgelegt hat, wird die Neigung spüren, bei diesem Standpunkt konsequent bzw. konsistent zu bleiben, besonders dann, wenn er es ausdrücklich und im Beisein anderer getan hat. Diese Eigenschaft ist in unserer Kultur normalerweise hoch angesehen und es entspricht häufig auch dem eigenen Selbstverständnis. Die Tendenz, bei der einmal getroffenen Entscheidung zu bleiben, verstärkt sich noch, wenn diese etwas gekostet hat, Geld, Mühe oder auch „nur“ Zeit.
3.Soziale Bewährtheit:
Wir orientieren unser Entscheidungsverhalten oft daran, was andere für richtig halten, besonders dann, wenn die Situation unklar oder mehrdeutig ist. In dem Fall gehen wir – ohne uns dabei viel zu überlegen – davon aus, dass die Menschen, die dasselbe tun, etwas wissen, das wir nicht wissen. Diese Tendenz wirkt umso stärker, je ähnlicher wir diejenigen finden, auf die wir dabei schauen.
4.Sympathie:
Wir lassen uns leichter von Menschen überzeugen, die wir sympathisch finden. Sympathie entsteht u.a. aus empfundener Ähnlichkeit (im Hinblick vor allem auf Meinungen, Interessen, Lebensstil, Herkunft, Charaktereigenschaften) und aus Vertrautheit. Wen wir kennen, den finden wir vergleichsweise sympathisch. Bereits die bloße Assoziation mit Bekanntem wirkt, zum Beispiel wenn jemand einer sehr positiv bewerteten Abteilung oder Organisation angehört. Außerdem machen Komplimente sympathisch, selbst wenn wir es eigentlich nicht wollen, es sei denn, das Kalkül des Schmeichlers ist allzu offensichtlich. Und auch äußere Attraktivität spielt eine Rolle. Gut aussehende Menschen erhalten meist positive Zuschreibungen wie Freundlichkeit, Begabung, Ehrlichkeit etc.
5.Autorität
Der Einfluss von Autoritäten auf unser Verhalten wird von uns selbst oft unterschätzt. Anerkannte Autoritäten liefern uns direkt oder auf subtile Weise Entscheidungshilfen. Bereits ein entsprechendes Image wirkt, außerdem entsprechende Symbole, die wir mit Autorität verknüpfen. Dazu zählen Titel, Kleidung, Accessoires und eventuell auch Luxusgüter wie teurer Schmuck und Autos.
6.Knappheit
Möglichkeiten erscheinen uns umso wertvoller, je weniger sie erreichbar sind. Und ein Mangel an Gütern wird leicht mit deren Qualität verwechselt, besonders dann, wenn sie allgemein begehrt sind. Von besonderer Überzeugungskraft sind aus ähnlichen Gründen (scheinbar) exklusive Informationen.
Was uns an knappen Gütern reizt, ist weniger die Vorstellung, sie zu verwenden, als sie zu besitzen. Die Gefahr, etwas einmal Gewonnenes wieder zu verlieren, kann übrigens noch größere Motivation auslösen als die Chance, etwas Gleichwertiges zu gewinnen. Das ist ein Grund dafür, warum die Gefährdung von Besitzständen große Unruhen hervorrufen kann.
Was können wir aus all diesen Überlegungen ableiten?
Unsere spontanen Einschätzungen und Gefühle können uns sehr täuschen. Auf der Seite des Entscheiders empfiehlt es sich deshalb, aufmerksam zu sein und bei wichtigen Fragen auf spontane Entschlüsse zu verzichten. Zumindest eine Nacht darüber schlafen ist meistens eine gute Idee, und vielleicht introspektiv versuchen, den eigenen Motiven für die gespürten Entscheidungstendenzen auf die Spur zu kommen. Was aber bedeuten die Überlegungen für denjenigen, der überzeugen will, und zwar offen, ehrlich und ohne jede Manipulation? Kann ihm das überhaupt gelingen?
Unter Manipulation versteht man allgemein die zielorientierte, aber verdeckte Beeinflussung des Erlebens und Verhaltens anderer. Manipulierte Menschen handeln nicht aufgrund eigener Einsichten oder Überzeugungen, auch wenn sie dies annehmen. Wer manipulieren will, dem geht es nicht – wie beim Überzeugen – um die Qualität der Problemlösung, sondern um die Durchsetzung seines Willens. Überreden ist eine Stufe dazwischen. Wer jemanden überredet, will ebenfalls sein Anliegen unbedingt durchbringen, allerdings offen. Er wirkt mehr oder weniger penetrant auf den anderen ein und beeinflusst ihn weniger mit Hilfe rationaler Argumente als mit starken Emotionen. Wenn der andere nachgibt, dann eher aus Erschöpfung oder um endlich in Ruhe gelassen zu werden. Zu einem Problem für den erfolgreichen Überreder kann die Fragilität der Vereinbarung werden, denn die Übereinstimmung wird wahrscheinlich nicht sehr nachhaltig sein. Beim Überzeugen ist das anders, hier kann das Zustandekommen einer Übereinstimmung schwierig werden, ist dann aber vergleichsweise stabiler.
Der wichtigste Unterschied zwischen überzeugen, überreden und manipulieren zeigt sich jedoch auf der Beziehungsebene. Wenn es uns gelingt, einen Kollegen zu überzeugen, hat das auf die Beziehung mit ihm eine stärkende Wirkung. Wir sind uns zum Beispiel einig, wie ein bestimmtes Projekt angegangen oder ein Problem gelöst werden sollte, und diese Gemeinsamkeit bindet situativ zusammen. Wer sich dagegen als Kollege oder als Vorgesetzter manipuliert fühlt, sieht sich instrumentalisiert, und die Beziehung wird Schaden nehmen. Um in einer Organisation nachhaltig erfolgreich zu sein, ist eine gute Beziehung mit den wichtigen Bezugspersonen notwendig. Von daher verbietet sich manipulatives Verhalten – eigentlich.
In der Praxis ist der Unterschied zwischen Überzeugen und Manipulieren jedoch oft nicht so klar und eindeutig. Wo fängt eine zielbezogene aber verdeckte Einflussnahme an? Unser Alltag ist voll von Beispielen für bewusste, subtile Einflussnahme, beispielsweise unter Nutzung der oben skizzierten Faustformeln und Prinzipien. Zumindest teilweise machen davon unter anderem die Werbung oder professionell gestaltete PR-Aktionen Gebrauch. Auch die Anordnung der Waren im Supermarkt ist ein Beispiel. Nur: Irgendetwas muss in irgendeiner Weise kommuniziert werden, um zu informieren, und das wird jeweils einen spezifischen Effekt haben. Und die Waren im Kaufhaus müssen irgendwie platziert werden. Es gibt immer Plätze, an denen sich Artikel besser verkaufen als an anderen. Sollte deshalb von Gesetzes wegen gewürfelt werden, was wohin zu stellen ist?
Bekannt ist in diesem Zusammenhang auch das Phänomen, dass neben der Formulierung die Anordnung der Fragen in einem Fragebogen eine starke Auswirkung darauf hat, was am Ende herauskommt. Wenn beispielsweise gefragt wird
a)Wie glücklich sind Sie?
b)Wie oft haben Sie Verabredungen?
werden andere Antworten auf die Glücksfrage herauskommen, als wenn Sie fragen
c)Wie oft haben Sie Verabredungen?
d)Wie glücklich sind Sie?
In irgendeiner Reihenfolge werden die Fragen natürlich immer gestellt werden müssen, und jede Reihenfolge hat eine bestimmte Wirkung. Die meisten Antworten, und auch die meisten Entscheidungen, werden eben nicht als das Ergebnis tiefen Nachdenkens ausgesprochen bzw. getroffen, sondern intuitiv. Wir handeln selten vollkommen rational.
Ähnliches wie für die Platzierung von Waren oder die Reihung von Fragen gilt für unser Verhalten. Egal, was wir tun, wir erzielen immer eine Wirkung, sei es bewusst und absichtsvoll oder nicht bewusst und (scheinbar) absichtslos. Ohne zu überlegen verhalten wir uns normalerweise so, wie wir meinen, dass es unseren eigenen Zielen am meisten nützt. Das kann unsere Sprechweise betreffen, die Wortwahl, die Wahl von Beispielen zur Unterstützung unserer Position oder die Körpersprache. Selbst wenn wir es wollten, können wir nicht verhindern, dass wir nicht nur mit dem rationalen Kern unserer Argumente wirken sondern immer auch mit dem, wie wir sie mitteilen, gleichgültig, ob das bewusst oder nicht-bewusst geschieht.
Die Forderung, jederzeit transparent mit einer grundsätzlich ergebnisoffenen Erwartungshaltung zu handeln, ist eine Überforderung. Es spricht vieles dafür, die Grenzlinie dort zu ziehen, wo eine bewusste Täuschung zur Erzielung eines einseitigen Vorteils ins Spiel kommt. Kleine Manöver zur Verstärkung der eigenen Position, die die grundsätzliche Wahlfreiheit des anderen nicht infrage stellen, sollten erlaubt sein. Sie lassen sich ohnehin auch beim besten Willen kaum vermeiden.
II. Der Prozess des Überzeugens im Dialog
Überzeugen im Dialog ist ein grundsätzlich ergebnisoffener, gemeinschaftlicher und transparenter Prozess. Sein Gelingen hängt von einigen Bedingungen ab.
Derjenige, der überzeugen will, muss
- sagen, was er meint. Das ist nicht immer einfach, denn oft steht nur ein Impuls am Anfang, eine Tendenz bzw. ein Bauchgefühl. Es hat nichts mit kognitiver Beschränktheit zu tun, wenn wir spüren, dass wir etwas Wichtiges zu sagen haben, uns aber momentan die richtigen Worte fehlen. Manchmal wird erst im Zuge des Dialogs klar, was man eigentlich sagen will, gemäß dem Motto von Heinrich von Kleist „über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“.
Derjenige, der überzeugt werden soll, muss
- hören, was der andere sagt. Das erfordert Zuhörbereitschaft und Aufmerksamkeit. Wenn der Adressat der Botschaft gerade im Dauerlauf zur nächsten Sitzung ist, wird es damit nicht weit her sein.
- verstehen, was der andere sagt und meint. Hierfür muss er das Gehörte mit den eigenen Wissensbeständen verknüpfen können. Unbekannte Fremdwörter, Fachchinesisch oder das Voraussetzen zu großen Vorwissens werden sein Verstehen verhindern. Überzeugen erfordert, erfolgreich an die Denk- und Vorstellungswelt des anderen, an seine Interessen, Bedürfnisse und Präferenzen anzudocken.
- mit dem Gehörten einverstanden sein. Das setzt voraus, dass er es für relevant und sachlich richtig hält, es mit seinen Zielen, Interessen und Bedürfnissen vereinbar ist und er keine attraktivere Alternative sieht. Und er muss demjenigen, der ihn überzeugen will, vertrauen, dass er ehrlich ist und ihm seine Überlegungen nach bestem Wissen und Gewissen vorträgt.
- dementsprechend handeln. Damit ist zu rechnen, wenn er das Gehörte in seiner Denkwelt für so wichtig und/oder dringend hält, dass er sich in Bewegung setzt bzw. andere Aktivitäten dafür zurück stellt.
Ergänzend lassen sich einige Fragen formulieren:
- Ist die eigene Position in der Sache klar und verständlich? Ist die Argumentation schlüssig und für den anderen nachvollziehbar? Wie ist die Position des anderen zu verstehen? Was ist sein Kontext? Welcher Nutzen ist für ihn zu erwarten? Worauf legt er Wert?
- Wie stehen die Beteiligten menschlich zueinander? Gibt es Sympathie bzw. Respekt für den anderen? Wirkt der Fachexperte vertrauenswürdig? Fühlt sich sein Gesprächspartner ernst genommen und ebenbürtig behandelt?
- Ist deutlich, in welchen professionellen Rollen die Beteiligten zusammen kommen (als Kunde/Lieferant, als Mitarbeiter/Vorgesetzter; als Repräsentant einer höheren/einer niedrigeren Hierarchiestufe; als Vertreter unterschiedlicher Organisationen oder Abteilungen etc.)? Benehmen sich die Beteiligten rollenkonform, also so, wie es professionell zu erwarten ist?
Nicht zuletzt ist folgende Merkwürdigkeit im Spiel: Je stärker ich dem anderen glaubhaft mache, dass ich seine Entscheidung akzeptieren werde, auch wenn sie anders ausfällt als ich sie mir wünsche, umso mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, dass er mir folgen wird. Ernst genommen werden tut gut, und deshalb habe ich nun normalerweise im Empfinden des anderen „etwas gut“. Das Vertrauen steigt, und es wird ein subtiles Schuldverhältnis aufgebaut, entsprechend dem oben skizzierten Prinzip der Reziprozität.
III. Überzeugendes Verhalten
Angenommen, wir verfolgen eine wichtige Aufgabe und sind dabei auf die Beiträge eines bestimmten Kollegen angewiesen, der allerdings überlastet ist und für Zusatzarbeiten, die wir gerne von ihm erledigt haben möchten, (zunächst) weder Zeit noch Motivation hat. Was könnten wir tun, um die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Kollege uns hilft, zu erhöhen? Wir könnten grundsätzlich
- auf ein Gleichgewicht achten aus Plädieren (die eigene Position klar und selbstbewusst vertreten) und Erkunden (sich empathisch in die Situation und Position des anderen hineindenken und hinein fühlen). Ohne auf die Position und Haltung des anderen einzugehen, kann man kein wirkliches Gespräch führen. Man könnte dann lediglich die eigenen Gedanken als Monolog vortragen und damit zeigen, dass man sich für den anderen und dessen Überlegungen und Interessen nicht sehr interessiert. Wenn wir allerdings zu 100 Prozent empathisch sind und unseren Kollegen prima verstehen, sind wir in Gefahr, unser eigenes Anliegen zu vernachlässigen oder sogar zu vergessen. Wir würden uns dann selbst weniger ernst nehmen als den anderen. Deshalb sollten wir versuchen, unser eigenes Anliegen gleichgewichtig, also durchaus nachdrücklich und offensiv zu vertreten.
- Blickkontakt herstellen und halten: Wer dem anderen offen in die Augen schaut wirkt ehrlich. Allerdings sollten wir den anderen nicht mit Blicken fixieren und dadurch unnötig zusätzlichen Druck aufbauen. Wir können unseren Blick zwischendurch etwas schweifen lassen und auch andere Punkte in seinem Gesicht anschauen.
- beim Sprechen Bedeutung ausdrücken: Wir sollten eher langsam reden und sparsam aber gezielt betonen, um Bedeutung auszudrücken. Wir sollten weiterhin darauf achten, Wörter am Ende deutlich auszusprechen. Das verhindert unter anderem, dass uns die Gedanken beim Sprechen davon eilen. Pausen sind ebenfalls wichtig. Sie helfen dem Kollegen, das Gehörte zu verstehen und einzuordnen. Außerdem können Pausen an den richtigen Stellen einen zum Inhalt passenden Spannungsbogen erzeugen. Natürlich darf man dabei nicht übertreiben, weil solche sprecherischen Elemente, besonders wenn sie sonst nicht typisch für uns sind, theatralisch und damit unglaubwürdig wirken können.
- aktiv zuhören: Wir sollten konzentriert versuchen, den Kollegen zu verstehen, und dabei auch auf Gefühle bei uns und dem anderen achten - Gefühle vermitteln wichtige Informationen über einen selbst, den anderen und die Situation. Vielleicht spüren wir in einer bestimmten Situation Ungeduld und aufkommenden Ärger. Dies ist womöglich eine Reaktion auf das Abwiegeln des Gegenübers, der sich vielleicht betont cool und gelangweilt zeigt und dabei zu erkennen gibt, dass ihm das Gespräch ausgesprochen lästig ist. Würde man in dem Fall seinem Impuls folgen und den Nachdruck erhöhen, würde man die negativen Gefühle auf beiden Seiten anheizen.
- nachfragen: Wir könnten den Kollegen bitten, allgemeine Aussagen zu konkretisieren oder zu differenzieren („Was meinst du, wenn du sagst, ich sollte zuvor meine Hausaufgaben machen?“ „Meinst Du, dass dein Chef buchstäblich immer sein Veto einlegen würde?“ „Was könnte dich eventuell dazu bewegen, dir mein Anliegen zumindest einmal etwas genauer anzuschauen?“ etc.) Die Antworten könnten wir dann eventuell aufgreifen und das Gespräch produktiv fortsetzen.
- Einwände ernst nehmen: Wer Einwände nicht gleich abwehrt, sondern sie quittiert und spiegelt („Angekommen, ich habe verstanden, dass …“), beweist, dass er die Meinung und damit letztlich auch den Kollegen persönlich ernst nimmt. Dieser muss deshalb nicht mit wachsendem Nachdruck klarzumachen versuchen, warum er unserem Wunsch nicht folgen will oder kann. Grundsätzlich sollte man Einwände nicht bekämpfen, sondern versuchen, sie zu relativieren („Ich sehe ein, was Du mir gesagt hast. Gleichzeitig denke ich, dass mein Anliegen für das Unternehmen und auch für Dich bedeutsam sein könnte, weil ...) und am Ende Vor- und Nachteile zu bilanzieren („Wenn ich Deine Vorbehalte und die Chancen, die meines Erachtens in meinem Vorschlag stecken, nebeneinander stelle, dann …). Man sollte berechtigte Einwände umstandslos anerkennen. Der Umgang mit Einwänden hat starke Auswirkungen auf die Beziehungsebene. Wer sich bemüht, konstruktiv und fair damit umzugehen, gewinnt an Vertrauenswürdigkeit und erhöht die Zustimmungsbereitschaft seines Gegenübers.
- gegebenenfalls auf eine Metaebene wechseln: Wenn sich das Gespräch verhakt, sich vielleicht im Kreis dreht oder starke Emotionen aufkommen, ohne dass sofort klar ist, woran das liegt, ist es günstig, auf eine Metaebene zu wechseln und über die Kommunikation selbst zu sprechen: „Ist unser Gespräch für dich o.k.?“, „Sind wir noch auf der richtigen Spur?“ „Ist dir mein Anliegen klar?" Fühlst du dich von mir verstanden?" etc.
Selbstverständlich ist es für Überzeugungsprozesse in erster Linie wichtig, in der Sache Relevantes zu sagen zu haben. Wenn das nicht der Fall ist, hilft auch die gelungenste Beziehungsgestaltung nichts. Der relevante Inhalt muss aber, um die gewünschte Wirkung zu entfalten, richtig portioniert und empfängergerecht dargereicht werden. Es kommt, mit anderen Worten, auch auf die Rhetorik bzw. die Argumentationsstruktur an.
IV. Überzeugend argumentieren
Angenommen, wir möchten unseren Vorgesetzten, Herrn Vormüller, davon überzeugen, dass er einen schon lange Zeit praktizierten und in der Vergangenheit auch bewährten Arbeitsprozess aufgrund veränderter Kundenanforderungen durch einen anderen ersetzen solle. Weiter angenommen, Herr Vormüller scheut Veränderungen, weil er meistens mehr und größere Schwierigkeiten und Risiken als Vorteile erwartet. Er hat bisher mit einigen improvisierten Maßnahmen versucht, den alten Prozess „zu retten“.
Es empfiehlt sich, nicht zu viele oder gar alle Argumente auf einmal vorzutragen. Wer gleich zu Beginn sein ganzes Pulver „verschießt“, riskiert, dass die Qualität seiner besten Argumente gar nicht wahrgenommen wird. Herr Vormüller wäre wahrscheinlich schon quantitativ überfordert und würde sich – bewusst oder unbewusst – dasjenige Argument für seine Erwiderung aussuchen, das er schon kennt und/oder mit dem er am besten kontern kann. Darum wird sich dann auch die anschließende Diskussion drehen. Besser ist es, wenn wir unsere Argumente – jedes für sich - gezielt ins Spiel bringen und darauf achten, dass sie jeweils von Herrn Vormüller gehört, verstanden und verarbeitet werden können. Auf diese Weise lässt sich der Überzeugungsprozess leichter steuern. Kernargumente sollte man strategisch klug platzieren und sie sollten besonders gut überlegt sein (einleuchtende Fakten, Beispiele, Analogien, Geschichten). Außerdem hilft es, wenn man sich schon im Vorfeld auf denkbare Gegenargumente vorbereitet, um sie in geeigneter Weise beantworten zu können.
Vorbereiten sollte man vor allem das einleitende Statement. Dessen Wirkung ist besonders von der Reihenfolge der Argumente abhängig. Das Statement eröffnet die Diskussion und prägt ihren weiteren Verlauf.
Bei der Vorbereitung des Statements, das den Vorgesetzten umstimmen soll, denken wir gewöhnlich intuitiv in folgender Reihenfolge:
Dazu ein Beispiel:
(1)„Ich schlage Ihnen vor, dem Kauf einer Testversion eines neu angebotenen Softwareprogramms XYZ zuzustimmen und mich mit einem kleinen und überschaubaren Praxistest zu beauftragen. Auf diese Weise könnten wir am besten überprüfen, ob es hält was es verspricht.“
(2)„Die in der letzten Woche ergriffenen Maßnahmen zur Sicherung der Funktionsfähigkeit unserer Arbeitsprozesse benötigen durchschnittlich fünf Minuten mehr Zeit pro Durchgang als vorher, also rund eine Stunde jeden Tag, und verursachen trotzdem Fehler, wie zum Beispiel die letzte Woche mit drei Fällen gezeigt hat.“
(3)„Wenn wir die Software XYZ installieren würden, könnten wir die gewohnte Effizienz und Zuverlässigkeit unserer Arbeitsprozesse weiterhin erwarten."
(4)„Wenn ich unser Gespräch am letzten Dienstag während unserer gemein-samen Dienstreise richtig in Erinnerung habe, sind Ihnen Qualität und Zuver-lässigkeit unserer abteilungsbezogenen Arbeitsprozesse besonders wichtig.“
(5)„Derzeit scheint das Erreichen unserer Ziele in Gefahr zu sein. Unser Arbeitsablauf ist wegen der neuen Kundenanforderungen langsamer, unsicher und die Qualität ist nicht gewährleistet.“
(6)„Die neu angebotene Software passt sehr gut für unsere Belange und verspricht gerade im Hinblick auf Stabilität und Tempo unserer Arbeits-prozesse große Vorteile. Sie wurde speziell für die neuen Kunden-anforderungen entwickelt.“
Diese Reihung entspricht unserer Denkbewegung. Wenn Herr Vormüller jedoch überzeugt werden soll (Wir sind es ja schon), ist es günstiger, entsprechend der Intuition unseres Vorgesetzten in dessen Welt zu argumentieren:
Auch dazu ein Beispiel:
(7)„Wenn ich unser Gespräch am letzten Dienstag während unserer gemeinsamen Dienstreise richtig in Erinnerung habe, sind Ihnen Qualität und Zuverlässigkeit unserer abteilungsbezogenen Arbeitsprozesse besonders wichtig.
(8)„Eine neu angebotene Software XYZ passt sehr gut für unsere Belange und verspricht gerade im Hinblick auf Stabilität und auch Tempo große Vorteile. Sie wurde speziell für die neuen Kundenanforderungen entwickelt.“
(9)„Wenn wir sie installieren würden, könnten wir die gewohnte Effizienz und Zuverlässigkeit unserer Arbeitsprozesse weiterhin erwarten.“
(10)„Die in der letzten Woche ergriffenen Maßnahmen zur Sicherung der Funktionsfähigkeit unserer Arbeitsprozesse benötigen durchschnittlich fünf Minuten mehr Zeit pro Durchgang als vorher, also rund eine Stunde jeden Tag, und verursachen trotzdem Fehler, wie zum Beispiel die letzte Woche mit drei Fällen gezeigt hat.“
(11)„Derzeit scheinen unsere Ziele gefährdet zu sein. Unser Arbeitsablauf ist wegen der neuen Kundenanforderungen langsamer, unsicher und die Qualität ist nicht gewährleistet.“
(12)„Ich schlage Ihnen deshalb vor, dem Kauf einer Testversion des Software-programms XYZ zuzustimmen und mich mit einem kleinen und überschau-baren Praxistest des neu angebotenen Softwareprogramms zu beauftragen. Auf diese Weise könnten wir am besten überprüfen, ob es hält was es verspricht. Was meinen Sie?“
Es spricht nichts dagegen, dass man sich während der Gesprächsvorbereitung die Argumente so aufschreibt, wie sie einem in den Sinn kommen. Allerdings sollte man versuchen, auf ihre Reihenfolge im realen Gespräch zu achten. Das bedeutet, grundsätzlich mit dem Ziel von Herrn Vormüller zu beginnen und mit dem Appell, der für sein eigenes Ziel steht, zu enden. Im umgekehrten Fall würde Herr Vormüller deutlich stärker einen Aufforderungsdruck spüren, sich möglicherweise sogar angegriffen fühlen, und viel wahrscheinlicher in eine defensive, abwehrende Haltung geraten.
Zustimmung wird einem Vorgesetzten leichter fallen, wenn er an die Loyalität seines Mitarbeiters glaubt. In diesem Fall wird er annehmen, dass der Mitarbeiter bei seinem Vorgehen Rücksicht auf Herrn Vormüllers Ziele und Bedürfnisse nimmt und im Hinblick darauf nichts Gravierendes ohne vorherige Rücksprache mit ihm unternimmt.
V. Niemand tut etwas, wenn er davon nicht profitiert
Wenn Herr Vormüller schließlich der Einführung der neuen Software zustimmt, hat er sich für ein Tauschgeschäft entschieden, denn niemand tut etwas, wenn er nichts davon hat. Natürlich sind damit nicht nur materielle Aspekte gemeint. Sachliche ebenso wie emotionale Gründe werden ihn bewogen haben, u.a. wahrscheinlich die Annahme, dass er mithilfe der neuen Software seinen eigenen Zielen und Interessen näher kommen wird. Die Sache selbst (die zuverlässige Erledigung von Arbeitsabläufen) wird ihm wichtig sein, weil er einen professionellen Anspruch hat und sich mit seiner Abteilung bzw. der Organisation identifizieren dürfte. Vielleicht wird er auch seinem Mitarbeiter zuliebe zustimmen, weil er ihn nicht enttäuschen möchte und ihm eine gute Beziehung wichtig ist.
Ähnlich wird es bei dem Kollegen sein, den wir für eine Zusatzarbeit gewinnen möchten. Vielleicht gibt hier ein ausdrückliches oder unausgesprochenes direktes Tauschgeschäft den Ausschlag (Wir kommen ihm zum Beispiel bei seinem Projekt entgegen). Vielleicht kommt bei dem Kollegen (zusätzlich) ein Verantwortungsgefühl gegenüber der Organisation, sein professioneller Anspruch oder seine Kollegialität hinzu.
Manchmal ist auch die Aussicht auf Anerkennung, auf persönliche Weiterentwicklung, auf größere Sicherheit oder schlicht auf mehr Spaß bei der Arbeit entscheidend. Meistens ist es ein Mix aus Beweggründen, der Menschen einlenken lässt. Sollten sich keine oder zu wenig Beweggründe für die vorgeschlagene oder erbetene Aktivität finden lassen, wird es nicht gelingen, andere zu überzeugen, denn sie hätten mehr davon, nichts oder etwas anderes zu tun.
Literaturhinweise
Thaler, Richard H. und Sunstein, Cass R. (2011): „Nudge. Wie man kluge Entscheidungen anstößt“, Berlin
Cialdini, Robert B. (2010): „Die Psychologie des Überzeugens“; Bern
Gigerenzer, Gerd (2008): „Bauchentscheidungen. Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition“; München
Hölscher, Stefan (2011): „Leben mit Drive. Die Entfaltung von Kreativität, Kraft, Leistung und Lust“; Paderborn
Hölscher, S., Reiber, W., Pape, K. und Loehnert-Baldermann, E. (2006): „Die Kunst gemeinsam zu handeln. Soziale Prozesse professionell steuern“; Heidelberg
Kahneman, Daniel (2011): „Thinking, Fast and Slow“, London
Neuberger, Oswald (1995): „Mikropolitik“; Stuttgart
Reiber, Wolfgang (2012): „Vom Fachexperten zum Wissensunternehmer. Wissenspotenziale stärker nutzen, die persönliche Wirksamkeit erhöhen“, Wiesbaden