15. März 2011

Persönlich wirksam sein

Der folgende Artikel basiert auf dem im Herbst 2012 beim SpringerGabler Verlag erschienenen Buch von Wolfgang Reiber „Vom Fachexperten zum Wissensunternehmer“.

Persönlich wirksam zu sein ist ein Grundbedürfnis. Es bedeutet, aus eigener Kraft und mit eigenen Mitteln seine Ziele erreichen und seine Vorhaben umsetzen zu können. Wer das nicht kann, der fühlt sich meist als Opfer, also mehr oder weniger hilflos den Dynamiken seines Umfeldes ausgesetzt. Solche Einschätzungen verursachen starken Stress. Opfer oder Täter zu sein ist aber meistens kein Schicksal, sondern eine Frage der Wahrnehmung, der inneren Einstellung, des persönlichen Konzeptes und der Konsequenz.

Wer persönlich wirksam sein will, der muss wissen, was er will. Das klingt einfacher als es ist, denn Entscheidungen für etwas sind immer auch Entschei-dungen gegen etwas anderes, selbst wenn es „nur“ das Verlassen alter Gewohnheiten ist. Ambivalenzen sind deshalb die Normalität. Wenn ich weiß, was ich (wirklich) will, benötige ich Ressourcen, damit ich etwas einzusetzen habe für die Erreichung meiner Ziele. Und zusätzlich muss ich wissen, für wen meine Ressourcen nützlich sein können, denn der Weg zu meinem Ziel besteht zu einem großen Teil aus Tauschgeschäften. Nicht zuletzt spielt der Kontext meines Handelns eine große Rolle, vor allem die Regeln, Werte und Erwartungen meiner sozialen Umwelt. Daraus ergibt sich ein einfaches Schema für die persönliche Wirksamkeit:

Die Frage „Was will ich?“ zielt nicht auf den Moment. Situationen wechseln, mitunter sogar sehr schnell, und mit ihnen melden sich oft ganz unterschiedliche Bedürfnisse zu Wort - teils leiser, teils lauter und oft auch in sich widersprüchlich. Was will ich deshalb im Kern? Was ist mir wirklich wichtig? Und wie sieht eigentlich meine beste Zukunftsmöglichkeit aus? Es geht um Werte, also um allgemeine Vorstellungen darüber, was wichtig und erstrebenswert, was richtig oder falsch ist. Werte vermitteln Sinn und Bedeutung und gleichen in gewisser Weise Wegweisern in Entscheidungssituationen. Außerdem geht es um persönliche Visionen, also um bildhafte, als ausgesprochen attraktiv empfundene und grundsätzlich realistische Zukunftsmöglichkeiten. Die Funktion von Visionen besteht darin, Orientierung zu geben und positiv zu energetisieren. Wichtig ist, dass es sich dabei tatsächlich um die eigenen Wunschbilder handelt und nicht um solche, die von Eltern, Lehrern oder anderen Bezugspersonen übernommen worden sind. Funktionierende Visionen entwickeln eine Sogkraft, die von der Vorstellung des angestrebten Zustandes ausgeht - allerdings nur, wenn sie nicht von Gegenkräften geschwächt oder gar neutralisiert wird. Solche Gegenkräfte können fortbestehende Ambivalenzen sein, also die mangelnde Fähigkeit oder Bereitschaft, alternative Möglichkeiten liegen zu lassen, oder ein Mangel an Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, in die Unterstützungsbereitschaft anderer, die ich brauche, oder allgemein darin, dass sich die Dinge um mich herum genügend positiv entwickeln werden.

Der tatsächliche Wille ist wichtig für das Erreichen von Zielen. Es müssen jedoch Ressourcen dazu kommen, damit die mobilisierte Energie nicht verpufft. Die wichtigste Ressource sind die persönlichen (Kern-)Kompetenzen. Damit ist ein Komplex aus Wissen, Erfahrung, persönlichen Fähigkeiten und Eigenschaften gemeint wie zum Beispiel Hartnäckigkeit, Gründlichkeit oder Kontaktfreudigkeit. Dieser Komplex ist in sich stark verflochten und in hohem Maße Ausdruck der persönlichen Arbeits- und Lebensgeschichte. Persönliche Kernkompetenzen sind deshalb immer einzigartig, eine Art unique selling proposition (USP). Andere Ressourcen sind die persönliche Reputation und die verfügbaren sozialen Netzwerke. Reputation oder Image basiert auf den Erfahrungen, die andere mit uns gemacht haben. Es handelt sich streng genommen um ein Vorurteil, aber um eines mit enormer Wirkung. Ein positives Image entspricht einem Vermögenswert, weil es Handlungsspielräume erweitert („ich bekomme Kredit“) und die eigene Wirksamkeit durch die wohlwollende Aufmerksamkeit und Interpretation anderer erhöht. Ein negatives Image wirkt dagegen wie ein Handicap und erfordert vergleichsweise viel größere Anstrengungen. Soziale Netzwerke aus Kollegen, Freunden oder Förderern sind wichtig, um ständig „auf dem Laufenden“ bleiben zu können, um bei Bedarf Kontakte aktivieren und/oder um selbst wichtige Botschaften verbreiten zu können.

Die Frage „Wem nutzt das?“ betrifft die aktuelle und potenzielle Zielgruppe. Für wen sind meine Kernkompetenzen wertvoll? Wem hilft es, wenn er meinen guten Namen ins Spiel bringen kann? Wem kann ich vielleicht mit meinen Kontakten weiterhelfen? Normalerweise brauchen wir andere Menschen, wenn wir unsere Visionen realisieren möchten. Sie helfen uns dann am wahrscheinlichsten, wenn eine Win-Win-Situation entsteht. Das ist die beste Voraussetzung für ein Tauschgeschäft wie zum Beispiel: biete Expertise, suche dafür Anerkennung, Unterstützung, Beauftragung, Weiterempfehlung oder etwas Ähnliches. Win-Win Situationen schaffen die Grundlage für eine nachhaltig vertrauensvolle und produktive Beziehung – wodurch wiederum die Qualität des sozialen Netzwerkes steigt. Ein gutes Netzwerk ist in diesem Zusammenhang allerdings schon von vornherein wichtig, damit die wichtigen Personen der Zielgruppe überhaupt zugeordnet werden können.

Spätestens dann, wenn ich Klarheit darüber habe, was ich will, was ich kann und wem das nutzt, muss ich ins Handeln kommen. Dafür ist Energie notwendig, die am besten aus der Attraktivität der Vision heraus entsteht. Sie kann aber auch, vielleicht sogar noch stärker, aus der fehlenden Attraktivität der Gegenwart herrühren („ich muss die Situation hier verändern oder ich muss weg!“) oder aus den Befürchtungen, was zukünftig passieren könnte, wenn nichts passiert.

Gar nicht selten kommt es vor, dass dann, wenn es um die konkrete Umsetzung der eigenen Überlegungen geht, rätselhafte Energieeinbrüche passieren. Wir lassen uns verführen, doch noch eben etwas anders zu tun, oder wir verdrängen unsere guten Absichten, sobald es ernst wird. Am Ende sind dann doch nur Silvestervorsätze herausgekommen, was unsere gute Laune eintrüben und den Boden für nervendes Jammern und Wehklagen bereiten kann. Ein Mindestmaß an Disziplin und Selbstverpflichtung ist deshalb notwendig, und vielleicht eine kleine Analyse unserer wichtigsten Verführbarkeiten nebst Gegenstrategien.

Damit das Handeln, nachdem es in die Gänge gekommen ist, erfolgreich wird, muss auf die aktuell vorherrschenden Regeln, Werte und Erwartungen der sozialen Umgebung geachtet werden. Nicht mit jedem muss ein Win-Win-Ergebnis erreicht werden, aber es ist natürlich auch nicht günstig, sich ohne Not und vielleicht sogar ohne es zu bemerken, Gegner oder Feinde zu machen. Das Navigieren in einem eher unübersichtlichen sozialen Erwartungsfeld ist anspruchsvoll und erfordert hohe Aufmerksamkeit. Der wichtigste Sensor ist dabei unser Gefühl. Was sagt es mir darüber, wie es mir gerade geht? Und welche Gefühle spüre ich bei den anderen? Wie ist überhaupt das soziale Klima im Moment? Und was würde ich am liebsten tun, wenn ich könnte, wie ich wollte?

Es empfiehlt sich, Gefühle sehr ernst zu nehmen, aber natürlich können sie sich täuschen. Deshalb ist es meistens eine gute Idee, einen ehrlichen Dialog mit den wichtigsten Personen aufrecht zu erhalten. Offenheit und Transparenz stecken an. Und wenn das geschieht, steigen im Allgemeinen die Chancen dafür, dass wir unsere Ziele erreichen und unseren Visionen näher kommen, deutlich an.

Über den Autor

Wolfgang Reiber liebt es, die Dinge ganzheitlich zu betrachten, etwa das Zusammenspiel zwischen wirtschaftlichen, psychologischen und politischen Aspekten in Organisationen und Gesellschaft. Gemeinsam darüber nachzudenken, was ist, was sein sollte und wie es gehen könnte, mit Respekt und mit einer Prise Humor, das schätzen er und seine Kunden ganz besonders.


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Wer etwas zu sagen hat, sollte lernen, präsent zu sein.

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