Eine nachhaltig gute Balance zwischen all dem zu finden, was einem wichtig ist, gut tut, Energie und Wohlbefinden gibt, ist offensichtlich schwierig. Zu viele Aufgaben in zu vielen beruflichen und privaten Feldern, hohe Erwartungen von anderen und uns selbst, ständige Veränderungen, auf die es sich einzustellen gilt und ein kommunikativer Online Status mit fast lückenloser Erreichbarkeit und Sendebereitschaft, machen das Finden und Halten persönlicher Balance ausgesprochen anspruchsvoll. Falls Sie dies ähnlich empfinden, befinden Sie sich in bester Gesellschaft, und auch ich spreche hier wahrlich nicht nur von Beobachtungen bei anderen.
Wir wollen Balance, aber wir finden sie nicht, jedenfalls nicht dauerhaft. Immer wieder flutscht sie weg und wir spurten ihr hinterher, sofern wir diesbezüglich nicht bereits resigniert und uns mit sehr einseitiger Kost in unserem Leben abgefunden haben. Auch hundertausend Bücher, Artikel, Fernsehfeatures und Seminare zu Themen wie Stressmanagement, Work-Life-Balance, Umgang mit eigenen Ressourcen etc. haben diese Situation nicht grundlegend verändert. Versprechen Sie sich also bitte nicht zu viel von diesem Artikel. Er bewirkt keine Wunder, kann höchstens ein paar Anstöße geben, die sich nutzen lassen zur besseren Wahrnehmung und Gestaltung persönlicher Balance.
1. Einschätzung persönlicher Belastung und Balance
Ein sinnvolles Ernstnehmen eigener Balance als grundlegendem Faktor für Wohlbefinden, Gesundheit und Zufriedenheit beginnt damit, dass man sich immer mal wieder, auch im Alltag, fragt, wie es einem diesbezüglich aktuell geht. Man misst sozusagen die eigene Balancetemperatur, um daraus ein paar Schlüsse zu ziehen. Ich nutze oft zwei recht einfache Wege, um Coachingkunden von mir, aber auch mir selbst eine differenzierte Einschätzung der eigenen aktuellen Situation zu ermöglichen. Der erste Weg sieht so aus, dass Sie sich zwei Skalenfragen beantworten, eine nach Ihrer gefühlten Gesamtbelastung und eine nach Ihrer gefühlten Balance:
(1.)
Wie stark würden Sie momentan Ihre eigene beruflich-private Gesamtbelastung einschätzen auf einer Skala von 1 – 10, wobei 1 bedeutet „ich fühle mich extrem wenig belastet“ und 10 bedeutet „ich fühle mich extrem stark belastet“?
(2.)
Wenn Sie die Qualität Ihrer persönlichen Balance, so wie sie Sie gegenwärtig wahrnehmen, auf einer Skala von 1 – 10 einschätzen, wobei 1 bedeutet „meine persönliche Balance ist momentan extrem schlecht ausgeprägt“ und 10 bedeutet „meine persönliche Balance ist momentan extrem gut ausgeprägt“, was wäre gegenwärtig der für Sie zutreffende Wert?
Es ist wesentlich, auf beide Seiten zu schauen: auf die der Belastung und die der Balance. Die meisten Menschen, mit denen ich beruflich als Coach zu tun habe – in aller Regel Menschen, die in komplexen und anspruchsvollen Umfeldern hochqualifizierte Jobs ausüben – geben ihre gefühlte Gesamtbelastung im Durchschnitt bei 7-8 an. Das ist also in gewisser Hinsicht ‚normal‘. Es ergibt sich aber eine völlig andere Situation, wenn jemand mit einer solchen Belastung einen Balancewert zwischen 2 und 5 anspricht im Vergleich zu jemandem, der seine Balance zwischen 6 und 9 wahrnimmt. Bei geringer Balance wirkt sich die gleiche Belastung deutlich ungünstiger und negativer aus, vor allem wenn dieses Missverhältnis längerfristig andauert.
Natürlich gibt es auch schon einzelne Belastungs- und Balancewerte, die schon für sich alarmierend sind und einen klaren Handlungsbedarf indizieren. Wenn jemand über einen längeren Zeitraum, z.B. ein Jahr oder mehr eine Belastung von ungefähr 10 erlebt oder eine Balance von etwa 1, so ergibt sich aus einer solchen Situation unmittelbarer Veränderungsbedarf, um nachhaltigem Schaden von Gesundheit und Wohlbefinden vorzubeugen. Bei nicht extremen Werten ist es aber vor allem die Kombination aus Belastung und Balance, die die Musik macht.
Ich selbst komme kaum unter eine gefühlte Gesamtbelastung von 8 auf der 10er Skala. Mein Ziel ist aber, dass auch meine gefühlte Balance bei ungefähr 8 liegt. Hierfür tue ich eine Menge, und wenn es mir gelingt – was durchaus in größeren Teilen des Jahres der Fall ist – fühle ich mich gut, kraftvoll und mit mir und der Welt im Reinen. Aus Erfahrung weiß ich allerdings, dass in bestimmten Phasen des Jahres mein Belastungswert hoch geht, auf 9, manchmal auch auf 10 und der Balancewert gleichzeitig fällt. Ich weiß, dass in solchen Phasen 8 - 8 unrealistisch wäre. Ich versuche aber, indem ich mich auch in solchen Phasen immer wieder auf die beiden Werte besinne, zumindest kleine verfügbare Hebel zu nutzen, damit die Balance, wenn sie vielleicht gerade auf 3 abgerutscht ist, wieder auf 5 geht und die Belastung nicht über 9 hinaus. Dies ist für mich in Ordnung, solange es nur phasenweise passiert. Worauf ich sehr achte ist, dass danach etwas anderes kommt, etwas, das mir deutlich mehr Balance ermöglicht.
Ein zweiter hilfreicher Weg, wie Sie auf Ihre momentane Lebensbalance schauen können, besteht darin, dass Sie die vier Lebensbereiche Arbeit – Körper – Soziale Beziehungen – Selbstverwirklichung betrachten unter der Frage: wie viel Energie stecke ich im Durchschnitt gegenwärtig in jeden der vier Bereiche hinein? Und wieviel Energie schöpfe ich aus jedem der vier Bereiche? Sie haben dabei jeweils 100% für die investierte und 100% für die gewonnene Energie zur Verfügung. Ihre Einschätzungen können dabei natürlich nur subjektive und gefühlte Verhältnisse betreffen.
Zur Erläuterung: Mit Selbstverwirklichung sind Aktivitäten gemeint, die man macht, weil sie einem persönlich sehr wichtig sind und die jenseits von Arbeitsaktivitäten, die natürlich auch zur Selbstverwirklichung beitragen können, liegen. Mit sozialen Beziehungen sind solche Beziehungen gemeint, die einem persönlich sehr wichtig sind, also beispielsweise nicht rein funktionale geschäftliche Beziehungen. Der Bereich Körper umfasst vor allem Bewegung, Ruhe, Ernährung, Sexualität. Der Bereich Arbeit umfasst arbeitsbezogenen Aktivitäten aller Art
Abbildung: Die vier Lebensbereiche
Vermutlich werden Sie die Erfahrung machen, dass es gar nicht einfach ist, die jeweils ‚nur‘ 100% auf die vier Bereiche realitätsangemessen zu verteilen. Sie dürfen dabei aber bei Bedarf immer wieder korrigieren, solange bis Sie das Gefühl haben, dass die Werte möglichst gut Ihrer bezogen auf die einzelnen Bereiche jeweils investierten und geschöpften Energie entsprechen. Es gibt hier keine ‚richtigen‘ und ‚falschen‘ Antworten. Menschen sind sehr unterschiedlich, und das zeigt sich natürlich auch darin, wo man wieviel Energie investiert und wo man wieviel Energie schöpft. Klar ist allerdings: Wenn die Differenz zwischen investierter und geschöpfter Energie im gleichen Lebensbereich sehr groß wird, insbesondere in der Weise, dass man sehr viel mehr Energie hineinsteckt als man aus diesem Bereich bezieht, dann liegt ein Problem vor, nämlich ein unter Umständen dauerhaft gefühltes Missverhältnis der Art: „Ich gebe hier schier alles – und bekomme dafür sehr wenig zurück.“ Wenn ich zum Beispiel in einem Coaching von jemandem höre, dass er oder sie gefühlt schon sehr lange vielleicht 60 oder 70% aller Energie in die Arbeit steckt und nur 10 oder 15% herausbekommt, dann zeigt sich hier nach meiner Erfahrung deutlicher Handlungsbedarf - wie immer auch im einzelnen sinnvolle Konsequenzen aussehen mögen.
Für eine gute und gesunde Lebensbalance braucht es alle vier Bereiche. Keiner davon ist auch nur ansatzweise verzichtbar. Ich treffe als Coach und Therapeut viele Menschen, die insbesondere in Bezug auf den Bereich der Selbstverwirklichung, aber auch in Bezug auf Körper und soziale Beziehungen das Gefühl haben, dass sie hier viel zu wenig Energie investieren und dann auch schöpfen können, weil die Arbeit den größten Teil ihrer Energie beansprucht und der verbleibende Rest dann oft komplett in familiäre Aktivitäten und vielleicht noch etwas Sport geht. Solche gefühlten Missverhältnisse sind nicht der Stoff, aus dem auf Dauer ein glückliches Leben entsteht.
Es gibt natürlich kein Rezept für dauerhaftes Glück. Und ob es überhaupt so etwas wie dauerhaftes Glück (das diesen Namen auch verdient) auf diesem Planeten für Menschen geben kann, möchte ich hier dahin gestellt sein lassen. Klar ist allerdings: wenn man in seinem Leben eine für sich persönlich gute Balance empfindet, dann geht es einem deutlich besser, das Leben macht einfach mehr Spaß und man ist zumeist auch konstruktiver, vitaler und kreativer unterwegs, als wenn dies nicht der Fall ist. Und klar ist ebenfalls: für eine gute Balance kann man selbst einiges tun. Und wenn man es selbst nicht tut, wird es auch kein anderer für einen tun. Hier ist zuletzt jeder selbst gefordert: Sie, lieber Leser, sind höchst persönlich gefordert, jedenfalls was Ihr eigenes Leben und Ihre eigene Balance betrifft. Werden Sie Ihr persönlicher Energie-Balance Manager. Nehmen Sie diese Rolle wahr und nehmen Sie sie ernst - jedenfalls dann, wenn Ihnen Ihr Lebensglück am Herzen liegt und Sie vielleicht sogar davon ausgehen, dass es nur ein Leben gibt, das Sie haben.
2. LASA: Ansatzpunkte zur Förderung persönlicher Balance
Ich möchte Ihnen im Folgenden das LASA Modell skizzieren, das vier ebenso elementare wie wirksame Ansatzpunkte zur Förderung der eigenen Balance zusammenfügt. Natürlich könnte man auch auf 14, 40 oder ich weiß nicht wie viele balancefördernde Faktoren schauen. Getreu der durchaus auch belastungsreduzierenden Devise, dass weniger oft mehr ist, möchte ich mich jedoch auf diejenigen vier Punkte konzentrieren, die nach meiner Erfahrung besonders hilf- und folgenreich sind. Jeder Buchstabe in dem Wort LASA steht dabei für einen grundlegenden Ansatzpunkt.
„L“ wie „Leitlinien“
In einem komplexen, von vielfältigen und einander auch zuwiderlaufenden Erwartungen geprägten beruflichen und privaten Lebensumfeld, haben Sie eine Chance auf Balance überhaupt nur dann, wenn Sie wissen, was Sie wirklich wollen. Sie brauchen also so etwas wie Leitlinien für Ihr Leben, also zentrale Orientierungsgrößen darüber, was Sie in Ihrem beruflichen und privaten Leben zu erreichen und zu realisieren anstreben. Je klarer und bewusster Ihnen diese Leitlinien sind, umso besser können Sie im Großen, aber auch im ganz Alltäglichen die Weichen im Sinne dessen stellen, was von Bedeutung für Sie ist, d.h. Sie können priorisieren, sich von für Sie wenig Wichtigem abgrenzen und einen für Sie sinnvollen Kurs aufnehmen und halten.
Manchen Menschen sind ihre Lebensleitlinien sehr klar. Andere brauchen Muße und Zeit, sie gut und konkret bezogen auf die verschiedenen Lebensbereiche zu bestimmen. Dies kann man auf unterschiedliche Weise tun. Hilfreich ist dabei in jedem Fall, die Dinge ‚vom Ende her zu denken‘, d.h. sich zu vergegenwärtigen, was man gelebt und erreicht haben möchte, wenn man dereinst auf sein Leben zurückschaut. Eine solche Perspektive hilft, über den Tellerrand des Gegenwärtigen hinauszublicken.
Wenn Sie sich Ihre Lebensleitlinien transparent machen oder Sie für sich überprüfen und schärfen wollen, empfehle ich Ihnen für Sie jeweils passende ganz konkrete Sätze der Art zu bilden: „Ich möchte…“ Z.B. „Ich möchte in meinem Arbeitsfeld komplexe Zusammenhänge durchdringen.“ „Ich möchte ein kreatives Werk schaffen.“ „Ich möchte eine möglichst umfassende Verantwortung für Menschen, Prozesse und Ergebnisse übernehmen.“ „Ich möchte meinem Partner / meiner Partnerin ein zugewandter, liebevoller und verlässlicher Partner sein.“ „Ich möchte immer wieder Herausforderung und Nervenkitzel erleben.“…
Achten Sie auf die verschiedenen Lebensbereiche und versuchen Sie gleichzeitig nur die für Sie wichtigsten Leitlinien zu fokussieren, also am Ende vielleicht fünf oder sechs, jedenfalls nicht fünfzehn oder sechzehn (weniger ist mehr!). In Kooperation mit Dr. Andreas Fischer vom Psychologischen Institut der Universität Heidelberg haben wir einen Fragebogen entwickelt, empirisch untersucht und validiert, der auf einem von uns entwickelten Modell von 14 Kategorien von Lebensleitlinien beruht. Ich möchte Ihnen hier einfach diese 14 Kategorien nennen, nicht, damit Sie dann doch möglichst viele Lebensleitlinien für sich formulieren, sondern damit Sie, wenn Sie über Ihre persönlichen Lebensleitlinien nachdenken, zunächst in ganz unterschiedliche Richtungen schauen können:
- Orientierung an Lebenslust und Sinnlichkeit
- Orientierung an Gesundheit und körperlicher Fitness
- Orientierung an Partnerschaft und Familie
- Orientierung an Freundschaft und Geselligkeit
- Orientierung an sozialen Werten
- Orientierung an materieller Sicherheit und Wohlstand
- Orientierung an Lernen und persönlicher Weiterentwicklung
- Orientierung an Expertise und Fachlichkeit
- Orientierung an Kreativität und Innovation
- Orientierung an Abenteuer und Herausforderung
- Orientierung an Höchstleistung und Ruhm
- Orientierung an Führung und Macht
- Orientierung an Moral und Ökologie
- Orientierung an Religion und Spiritualität
Je klarer und konsequenter Sie mit Ihren Lebensleitlinien, also Ihren beruflichen und privaten Zielen, Werten und Präferenzen unterwegs sind, umso größer ist Ihre Chance auf persönliche Balance.
„A“ wie Akzeptanz
Es ist gut – auch für das eigene Wohlbefinden – Dinge anzugehen, die veränderungswürdig sind und auf die man Einfluss nehmen kann. Sehr aufreibend kann es allerdings werden, sich immer wieder mit Dingen zu beschäftigen und zu plagen, auf die man keinerlei Einfluss hat. Hiermit kann man beliebig viel Zeit und Energie verballern. In jedem Job, in jedem Projekt, in jeder beruflichen und privaten Konstellation gibt es Dinge, die man sich so nicht ‚gebacken‘ hätte. Manches davon kann man ändern oder es zumindest versuchen. Anderes realistisch betrachtet – zumindest aktuell – nicht. Enorm balancefördernd ist es, diejenigen Aspekte eines Ganzen, für das ich mich entschieden habe, z.B. diejenigen Aspekte meines aktuellen Jobs, die ich nicht verändern kann, zu akzeptieren, jedenfalls dann, wenn ich zu dem ‚Gesamtpaket‘ stehe und mich faktisch auch dafür entscheide, es jetzt insgesamt beizubehalten.
Jede Medaille hat zwei Seiten. Es ist gut, wenn man die eine so attraktiv findet, dass man sie haben möchte, die andere aber deutlich weniger mag, auch mit dieser zweiten ins Reine zu kommen. Wer es etwa wie ich schätzt, als Berater und Coach mit ganz verschiedenen Menschen in ganz verschiedenen Organisationen intensiv an deren persönlichen und sensiblen Themen zu arbeiten, der wird in aller Regel auch eine höhere Reisetätigkeit und mitunter sehr lange Arbeitstage in Kauf nehmen müssen, egal wie lustig er das gerade findet. Es hilft sich zu vergegenwärtigen, wofür man sich entschieden hat, um das zu akzeptieren, was damit faktisch verbunden ist. Dies berührt auch eine andere Facette von hilfreicher Akzeptanz: nämlich Realismus.
Wenn man systematisch überzogene Erwartungen bildet, ist der Weg zu Unbehagen, Frustration und gefühlter Disbalance vorprogrammiert. Genau dies geschieht aber in Unternehmen heutzutage fast überall; und wir persönlich praktizieren ähnliches für uns selbst auch. Wenn man z.B. erwartet, dass der kommende Familienurlaub ganz und gar erholsam, paradiesisch und konfliktfrei verlaufen wird; wenn man erwartet, dass man in der erfahrungsgemäß heißesten Arbeitsphase des Jahrs total viel Zeit für eigene Hobbies und Privataktivitäten hat; wenn man erwartet, dass ein Meeting, in dem lauter operativ-organisatorische Punkte besprochen werden, einen total inspirieren wird: dann kann man eigentlich nur noch enttäuscht werden. Kleine und größere Dämpfer für die persönliche Stimmungs- und Gemütslage sind die fast unausweichliche Folge. So unangenehm ein realistisches Erwartungsmanagement daher auf den ersten Blick sein kann – langfristig hilft es ungemein.
„S“ wie Selbststeuerung
Als wir einen Blick auf das Thema Leitlinien geworfen haben, haben wir schon festgestellt, dass Selbststeuerung nur dann nachhaltig wirksam sein kann, wenn man weiß, was einem wirklich wichtig ist. Das ist also das Fundament. Hier möchte ich nun noch einige Selbststeuerungsstrategien skizzieren, die nach meiner Erfahrung gerade für ein gutes Energie-Balance-Management hilfreich sind:
1. Für einen geeigneten Handlungsrahmen sorgen
Wenn Sie sich vornehmen, inmitten eines sehr turbulenten Alltags und Umfelds substanzielle Dialoge mit einzelnen Ihrer Mitarbeiter zu führen oder wenn Sie sich vornehmen, zumindest zweimal die Woche kreativ-konzeptionelle Arbeit zu machen, so haben solche und andere über das Alltägliche hinausgehende Vorhaben nur dann eine Chance, wenn Sie einen passenden Rahmen dafür herstellen. Und dazu gehört es, Fragen zu klären wie: zu welcher Zeit, an welchem Ort, in welchem Setting, mit welchen Abgrenzungsmaßnahmen zur Umwelt etc. sollte dieses Vorhaben verbunden werden, um substanziell stattfinden zu können? Umgekehrt: Wenn Sie den Rahmen so lassen, wie er auch sonst immer ist, sollten Sie sich nicht wundern, wenn auch genau das passiert, was immer passiert…
2. Achtsam eins nach dem anderen tun
Weil es so viele eigene und von anderen an uns gerichtete Erwartungen gibt, die wir zu bedienen versuchen, neigen wir dazu, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Das geht natürlich auf Kosten der Qualität. Es bedeutet aber auch Belastung und reduziert Wohlbefinden und Balance. Machen Sie sich klar, dass Sie sowieso immer nur das tun können, was Sie gerade tun und trainieren Sie, sich achtsam, d.h. mit allen Sinnen und Gedanken darauf zu konzentrieren, was Sie gerade tun und was Sie gerade beschäftigt. Wenn Sie dann auch noch im Sinne der Orientierung an dem, was wirklich wichtig ist, priorisieren, dann tun Sie das Beste, was Sie tun können. Und das, was Sie dann schaffen, schaffen Sie und was Sie nicht schaffen, schaffen Sie nicht. Das führt mich zu:
3. Deutlich machen, was geht und was nicht geht
Manchmal weiß man es schon gleich, manchmal nach etwas Überlegung und/oder Tun: so gleichzeitig und gleich toll wird dies alles, was man gerade von Ihnen zu erwarten scheint, nicht zusammen zu leisten sein. Machen Sie dies Ihrem jeweiligen Gegenüber deutlich, sobald es für Sie deutlich ist und sagen Sie nicht sofort alles zu, was man von Ihnen möchte, wenn Ihnen die Leistbarkeit noch nicht klar ist. Machen Sie Ihrem Gegenüber Ihre grundsätzliche Bereitschaft zu liefern deutlich (es sei denn, Sie haben Gründe, in diesem Fall grundsätzlich nicht liefern zu wollen); aber holen Sie sich etwas Zeit zum konkretisierenden Überlegen, bevor Sie verbindliche Zusagen machen. Trainieren Sie sich und Ihre Umwelt, dass man meistens keinen Schaden nimmt, sondern im Gegenteil sogar Vorteile in Bezug auf realistisch einhaltbare Zusagen hat, wenn man realistisch plant und sich dafür auch die erforderliche Zeit nimmt.
4. ‚Odysseusstrategien‘ für den Umgang mit Verführungen entwickeln
Vermutlich kennen Sie die Passage aus der Odyssee, in der Odysseus mit seinem Schiff an den Sirenen vorbeisegelt. Wer den Gesang der Sirenen hört, den zieht es zu den Sirenen hin, und das hat noch keiner überlebt. Odysseus möchte, da er ein sehr neugieriger Mensch ist, den Gesang der Sirenen hören. Er möchte aber auch zusammen mit seinen Leuten überleben. Was tut er? Er befiehlt seinen Leuten, die das Schiff navigieren müssen, sich Wachs in die Ohren zu stopfen, so dass sie den Gesang der Sirenen nicht hören. Er selbst lässt sich an den Mast des Schiffes anbinden, so dass er zwar den Gesang hören, sich aber nicht bewegen und in die Navigation eingreifen kann. Dies alles ist einfach, aber es muss vor der Verführung passieren – denn sonst ist es zu spät.
Eine Coachingkundin von mir, die sehr verführbar war, immer noch ‚kleine‘ Aufgaben, die andere, die ihre Einsatz- und Arbeitsbereitschaft gut kannten und gerne (aus-)nutzten, auch spät abends im Büro noch zu erledigen, sodass sie ständig extrem lange Arbeitstage hatte und nie dazu kam, ihren Vorsatz, wieder ins Fitnessstudio zu gehen, zu verwirklichen, griff zu folgender Odysseusstrategie. Sie verabredete sich zweimal in der Woche mit einer Freundin, die abends um 18.00 Uhr bei ihr im Betrieb vorbeifuhr, um sie zum Fitnesstraining abzuholen. Weil sie wusste, dass sie die Freundin nicht versetzen würde, kam sie endlich zweimal in der Woche zum Sport.
Wenn Sie neue Vorhaben für die Förderung Ihrer Balance in Ihren Alltag implementieren wollen, überlegen Sie sich gut, welche Odysseusstrategien ihnen helfen, diese Vorhaben in die Tat umzusetzen. Und dann ergreifen Sie sie. Und zwar vorher!
5. Systematisch entrümpeln
Bei den meisten von uns kommen neue Themen, Arbeiten und Aufgaben wie von selbst – fast wie von Zauberhand – immer noch zu allem Bisherigen dazu. Hierüber müssen wir uns nur wenig Sorgen machen. Was nicht ganz so automatisch passiert, ist, dass Aufgaben weniger werden oder gar wegfallen. Hierum müssen Sie sich für gewöhnlich selbst kümmern. Was kann ich ganz lassen? Was kann ich knapper tun? Was kann ich delegieren? Was kann ich zeitlich nach hinten schieben? Solche Fragen regelmäßig zu fokussieren und dann auch mit vernünftiger Abwägung und Mut zur Lösung zu führen, ist ein wesentlicher Teil wirksamer Selbststeuerung.
„A“ wie Ausgleich
Ausgleich ist nicht etwas, was man machen könnte, wenn man noch zufälligerweise mal Zeit übrig hat und einem sonst nichts anderes einfällt. Ausgleich ist essentiell für Balance. Wer nicht für systematischen Ausgleich sorgt, kommt in eine Monokultur hinein, vergleichbar dem Anbau immer der gleichen Pflanze auf immer der gleichen Nutzfläche. Am Anfang erscheint das vielleicht effizient und erfolgreich, nach einer Weile hat man aber die Fläche, die Landschaft und nicht selten auch die monokulturell angebaute Pflanze ruiniert.
Die meisten Menschen, denen ich als Coach in meiner Arbeit begegne, brauchen als systematischen Ausgleich auf jeden Fall
- Entschleunigung
Wer tagein, tagaus mit einer hohen Arbeitsdichte in komplexen Umfeldern durchgetaktet ist, braucht Phasen der Entschleunigung, Phasen ohne Termine, Phasen der Muße und Entspannung. - Bewegung und Sport
Wer überwiegend sitzend, denkend, schreibend, redend arbeitet und in seinem Arbeitsalltag Bewegung höchstens mal als Treppenaufstieg anstelle einer Aufzugbenutzung hat, braucht systematisch Bewegung und/oder Sport, und das nicht nur am Wochenende. Es macht nur Sinn, hier etwas zu tun, was einem auch liegt und gefällt, und dafür gibt es zahllose Möglichkeiten, von Triathlon bis hin zu Spazierengehen mit oder ohne Hund. In jedem Fall aber brauchen wir für ein gesundes Leben in Balance regelmäßige Bewegung. Sonst verkümmern unser Körper und unser Geist. - Involvierende Aktivitäten und Spiel
Das können alle möglichen Aktivitäten sein, allerdings keine genuin berufsbezogenen, sondern eben andere. Das Charakteristikum solcher Aktivitäten ist, dass wir so in sie eintauchen, dass sie alles andere nach und nach (und manchmal auch sofort) zum Verschwinden bringen. Involvierende Aktivitäten können anstrengend sein; gleichzeitig geben sie uns aber spürbar Energie. Wenn ich mit meinen Söhnen zu Hause Tischkicker spiele oder mit meinem Lyrik-Kontra-Bass Duopartner sprachlich-musikalisch aktiv werde, treten alle anderen Themen sehr schnell sehr stark zurück. Die Welt besteht dann nur aus Tischkicker oder Lyrik-Kontra-Bass.
Wir alle haben neben allen beruflichen Interessen und Ambitionen ein tiefsitzendes Bedürfnis nach Entschleunigung, Bewegung, involvierenden Aktivitäten und Spiel. Je mehr wir auf unsere Balance achten, desto deutlicher melden sich solche Bedürfnisse – in den für uns jeweils passenden und guten Inhalten und Formen. Je mehr wir den Bezug zu solchen Bedürfnissen verlieren, desto größer ist nach meiner Erfahrung der Handlungsbedarf für die eigene Gesundheit und Balance.
Leitlinien, Akzeptanz, Selbststeuerung und Ausgleich können Ihnen helfen, Ihre Balance zu stärken und weiter zu entwickeln. Der wichtigste und folgenreichste Schritt ist dabei allerdings, dass Sie die Rolle als Ihr eigener Energie-Balance Manager wahrnehmen und als eine Ihrer zentralen und nicht-delegierbaren Zuständigkeiten ernstnehmen.
Literatur
- Hölscher, S. & Armbrüster, C. [Hg.] (2013): Gesundheit braucht Führung. Südwestbuch Verlag, Stuttgart
- Hölscher, S. (2014): Persönliche Ziele. Erschienen als E-Book unter www.active-books.de im Junfermann Verlag, Paderborn
- Hölscher, S. (2013): Die 11 Gebote des Coachings. Leitplanken für nachhaltigen Coachingerfolg. Erschienen als E-Book unter www.active-books.de im Junfermann Verlag, Paderborn
- Hölscher, S. (2012): 10 plus 2 Goldene Regeln zur Steigerung von Gesundheit, Wohlbefinden und Balance. Erschienen als E-Book unter www.active-books.de im Junfermann Verlag, Paderborn Hölscher, S. (2011): Leben mit Drive. Die Entfaltung von Kreativität, Kraft, Leistung und Lust. Junfermann Verlag, Paderborn