26. April 2017

Der Trump Effekt oder wie wirklich ist die Wirklichkeit?

Seitdem Donald Trump die politische Bühne betreten hat herrscht helle Aufregung. Vieles ändert sich und ist in Bewegung. Worte wie „postfaktisch“, „alternative Fakten“ oder „faked News“ dominieren die öffentliche Debatte. Aussagen wie z.B. die folgende: „Fakten werden überschätzt. Es hat doch ohnehin jeder sein eigenes Weltbild“, im Januar von einer Trump Sprecherin geäußert, verstören. Leider ist es nicht alleine Trump, der für solche Aussagen und die dahinterstehende Bewegung steht. Aber er ist wahrscheinlich der prominenteste Vertreter.

Was verstehen wir eigentlich unter „Wirklichkeit“?

Ich gebe zu, auch ich bin irritiert und besorgt. Und ich frage mich, ob wir Trainer und Berater in den letzten 20 oder 30 Jahren ungewollt mit Vorschub geleistet haben. Einige unserer Kernaussagen in vielen Veranstaltungen zielten und zielen auf die Relativierung von Wirklichkeitsvorstellungen als eine Voraussetzung für Respekt und Toleranz. Ein wichtiger Lehrmeister für uns war u.a. Paul Watzlawick. Eines seiner berühmten und nach wie vor höchst lesenswerten Bücher trägt den Titel „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“. Watzlawick war ein Pionier der modernen Kommunikationswissenschaften. Nach ihm ist die sogenannte Wirklichkeit das Ergebnis von Kommunikation und nicht das Äquivalent ewiger, objektiver Wahrheiten. Kommunikation ist demnach subjektive, teilweise auch kollektiv stattfindende Konstruktion und nicht einfach die eins zu eins - Übermittlung von Informationen. Die jeweiligen Bauelemente kommen aus den individuellen Erfahrungen und Vorstellungen. Das bedeutet: so wie ein Maler keine Kontrolle darüber hat, was der Betrachter auf seinem Bild sieht und was er damit verbindet, so hat der Sender einer Botschaft keine Kontrolle darüber, was bei dem Kommunikationsempfänger ankommt und was er damit macht. Er dekodiert die Botschaft entsprechend seiner eigenen Agenda. Kollektiv können sich die individuellen Konstruktionen durch ähnliche Erfahrungen und Vorstellungen, vor allem aber durch ständige wechselseitige Bestätigungen (z.B. in den sog. Echoräumen im Internet) angleichen und verfestigen.

Unterstützt wird die Idee einer konstruierten Wirklichkeit von den Ergebnissen moderner Hirnforschung. Demnach ist die Realität eine Interpretation des Gehirns. Impulse aus der Außenwelt, z.B. akustische oder elektromagnetische Wellen, werden von unseren Sinnesorganen aufgenommen und verarbeitet. Am Ende dieses Verarbeitungsprozesses steht ein gespeichertes neuronales Muster, man kann auch sagen, eine Erfindung unseres Gehirns, nämlich z.B. ein Wort oder die Farbe Rot. Wir sind mit anderen Worten gar nicht imstande, so etwas wie eine objektive Realität außerhalb unseres Selbst unmittelbar zu erfassen, streng genommen können wir noch nicht einmal mit Gewissheit sagen, dass es überhaupt so etwas wie die Realität, verstanden als etwas, das außerhalb des Denkens der Menschen existiert, gibt. Der Film „Die Matrix“ lässt grüßen.

Der naturwissenschaftliche Ansatz

Jeder von uns lebt also in seiner eigenen Wirklichkeit und besitzt deshalb immer gute Gründe, sich so zu verhalten wie er es tut – so verrückt es von außen auch aussehen mag. Dies gilt es anzuerkennen und auch wertzuschätzen. Trotzdem kann man die Bedeutung von Fakten gar nicht überschätzen: Wenn sie ernst genommen werden, können sie uns vor gefährlichen Illusionsbildungen schützen.

Die Relativierung von Wirklichkeitsvorstellungen ist nicht neu und hat auch schon früher zu merkwürdigen Schlussfolgerungen geführt. Dazu gehört die bereits zitierte Behauptung, das, was wir für Wirklichkeit halten, sei beliebig, weil nichts anderes als subjektive Vorstellung. Wer dies ernsthaft glaubt, der sollte einmal in einen dichten Wald gehen und sich vorstellen, auf einer großen Wiese zu stehen. Anschließend sollte er mit verbundenen Augen losrennen. Über kurz oder lang wird er die Realität spüren, weil die Bäume nicht dadurch verschwinden, dass man nicht mehr an ihre Existenz glaubt.

Sehr erfolgreich sind wir bisher mit unserem naturwissenschaftlichen Ansatz gefahren. Wir finden Hypothesen und bilden daraus Modelle für das, was wir für die Wirklichkeit halten. Und diese Modelle überprüfen wir. Wenn die darauf gründenden Voraussagen zutreffen, gelten sie als zunächst verifiziert. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Modell die äußere Wirklichkeit korrekt abbildet, ist gestiegen. Treffen die Voraussagen nicht zu, gilt das Modell als falsifiziert und bedarf der Korrektur. Vor diesem Hintergrund ist unser Realitätsverständnis die jeweils beste verfügbare Hypothese.

Was Trump & Co gefährlich macht und warum ihm viele Menschen folgen

Dieses Bemühen um Verifizierung fehlt in der „postfaktischen Zeit“ und macht diese so gefährlich. Es ist ein Kennzeichen von autoritären, intoleranten und ideologisch getriebenen Regimen, dass es angeblich nur eine Wahrheit gibt, deren kritische Überprüfung mit aggressiven und/oder subtilen Mitteln unterbunden wird. Mit Propaganda werden die zugrundeliegenden Hypothesen fraglos gestellt. Gerade wir Deutsche haben in dieser Hinsicht schreckliche Erfahrungen gemacht.

Warum folgen viele Menschen solchen Rattenfängern? Ein Grund dürfte darin liegen, dass in Zeiten von großer Verunsicherung und Verlustängsten schnell eine Wagenburgmentalität entsteht. Man rückt dann zusammen, in der Nation oder besser noch als Volk – was immer das auch genau sein mag. Darüber hinaus haben einfache Erklärungen in schwierigen und unübersichtlichen Zeiten Konjunktur. Sie beruhigen, weil sie scheinbar Licht ins Dunkel bringen, und weil sie plausibel und eingängig sind. Dazu gehört oft die Identifikation eines äußeren Feindes, der hauptsächlich schuld ist an der Misere. Gesucht und leider auch oft gefunden, wird ein starker Mann für die Spitze, der dafür sorgen kann, dass dieser Feind bestraft und vertrieben wird. Der Führer (Präsident/Vorsitzende/Chef) weiß nämlich genau, was richtig ist und wie es geht, das Richtige durchzusetzen.

Auswirkungen auf die Wirtschaft

Natürlich haben solche gesellschaftlichen Tendenzen und Entwicklungen massive Auswirkungen auch auf die Wirtschaft, z.B. dadurch, dass sich Führungskräfte und Mitarbeiter damit identifizieren. Trumpsche Politik in einem Unternehmen, das sich im internationalen Wettbewerb behaupten muss, wäre freilich fatal. Vielfalt, Offenheit und Toleranz sind gerade im Zeichen der Globalisierung Schlüssel für den Erfolg. Am deutlichsten zeigt sich dies am Beispiel selbstorganisierter Teams – eine Arbeitsform, die im Zentrum moderner Organisationsansätze und agiler Methoden steht. Selbstorganisierte Teams sollten möglichst heterogen zusammengesetzt sein, dann besitzen sie nachweislich in neuartigen und komplexen Situationen die höchste Problemlösungskompetenz. Komplexe Situationen sind vielschichtig und niemals vollständig durchschaubar, sie enthalten immer mehr Informationen als man ermitteln kann. Deshalb können wir immer nur Ausschnitte davon wahrnehmen.

Wegen solcher Besonderheiten sind Unterschiede zwischen Perspektiven, Fachrichtungen, Persönlichkeiten, Erfahrungen, Fähigkeiten und Talenten für die Bewältigung komplexer Problemlagen so wertvoll. Deutlich erklärte Unterschiede machen die reale Komplexität sichtbarer, damit wird ihre Bearbeitung erfolgsversprechender. Damit das volle Problemlösungspotenzial von selbstorganisierten Teams erschlossen werden kann, ist ein engagiertes und faires Ringen um die besten Hypothesen notwendig. Ein Selbstläufer ist das nicht. Es erfordert von den Teammitgliedern Reife: Selbstbewusstsein und gleichzeitig Bescheidenheit, Haltungen wie Respekt, Offenheit und Toleranz sowie fachliche, methodische, kommunikative und gruppendynamische Kompetenzen.

Würde man Trump und sein Kabinett so oder so ähnlich beschreiben können, würde es mir deutlich bessergehen.

Über den Autor

Wolfgang Reiber liebt es, die Dinge ganzheitlich zu betrachten, etwa das Zusammenspiel zwischen wirtschaftlichen, psychologischen und politischen Aspekten in Organisationen und Gesellschaft. Gemeinsam darüber nachzudenken, was ist, was sein sollte und wie es gehen könnte, mit Respekt und mit einer Prise Humor, das schätzen er und seine Kunden ganz besonders.


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Vertrauen ist genau wie Misstrauen ansteckend und besitzt das Potenzial, eine selbsterfüllende Prophezeiung ins Laufen zu bringen.

Wolfgang Reiber - Partner im Ruhestand, Metrion Management Consulting