26. April 2017

9 beliebte Irrtümer über Chef-Mitarbeiter Coaching

1. Irrtum: Chef-Mitarbeiter Coaching funktioniert grundsätzlich nicht

Oft wird gesagt, weil der Chef der Chef ist, könne er nicht gleichzeitig der Coach vom Mitarbeiter sein. Teil eins des Satzes ist korrekt: der Chef ist der Chef, und das vergessen normalerweise auch weder Chef noch Mitarbeiter. Nichtsdestotrotz kann ein Chef einen Mitarbeiter sehr wohl coachen, wenn nämlich der Chef willens und in der Lage ist, mit dem jeweiligen Mitarbeiter partnerschaftlich als Sparringspartner herausfordernde Themen zu erkunden, um dem Mitarbeiter zu helfen, dass dieser möglichst gute und tragfähige eigene Lösungen findet. Und wenn zum anderen der Mitarbeiter die Bereitschaft hat, sich in einer herausfordernden Situation vom Chef als Sparringspartner helfen zu lassen.

2. Irrtum: Chef-Mitarbeiter Coaching kann man an- und ausknipsen

Einfach ‚anknipsen‘ lässt sich Chef-Mitarbeiter-Coaching sicher nicht. Es braucht Voraussetzungen. Dazu gehören insbesondere eine Kultur wechselseitiger Wertschätzung, hilfreiches Feedback im Alltag möglichst in alle Richtungen, d.h. vom Chef zum Mitarbeiter, vom Mitarbeiter zum Chef, auf kollegialer Ebene, an wichtigen Schnittstellen, von internen und externen Kunden etc. Dazu gehören aber auch tragfähige Beziehungen zwischen Chef und Mitarbeiter sowie Offenheit und Reflexions- und Lernbereitschaft auf beiden Seiten. Je mehr diese Voraussetzungen von Coaching allerdings gestört sind oder gänzlich fehlen, desto schneller kann man die Möglichkeit von Coaching wieder ‚ausknipsen‘.

3. Irrtum: Der Chef sagt, wann gecoacht wird

Schön wär’s, oder auch nicht, denn dann wäre Coaching so (un)wirksam und (wenig) nachhaltig wie irgendwelche wohlfeilen Appelle und Ansagen. Für ein Coaching braucht es die Bereitschaft des Coachees, sich zu dem jeweiligen Thema in einen selbstreflexiven und d.h. auch selbstkritischen Dialogprozess mit seinem Gegenüber, dem Coach, zu begeben. Diese Bereitschaft konkretisiert sich im spezifischen Bedarf, dem sogenannten Anliegen des Coachees. Hat der Mitarbeiter bereits ein solches Coachinganliegen, kann es direkt losgehen. Hat er keines, der Chef sieht aber Bedarf, dann geht es für den Chef erst einmal darum zu versuchen, eine entsprechende Einsicht beim Mitarbeiter zu wecken. Und auch dies geht nicht per Ansage oder gar Drohung. Einsicht braucht Einsicht. Nur wenn der Mitarbeiter motiviert ist, das Thema mit seinem Chef so zu reflektieren, dass er dabei bereit ist, sein eigenes Denken und Tun infrage zu stellen und gegebenenfalls zu verändern, hat Coaching eine Chance.  

4. Irrtum: Chef-Mitarbeiter Coaching findet nur in Problemfällen statt

Natürlich kann Coaching auch in kritischen Situation hilfreich sein, z.B. wenn ein Mitarbeiter sich immer wieder überlastet oder sich nicht gut abgrenzen kann; wenn schwierige Verhaltenstendenzen die Arbeit torpedieren, z.B. ein rechthaberischer Stil, mangelndes Eingehen auf Kundenwünsche, umständliche oder unklare Kommunikationsmuster etc. oder wenn die Frage ist, ob Job und Mitarbeiter wirklich ideal zusammenpassen. Gleichzeitig gibt es jede Menge anderer positiv wahrgenommener Situationen, in denen Chef-Mitarbeiter Coaching helfen kann, z.B. bei der Vorbereitung eines Mitarbeiters auf eine neue Funktion, in der Anfangsphase einer neuen Funktion, bei persönlichen Weiterentwicklungs- und Karrierefragen, wenn es um ‚Feintuning‘ im Sinne der weiteren Optimierung an sich schon effektiver Vorgehensweisen geht oder schlichtweg um gemeinsame Reflexion signifikanter Erlebnisse im Alltag.

5. Irrtum: Im Coaching sagt der Chef dem Mitarbeiter, wie es richtig geht

Zu sagen, wie etwas richtig getan wird, ist manchmal mehr als sinnvoll. Das allein ist aber kein Coaching. In Coachingsituationen gilt es oft erst mal herauszufinden, worin überhaupt das Problem bzw. die Herausforderung besteht, was relevante Einflussgrößen und Stellhebel auf die Sache sind, welche alternativen Lösungsansätze es gibt und welche positiven und kritischen Folgen bei welcher Lösung zu erwarten sind. Dies alles setzt intensives und kreatives Fragen und Erkunden voraus. Und das ist für gewöhnlich der wichtigste Teil von Coaching. Tipps und Empfehlungen darf man als Coach natürlich auch geben, aber erstens eher sparsam und zweitens immer mit dem Blick darauf, inwieweit das für den Coachee – und dabei geht es primär um dessen Perspektive und nicht allein um die Chef-Perspektive! – nützlich ist.

6. Irrtum: Coaching kostet zu viel Zeit

Ja, Coaching kostet Zeit - auf jeden Fall mehr als sich einem Thema gar nicht zu widmen, nur ein kurzes Feedback dazu abzulassen oder schnell einen guten Rat zu geben, wie man es ‚richtig‘ macht. Diese Zeit muss sich der Chef in der Tat nehmen, egal ob es nun zehn Minuten oder sogar ein paar Stunden sind, die das Coachingthema dauert. Ein Investment ist es immer und steht damit in Konkurrenz zu all den anderen Dingen, die mehr oder weniger eilig zu erledigen sind. Schneller als Coaching ist auf jeden Fall, wenn der Chef nur mal kurz sagt, wie die Sache aus seiner Sicht zu lösen ist. Manchmal hilft das auch weiter. Je mehr es aber um nachhaltiges Lernen des Mitarbeiters in herausfordernden und das bisherige Lösungsrepertoire des Mitarbeiters übersteigenden Situationen geht, umso wichtiger ist es, dass der Mitarbeiter die Situationen selbst angemessen einzuschätzen lernt und seine ‚PS‘ dann möglichst zielgerichtet ‚auf die Straße bringt‘. Das Coaching, was es dafür braucht, zahlt sich längerfristig aus, jedenfalls wenn es effektiv geschieht. Und dann spart auch der Chef am Ende durchaus Zeit.

7. Irrtum: Coaching hört ja gar nicht auf

Nur schlechtes Coaching findet kein Ende. Coaching ist immer nur eine Unterstützung auf Zeit. Sie dauert solange, bis die Coachingziele erreicht sind und der Coachee mit dem jeweiligen Thema selbst gut genug allein klarkommt. Dies geht manchmal ganz schnell und manchmal dauert es länger. Wenn ein Mitarbeiter sich zum Beispiel in eine neue komplexe Rolle einfinden muss, wenn es darum geht, langjährig etablierte, aber zum Teil einseitige und problemverstärkende Verhaltensmuster zu verändern, so wird dies sicher nicht durch ein Gespräch möglich sein. In solchen Fällen braucht es einen längeren Entwicklungsprozess mit einer ganz Reihe von Gesprächen und natürlich vor allem immer wieder der Möglichkeit für den Coachee, Dinge im Alltag auszuprobieren und umzusetzen und die dabei gemachten Erfahrungen im Coaching dann wieder zu reflektieren.

Will sich allerdings trotz aller Bemühungen gar kein Coachingerfolg einstellen, dann gilt es noch einmal auf Anliegen und Motivation, auf Vorgehensweisen im Coaching bzw. auch auf das grundsätzliche Potenzial des Mitarbeiters für die in Frage stehenden Anforderungen zu schauen. All dies darf man miteinander prüfend betrachten, Schlussfolgerungen daraus ziehen und auch Coachingstrategien anpassen. Wenn das dann aber alles trotz mehrfacher engagierter Versuche überhaupt nicht weiterhilft, ist Coaching vermutlich nicht die richtige Maßnahme, und die Frage ist, was dann: z.B. ein Akzeptieren der Dinge so, wie sie sind, eine Veränderung in einem Teil des Jobs oder im gesamten Job des Mitarbeiters, eine Veränderung der Rahmenbedingungen etc.

8. Irrtum: Coaching ist immer eine große Sache

Gar nicht. Chef-Mitarbeiter Coaching ist sogar meistens eine recht kleine Angelegenheit. Ich unterscheide gerne zwischen systematischem Coaching und Coaching im Alltag. Systematisches Coaching meint dabei einen längeren Coachingprozess mit mehreren Gesprächen zu einem vereinbarten Thema und damit verbundenen Zielen in einem explizit besprochenen Rahmen (z.B. „Wir treffen uns zu dem Thema alle vier Wochen für ca. eine Stunde ungestört in meinem Büro.“). Wie schon skizziert braucht es für manche Themen einen solchen Prozess und entsprechend Entwicklungszeit. Hier ist Coaching, wenn man so will, für den Chef eine etwas größere Sache, und jeder Chef muss gut überlegen, bei welchen Themen und welchen Mitarbeitern er das leisten kann und sollte.

Ungleich häufiger ist jedoch das kleine Coaching im Alltag. Das kann theoretisch überall passieren, in jedem Meeting, jedem Gespräch, life oder am Telefon, vielleicht sogar in schriftlicher Form. Der Mitarbeiter oder Chef und Mitarbeiter zusammen ‚stolpern‘ über ein Thema im Verantwortungsbereich des Mitarbeiters, für das es Reflexionsbedarf gibt. Und statt nun schweigend darüber hinwegzugehen, anzuweisen „Machen Sie es so und so“ oder zu sagen „Das kriegen Sie schon hin“, geht der Chef, vielleicht nur für einige Minuten, in die Rolle eines Sparringpartners, um dem Mitarbeiter vor allem durch erkundendes Nachfragen zu helfen, mehr Klarheit und vielleicht auch noch andere / bessere Handlungsideen zu bekommen. Dies ist der häufigste und auch ein sehr wichtiger Teil von Chef-Mitarbeiter Coaching. Sehr oft werden die Gelegenheiten dafür jedoch gar nicht gesehen – weder vom Mitarbeiter, noch vom Chef.

9. Irrtum: Coaching ist irgendwie ganz anders oder das, was wir ohnehin schon immer tun

Dies sind zwei Seiten derselben Medaille: wenn Coaching total anders ist als alles andere, was man als Chef tut, kann / möchte man es ja im Grunde gar nicht tun, so dass man es also wieder vergessen kann. Genauso, wenn man meint es schon immer getan zu haben. Dann kann man es vergessen, weil man es ja ohnehin schon immer macht, so ähnlich wie Atmen, Essen und Verdauen. Zwei schöne Ideen, um Coaching gleich im Ansatz zu killen.

Richtig ist: im Coaching geht es um eine besondere Gesprächsqualität. Diese Qualität ergibt sich insbesondere durch ein sehr starkes Eingehen auf Situation und Bedarf des Gesprächspartners, durch konsequentes und kreatives Nachfragen, durch Wertschätzung, Offenheit und Vertrauen auf beiden Seiten. Es ist vor allem diese Qualität, die Coaching etwas anders sein lässt als vieles, was im Führungs- und Arbeitsalltag sonst geschieht und vor allem anders als Reaktionen, die sich quasi reflexmäßig auf Schwierigkeiten hin ergeben, wie etwa gut gemeinte Appelle und Ratschläge geben. Gleichzeitig ist hoffentlich von solchen Qualitäten ganz vieles auch an anderen Stellen im gemeinsamen Alltag schon vorhanden, und insofern ist Coaching gar nichts prinzipiell Anderes oder Neues, sondern wie eine Verdichtung, eine besonders systematische und konsequente Nutzung hilfreicher Haltungen und Kommunikationsformen für sich stellende Herausforderungen und Entwicklungsthemen im Führungsalltag. 

Über den Autor

Dr. Stefan Hölscher verbindet fundierte psychologische Erfahrung mit Klarheit und humorvoller Pointierungslust. Er liebt intensive Reflexion als Grundlage für kraftvolle Impulse: als Coach und Trainer ebenso wie als Autor und kreativer Geist.


Individuelle Beratung unter +49 69 9399677-0 oder info@metrionconsulting.de

Kein Coachinggespräch gleicht dem anderen. Effektives Coaching erfordert in jedem Moment situatives, nicht schematisches Agieren und Reagieren.

Dr. Stefan Hölscher - Partner, Metrion Management Consulting