12. September 2019

Achtsamkeit - Eine kurze Einführung

Achtsamkeit scheint in aller Munde – nicht nur in den Medien, sondern auch immer mehr in den Unternehmen. Doch wo kommt das Konzept der Achtsamkeit plötzlich her, was soll es bringen und was ist Achtsamkeit genau: Esoterischer Humbug, ein Aufmerksamkeitstraining, ein Mittel gegen Stress, ein Verfahren zur Steigerung des Wohlbefindens …? Diesen Fragen geht der folgende Artikel nach.

Woher kommt Achtsamkeit?

Das Konzept der Achtsamkeit hat seine Ursprünge im Hinduismus und im Buddhismus und ist seit mehr als 2000 Jahren bekannt. Es liegt als meditative Grundpraxis allen buddhistischen Schulen zu Grunde. In die Unternehmenspraxis wurde es insbesondere durch Jon Kabat-Zinn, Professor an der University of Massachusetts Medical School in Worcester getragen. Kabat-Zinn ist ein Pionier der modernen Achtsamkeitsforschung. Er entwickelte und lehrte das achtwöchige MBSR-Programm (Mindfulness-Based Stress Reduction), ein Kurs, der auch von vielen Unternehmen angeboten wird. US-Firmen haben die "Mindfulness" schon vor mehr als 10 Jahren ins Programm aufgenommen, und nach und nach haben auch deutsche Firmen die Achtsamkeit für sich entdeckt. In der Regel wollen sie mit Achtsamkeitstrainings einem Burnout oder anderen psychischen Erkrankungen ihrer Mitarbeiter*innen vorbeugen. Achtsamkeit aber als Anti-Stress-Konzept zu begreifen, wäre zu kurz gegriffen.

Was ist Achtsamkeit?

Achtsam und voll präsent bin ich, wenn ich meine Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment richte. Wenn ich z.B. mit vollem Herzen und voller Aufmerksamkeit bei dem bin, was im aktuellen Meeting gesprochen, gesagt und vielleicht auch zwischen den Zeilen gesagt und gefühlt wird. Dabei wird der Moment in einer offenen Haltung erlebt und erfahren, ohne dass das Erlebte  bewertet wird. Ich höre und ich nehme also auf, was gesagt wird, wie es gesagt wird, mit welchen Worten etwas gesagt wird. Und natürlich kommen dann Gedanken wie: Was für ein Quatsch!“ oder „Oh - das ist gut!“ etc. Nun gilt es, in dieser Bewertung nicht zu verharren, sondern zu bemerken, dass ich gerade etwas bewerte und diese Bewertung dann wieder loszulassen. Ganz so, wie man manchmal Wolken am Himmel sieht, die man wahrnimmt, die man vielleicht, weil sie gerade so dicht sind, als unschön erlebt, die dann – früher oder später – aber auch wieder weiterziehen und sich auflösen.

Der Vorteil einer achtsamen Haltung ist, dass ich nicht unreflektiert und schnell auf meine Bewertungen hin handle, sondern feststelle, dass ich bewerte, diese Bewertung dann wieder loslasse und so auf die Situation klarer und weniger voreingenommen reagieren oder auch nicht reagieren kann.

Nicht achtsam bin ich, wenn ich zum Beispiel meine Tasse Kaffee aufgieße und dabei schon gedanklich an meinen nächsten Termin denke und den Duft des Kaffees, der gerade durch meine Nase steigt, gar nicht wahrnehme oder wenn  ich in einem Meeting sitze, und mir gedanklich noch die ungute Situation aus dem letzten Meeting durch den Kopf geht. Auch wenn ich mit der Absicht in mein Büro gehe, mein Handy mit nach draußen zu nehmen, dann den Computer sehe, schnell noch eine dringende Mail schreibe und letztendlich wieder aus diesem Raum herausgehe, ohne das Handy eingepackt zu haben, war ich nicht achtsam. Meine Gedanken „Handy holen“ und meine Handlung waren nicht mehr miteinander verknüpft.

Auf diesem informellen Weg kann ich Achtsamkeit jeden Tag, jede Minute trainieren. Bin ich ganz bei dem was ich im Moment tue oder sind meine Gedanken vielleicht schon wieder woanders? Habe ich wirklich geschmeckt, was ich gerade getrunken, gegessen habe oder ist das Essen irgendwie in den letzten Minuten in meinen Magen gelangt? Vielleicht fragen Sie sich jetzt aber: Wozu brauche ich denn ein solches Training?

Was kann die Praxis der Achtsamkeit bewirken?

Menschen, die ernsthaft und regelmäßig Achtsamkeit praktizieren, berichten davon, dass sie ruhiger werden, der Körper sich entspannt, ihr Geist stabiler und klarer wird und sie damit auch in schwierigen Lebenszeiten besser mit ihrer inneren Kraft und ihren Ressourcen verbunden sind. Dies hilft, sich widrigen Lebensumständen und Stresssituationen besser gewachsen zu fühlen. Das „Geschnatter“ der Gedanken im Kopf und das Gefühl von innerer Unruhe nimmt ab, da sich der Geist stabilisiert und beruhigt, was wiederum Auswirkungen auf das Gefühlsleben hat. Negative Emotionen können wahrgenommen, aufgenommen und in sinnvolle Richtungen gelenkt werden. Menschen, die Achtsamkeit praktizieren, berichten weiterhin, dass sie sowohl mit sich selbst, als auch mit anderen geduldiger und mitfühlender werden. Dies bedeutet aber nicht, dass sie alles einfach so hinnehmen. Im Gegenteil: Durch ein klareres Bewusstsein und ein Kennenlernen von sich selbst, können, wenn nötig, auch besser Grenzen gesetzt werden – freundlich und klar zugleich.

Viel wird darüber berichtet, dass achtsame Menschen glücklicher, zufriedener sind ohne dass sich um sie herum notwendigerweise etwas ändert. Der Grund wird darin gesehen, dass achtsamen Menschen mehr und mehr bewusst wird, dass Glück und Lebensfreude weniger von äußeren Bedingungen abhängt als von der inneren Verfassung und der Nichtbeurteilung von dem, was einem tagtäglich begegnet. Freudvoll ist man nicht mehr nur dadurch, dass sich etwas Schönes oder positiv Erwartetes im Leben ereignet, sondern schon durch all die täglichen Kleinigkeiten, die man achtsam wahrnehmen kann, wie z.B. das Gezwitscher der Vögel am Morgen, das Pollensammeln der Bienen in den Blüten meiner Balkonpflanzen, die wohltuende Wirkung eines guten Tees im Körper, die alltägliche Unterstützung der Kollegen in der Arbeit und vieles andere mehr.

Sind die Wirkungen von Achtsamkeit wissenschaftlich erwiesen?

In den letzten dreißig Jahren wurde immer mehr über Achtsamkeit und Meditation wissenschaftlich geforscht. Es gibt zahlreiche Studien, die die Wirksamkeit von Achtsamkeit belegen. Sehr effektiv scheint Achtsamkeit für die Verringerung von Stress und mit Stress einhergehenden Problemen wie Angst, Panik und Depressionen zu sein. Auch bei chronischen Schmerzzuständen konnte gezeigt werden, dass Menschen die regelmäßig Achtsamkeitsübungen praktizieren, leichter und erfüllter damit leben können. Klar messbar ist außerdem die Wirkung des meditativen Zustandes als Veränderung in den Hirnwellen und damit verbunden einer vertieften Atmung und einer reduzierten Muskelspannung.

Wie kann ich Achtsamkeit trainieren?

Achtsamkeit kann grundsätzlich auf zwei Wegen erreicht werden. Methodisch durch die Praxis der Meditation, die in unzähligen Varianten (Zen-Meditation, Kontemplation, Yoga, Body Scan etc.) geübt werden kann. Eher informell, in dem ich im Alltag meine Gedanken mit meinen Handlungen verknüpfe, wie es oben beschrieben wurde.

Für Anfänger sehr geeignet ist es, sich in eine meditative Haltung zu begeben (gerade und aufrecht auf einem Stuhl oder im Schneidersitz auf dem Boden, die Augen leicht geöffnet mit einem Blick, der unfokussiert, ruhig und entspannt ca. 40 cm vor dem Körper auf den Boden oder die Wand gerichtet ist) und die Aufmerksamkeit auf den Atem zu richten. Am besten auf die Stelle im Körper, an der die Empfindungen am deutlichsten sind. Zum Beispiel die Bauchdecke, die sich mit jedem Einatmen hebt und mit jedem Ausatmen senkt oder auch die Nasenlöcher, in denen ich vielleicht spüre, wie die Luft kühl einströmt und etwas erwärmt wieder heraus strömt. Ich denke dann nicht über den Atem nach, ich versuche auch nicht, den Atem zu beeinflussen, ihn z.B. besonders ruhig ein- und ausströmen zu lassen. Ich lasse das Atmen einfach geschehen. Mein Körper bestimmt den Rhythmus und ich spüre und beobachte es. Und natürlich werden mir dann 1000 Dinge durch den Kopf gehen, die mich gedanklich vom Atem wegtragen (z.B. „Wie habe ich heute im Meeting präsentiert? Wie wird der Chef meinen Vorschlag wohl behandeln? Etc.....“) Das ist normal. Die Übung ist es nun, dies zu bemerken und immer wieder zur Beobachtung zurückzukehren. Wieder abzudriften, dies irgendwann zu bemerken und wieder zum Atem zurückkehren. Mit zunehmender Praxis wird es gelingen, die Zeitspanne, in der ich beim Spüren des Atems bleiben kann, auszudehnen und die Zeitspanne, in der ich mich von anderen Gedanken wegtragen lasse, zu verkürzen. Diese Übung kann ‚zur Hölle‘ werden, wenn Gedanken und Gefühle auftauchen, die ich nicht spüren will, die mich vielleicht dazu drängen, aufzustehen, die Übung abzubrechen, die Gedanken zu verdrängen und mich in eine Handlung zu stürzen. Die Aufgabe besteht dann darin, dies auszuhalten, nichts zu tun, sitzen zu bleiben und die Aufmerksamkeit auf den Atem zu richten. Mehr nicht. Ganz einfach, oder...?

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Achtsamkeit viele Gesichter hat und dass ich sie zu sehr unterschiedlichen Zwecken einsetzen kann, z.B. zur Stressreduktion, als Aufmerksamkeitstraining oder um mehr Körperbewusstsein zu entwickeln. Aber Achtung: „Risiken und Nebenwirkungen“ sind nicht ausgeschlossen. Ein höheres Wohlbefinden, ein glücklicheres Leben und womöglich eine Veränderung des Lebensstils und der Prioritäten im Leben sind bei regelmäßiger Praxis nicht selten!

 

Über die Autorin

 Pia Gaspard hat einen besonderen Sinn für Menschen und für Zahlen. Sie hört sehr genau zu und bringt die Themen ebenso klar wie wertschätzend auf den Punkt. Dadurch unterstützt sie insbesondere auch in schwierigen und konflikthaften Situationen die Beteiligten konstruktive Ansätze für nachhaltige Lösungen zu finden. 


Individuelle Beratung unter +49 69 60 60 55 60 oder info@metrionconsulting.de

Dauerhaft Achtsamkeit üben ist eine sichere Art sich selbst weiterzuentwickeln, auch wenn das Wohin sich dabei erst nach und nach ergibt.

Pia Gaspard - Partnerin, Metrion Management Consulting