18. April 2018

Die Kunst der Selbstführung - Was macht sie gerade heute so anspruchsvoll?

Langfristig erfolgreiche Selbstführung ist immer herausfordernd: Inmitten all der oft turbulenten und schmerzhaften Ereignisse und Veränderungen, die das Leben so mit sich bringt, inmitten all der verschiedenen und oft gegenläufigen Strebungen in uns selbst und nicht zuletzt inmitten von mitunter einschneidenden Prozessen von Reifung, Entwicklung, Älterwerden ist es alles andere als ‚easy‘, einen guten und kraftvollen Kurs für das eigene Denken, Wollen und Tun zu finden und immer wieder neu auszutarieren. Diese Aufgabe bleibt lebenslang anspruchsvoll. Heutzutage ist sie es aber ganz besonders; und das liegt maßgeblich an Bedingungen, die gesellschaftliche, wirtschaftliche, organisationsbezogene, aber auch psychologische Entwicklungen betreffen, die unsere Welt prägen. Lassen Sie uns auf einige der in diesem Zusammenhang einflussreichen Punkte einen Blick werfen.

Schauen wir auf die große, mit dem Stichwort der Digitalisierung bezeichnete technologisch-wirtschaftlich-gesellschaftliche Transformation, so ist klar – egal ob man darin stärker Chancen oder Risiken sehen mag –, dass sich für viele Menschen tiefgreifende Änderungen ihrer beruflichen Kontexte, Rollen und Aufgaben und damit auch signifikante Herausforderungen für das persönliche Selbstverständnis und die persönliche Kursbestimmung ergeben werden. Die in den meisten Organisationen als Reaktion auf die zunehmende Komplexität und Dynamisierung von Technologien und Märkten schon jetzt stattfindenden Änderungen in Richtung einer höheren Agilität bringen für Mitarbeitende und Führungskräfte nicht nur die Möglichkeit für mehr Selbstverantwortung und  ein stärker partnerschaftliches Zusammenarbeiten mit sich, sondern stellen damit zugleich auch ungleich größere Herausforderungen in Bezug auf das Bilden sinnvoller Priorisierungen, effektiver Arbeitsorganisation, Interaktion und Kommunikation dar.

Hinzu kommen schon lange laufende Phänomene der sich gleichermaßen aus Komplexitätssteigerung wie Effizienzoptimierung ergebenden Arbeits­verdichtung, die besonders für Menschen in hochqualifizierten Tätigkeitsfeldern eine Art Dauerbombardement mit immer neuen Aufgaben, Projekt- und Veränderungsthemen und damit auch weiter steigende Anforderungen an die persönliche Stabilität und das an den Tag gelegte Selbstmanagement mit sich bringen. Weit mehr als ein Randthema ist in diesem Zusammenhang auch der mediale Dauerbeschuss, dem wir heutzutage ausgesetzt sind durch unablässig ein- und ausgehende Nachrichten, E-Mails, Posts etc., wodurch nicht nur die Anforderungen in Bezug auf die Reaktionsgeschwindigkeit, sondern auch in Bezug auf den Umgang mit gleichzeitig zu behandelnden Themen und Anforderungen sich deutlich erhöhen.

Um all dies gut bewältigen zu können, brauchen wir persönliche Stärke und ein starkes individuelles Profil. Dies nicht nur wertzuschätzen, sondern kreativ zu nutzen, haben sich ja auch die meisten Organisationen unter dem Stichwort „Diversity“ dick auf die Fahnen geschrieben. Nur sollte man in organisationalen Kontexten auch nicht zu viel des Individuellen im Denken und Vorgehen zeigen, weil man sonst Gefahr läuft, anzuecken und sich ins Abseits zu manövrieren. Womit sich eine weitere Herausforderung für unsere Selbstführungsfähigkeiten ergibt: Persönlichkeit zeigen und nutzen, aber bitte im jeweiligen Umfeld sozial kompatibel und schön geschmeidig!

Nicht zuletzt machen wir uns selbst die Sache auch nicht gerade leichter, da uns – und dies ist natürlich Ausdruck einer größeren gesellschaftlichen Entwicklung – eine ausgeprägte Anspruchshaltung in Bezug auf unser berufliches wie auch unser privates Leben zu eigen ist: die hoch spannende berufliche Tätigkeit mit jeder Menge Entwicklungschancen, attraktiver  Bezahlung und opulenten Arbeitgeber­zusatzleistungen, besten Aussichten auf Gesundheit, Wohlbefinden, Partnerschafts- und Familienfreundlichkeit und ein rundherum erfreuliches Privatleben mit glücklicher Partnerschaft / Familie und jeder Menge persönlicher Selbstentfaltungs­möglichkeiten sollte es mindestens schon sein!

Ist nachhaltig gelingende Selbstführung schon aus der Natur des Menschen heraus grundsätzlich diffizil, so könnte man sie angesichts all dieser technologischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und psychologischen Dynamiken heutzutage geradezu als Herkulesaufgabe betrachten, nur dass wir dabei irgendwie alle in die Rolle von Herkules geraten sind und die Aufgabe gar kein Ende nimmt.

Dies heißt dann aber auch, dass effektive Selbstführung zu einer Schlüsselkompetenz geworden ist, einer Kompetenz, die wir kontinuierlich brauchen, wohl wissend, dass es bei ihrer Anwendung oft keine Eindeutigkeit oder gar triviale Richtigkeit gibt, sondern stattdessen immer wieder ein Reflektieren, Abwägen und Entscheiden in vielgestaltigen, dynamischen und uneindeutigen Zusammenhängen. Die Komplexität dieser Zusammenhänge nicht zu verdrängen oder unangemessen zu simplifizieren und gleichzeitig immer wieder zu einer Klarheit im Denken, Wollen und Tun zu gelangen, ist eine hohe Kunst: die Kunst gelingender Selbstführung.

Die wichtigsten Facetten solcher Selbstführungskunst auch nur halbwegs angemessen zu beschreiben, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Ich möchte Ihnen jedoch zumindest noch diejenigen Punkte kurz vorstellen, die ich dafür als besonders hilfreich erachte:

  • Selbstwahrnehmung und Selbsterkenntnis

Je besser ich mich selbst wahrnehme und erkenne, umso genauer weiß ich, was ich brauche, was ich kann, auf welche Einseitigkeiten ich bei mir achten muss, auf welche Stressoren ich wie reagiere und wie ich mit ihnen sinnvoll umgehen kann etc. So kann ich mein Verhalten effektiv steuern.

  • Klarheit über Werte und Ziele

Meine Werte weisen mir den Weg. Sie sind zentrale Orientierungspunkte dafür, was ich will, wohin ich will, wie ich mich verhalten will. Daraus ergeben sich auch Visionen und situationsbezogene Ziele für mein berufliches und privates Tun.

  • Selber denken und entscheiden

Nachdenken, sich selbst eine Meinung bilden, eigene Entscheidungen treffen – all das ist nicht risikofrei. Man kann sich damit unbeliebt machen, Zugehörigkeiten verlieren, Karrierewege ausbremsen. Aber nur wenn ich bereit bin, selbst zu denken und meine eigenen Entscheidungen zu treffen, habe ich die Chance auf langfristiges Wohlergehen und nachhaltigen Erfolg.

  • Leidenschaft und Genuss

Wir sind immer auch sinnliche Wesen. Wie schaffe ich Raum dafür und wie lebe ich mein sinnliches Begehren? Vitalität braucht Sinnlichkeit und Zugang zu sinnlichen Energien.

  • Akzeptanz

Wer effektiv verändern will, muss akzeptieren lernen. Annehmen von dem, was da ist und was ich nicht ändern kann: meine Talente und ihre Grenzen, mein Alter, meine körperliche Grundbeschaffenheit, meine Generations- und Kulturzugehörigkeit, meine Herkunft etc. Je stärker ich das, was da ist, akzeptieren kann, umso eher kann ich mich weiter entwickeln, lernen und mein Leben konstruktiv gestalten.

  • Selbstempathie

Oft gehen wir mit uns selbst gerade in schwierigen Situationen nicht gut um, sondern hadern mit uns, gehen mit uns streng ins Gericht, ignorieren unsere elementaren Bedürfnisse etc. Es ist, wie schon die antiken Philosophen wussten, überhaupt nicht einfach, „sich selbst ein guter Freund zu sein“, aber genau das braucht es: Selbstwertschätzung, Selbstwertgefühl, Selbstmitgefühl gerade auch unter kritischen Bedingungen.

  • Hilfreiche Gewohnheiten etablieren

Es gilt gute Gewohnheiten auszubilden. Das ist der Weg zu nachhaltiger Veränderung, Erfolg und Wohlergehen. Dafür braucht es Klarheit dessen, was uns wichtig ist, klare Entscheidungen, eine Konkretisierung unseres Tuns und hilfreiche Strategien für den Umgang mit Verführungen, die uns von unseren guten Vorsätzen und Plänen wieder wegbringen wollen.

  • Synergie: Eins und eins gleich drei.

Das Ich ist angewiesen auf ein Du. Ich brauche und suche Ergänzung, Kooperation, gelingende Beziehungen – beruflich und privat.

  • Weiterentwicklung

Selbstführung hört nicht auf, solange wir leben, und Weiterentwicklung sollte es auch nicht. Ich brauche die Einsicht, Motivation und Bereitschaft für lebenslange persönliche Weiterentwicklung sonst wird meine Entwicklung stagnieren und ich laufe Gefahr zu erstarren.

Alle diese Facetten zusammen machen die Kunst der Selbstführung aus, in der wir uns tagtäglich üben müssen, um mehr und mehr zum Meister zu werden, wohlwissend, dass wir es niemals vollumfänglich sind. Heute weniger denn je.

 

Über den Autor

Dr. Stefan Hölscher verbindet fundierte psychologische Erfahrung mit Klarheit und humorvoller Pointierungslust. Er liebt intensive Reflexion als Grundlage für kraftvolle Impulse: als Coach und Trainer ebenso wie als Autor und kreativer Geist.


Individuelle Beratung unter +49 69 9399677-0 oder info@metrionconsulting.de

Dass Selbstakzeptanz und Selbstentwicklung zusammengehen, ist kein Widerspruch, sondern der Kern eines gelingenden Lebens.

Dr. Stefan Hölscher - Partner, Metrion Management Consulting