21. Juni 2023

Von der Kunst der Rückmeldung -Teil 1: Beurteilendes Feedback

In Feedback-Trainings werden klassischerweise Modelle vermittelt, die bei Feedback zu einem systematischen Vorgehen einladen, indem sie eine kommunikative Schrittfolge definieren: Erst soll A beschrieben werden, dann B und zuletzt C.

Diesen Modellen liegt der Gedanke zugrunde, dass Feedback professionell und effektiv ist, wenn dreierlei auseinandergehalten wird:

  • welches Verhalten man faktisch bei einer anderen Person beobachtet hat
  • wie das Verhalten auf einen selbst gewirkt hat und/oder welche Auswirkungen das Verhalten hatte
  • welches Verhalten man sich von der anderen Person in Zukunft erhofft

Als geläufiges Beispiel für solch ein Modell sei das WWW-Modell genannt, das in der Schrittfolge zwischen 'Wahrnehmung', 'Wirkung' und 'Wunsch' unterscheidet.

Ohne Zweifel ist es essenziell, dass Menschen, die Feedback geben, diese drei Schritte innerlich und in der Kommunikation voneinander trennen können. Aus meiner Sicht wird Feedback aber nicht nur dadurch professionell und effektiv. Professionalität und Effektivität resultieren auch aus der Bewusstheit darüber, was überhaupt der Gegenstand – also das jeweilige Thema – von Feedback ist und welches Ziel man angesichts dieses Gegenstands mit Feedback verfolgt.

Gegenstand von Feedback kann Folgendes sein:

  • die Qualität eines Arbeitsergebnisses – z. B. fehler­freie oder fehler­hafte Be­rech­nungen in einer Excel-Tabelle
  • die Art, wie ein Mitarbeiter/eine Mitarbeiterin eine Leistung erbracht hat – z. B. die Begrüßung eines Gasts an der Re­zept­ion mit regungsloser Mine
  • das Auftreten eines Kollegen – z. B. ein verknitterter Anzug oder schmatzendes Kaugummi-Kauen in einem Meeting
  • Verbesserungspotenzial bei der Erledigung einer Aufgabe – z. B. konkrete Vorschläge für die Pointierung eines Posts auf LinkedIn
  • eine Stärke – z. B. die Art, wie ein Mitarbeitender die Gefühle seiner Teamkollegen wahrnimmt
  • etc.

Angesichts der Vielzahl von Themen, die bei Feedback adressiert werden können, könnte man meinen, dass auch die Zielsetzungen von Feedback mannigfaltig sind. Tatsächlich lassen sich aber mit Blick auf die Praxis vor allem drei Zielsetzungen unterscheiden. Feedback kann dem Ziel dienen ...

  • Verhalten durch Lob zu stärken oder durch Kritik zu verändern
  • Verständigung über kooperatives Miteinander zu schaffen
  • Impulse zur Potenzialentfaltung zu setzen

Sich mit dem Gegenstand und dem Ziel von Feedback auseinanderzusetzen, ist wichtig, weil davon geprägt werden: die Haltung, in der man auftritt; der Ton, den man wählt; und die Art, wie man durch das Gespräch führt, das sich an Feedback anschließt. In der Praxis kann Feedback also – abhängig vom Gegenstand und vom Ziel – unterschiedliche Formen annehmen, auch wenn die beschriebene Schrittfolge immer die gleiche ist. Das möchte ich hier und in zwei nachfolgenden Beiträgen veranschaulichen.

Beurteilendes Feedback: Feedback zur Stärkung oder Ver­än­derung von Ver­halten

Feedback wird häufig mit einem Daumen, der nach oben zeigt, oder einem Daumen, der nach unten zeigt, assoziiert – was nicht zuletzt an entsprechenden Kommunikationspraktiken in den sozialen Netzwerken liegen mag.

Bei dieser Form von Feedback steht die Beurteilung von Verhalten im Vordergrund: Person A meldet Person B zurück, ob sie das Verhalten von Person B gut oder schlecht findet. Dabei hinterfragt Person A ihre Sicht auf die Dinge tendenziell nicht.

In hierarchisch strukturierten Organisationen sind es dis­ziplin­arische Führungs­kräfte, die die Befugnis haben, solch beurteilendes Feedback als Form der Rückmeldung einzusetzen.

Im Rahmen klassischer Performance Management Prozesse zum Beispiel entscheiden Führungskräfte, inwieweit ihre Mitarbeitenden ein gewünschtes Leistungsverhalten an den Tag gelegt haben: ob sie vereinbarte Ziele erreicht haben und, wenn ja, in welcher Güte. In Einzelgesprächen mit den Mitarbeitenden begründen die Führungskräfte diese Entscheidungen dann mittels beurteilenden Feedbacks: "Das hast Du gut gemacht ... und das weniger gut." Sie belohnen gewünschtes Verhalten also mit Lob und sanktionieren unerwünschtes Verhalten mit Kritik. Lob geht dabei nicht selten mit der in Aussicht gestellten Auszahlung eines Bonus einher, während Kritik mit einer Ansage zu zukünftig gewünschtem Verhalten verbunden ist. Etwas überspitzt könnten man sagen, dass Führungskräfte wie Lehrer in der Schule agieren, die Noten verteilen.

Neben mangelhaftem Leistungsverhalten kann der Gegenstand negativen Feedbacks auch die Nicht-Einhaltung von Regeln sein. Hier sei z. B. an die Weigerung mancher Mitarbeitender in der Corona-Pandemie erinnert, eine Maske zu tragen.

Führungskräfte tun sich dabei in der Regel mit negativem Feedback deutlich schwerer als mit positivem. Was ist, wenn man negatives Feedback zielführend geben will, nun besonders zu beachten? – Vor allem zweierlei:

  1. Führungskräfte sollten ihre Erwartungen im Vorfeld klar kommuniziert haben, sei es, was die Einhaltung von Regeln oder was die Leistungserbringung betrifft. Dies setzt voraus, dass sie sich Gedanken zu ihren Erwartungen gemacht haben.
  2. Wenn Mitarbeitende ein Verhalten an den Tag gelegt haben, das nicht erwartungskonform ist, sollten Führungskräfte keine Scheu vor Kritik und keine Scheu vor Ansagen haben. Führungskräfte, die ihrer Aufgabe, Erwartungen im Vorfeld klar zu kommunizieren, nachgekommen sind, dürfen bei negativem Feedback steuernd agieren und ihre Ziele mit Nachdruck durchsetzen.

Lassen Sie uns den ersten Punkt näher betrachten:

  • Menschen lassen sich durch Zielbilder effektiver aktivieren als durch die Spiegelung von Defiziten – und Erwartungen sind ja nichts anderes als Zielbilder. Die Spiegelung von Defiziten birgt die Gefahr von Gesichtsverlust und kann Scham auslösen – oder die Abwehr von Scham. Zielbilder hingegen lassen persönliche Grenzen unangetastet; sie fokussieren auf etwas außerhalb der Person und setzen im günstigsten Fall Energie zur Zielerreichung frei.
  • Es ist ein Gebot der Fairness, Menschen wissen zu lassen, was der Bezugsrahmen für die Beurteilung ihres Verhaltens ist. Oft gehen Führungskräfte davon aus, dass ihre Erwartungen Selbstverständlichkeiten sind, die die Mitarbeitenden irgendwie intuitiv erfassen. Das ist in vielen Fällen schlichtweg unrealistisch und vom Ergebnis her unfair, weil Führungskräfte damit ihrer Verantwortung, Orientierung zu geben, nicht nachkommen. Nun ist Fairness aber einer von fünf Faktoren, die nach David Rock, dem Mit-Begründer des NeuroLeadership Institute, das Belohnungssystem unseres Gehirns in sozialen Interaktionen aktivieren. Wenn es für uns fair zugeht, sind wir kooperationsbereit und offen für Neues, auch für Veränderung. Haben wir hingegen das Gefühl, dass es an Fairness mangelt, fühlen wir uns bedroht; wir werden aggressiv, erstarren oder ziehen uns zurück. Erst wenn Fairness gegeben ist, kann Feedback zu einem Verhalten, das nicht erwartungskonform ist, wirksam werden – und Fairness ist gegeben, wenn Erwartungen transparent sind.

Als handlungsleitende Schlussfolgerungen für die Praxis von Führung kann man daher festhalten:

  1. Führungskräfte sollten sich vorrangig um die Klärung und Kommunikation ihrer Erwartungen kümmern und beurteilendes Feedback als nachgelagerte Maßnahme begreifen.
  2. Führungskräfte sollten sich bewusst machen, in welchen Situationen sie beurteilendes Feedback als Form der Rückmeldung einsetzen wollen und in welchen eher nicht.

Der zweite Punkt hat damit zu tun, dass beurteilendes Feedback nur eine Form von Feedback neben anderen ist. In einem Folgebeitrag werde ich eine Form von Feedback fokussieren, in der es nicht um Beurteilung, sondern um Verständigung geht.

Über den Autor

Christopher Gärtner hat Expertise in Personen- und Systemqualifizierung. Er bewegt sich mit Kopf, Herz und Bauch in und zwischen beiden Domänen. Sein Credo, dem er seit über 30 Jahren folgt: immer lernbereit sein und wandlungsfähig bleiben.


Individuelle Beratung unter +49 69 9399677-0 oder info@metrionconsulting.de

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