15. Mai 2007

Wissen und Wissensvermittlung

„Wir ertrinken in Informationen, aber uns dürstet nach Wissen“ (John Naisbitt)

Wissen

Der Begriff „Wissen" erschließt sich scheinbar auf den ersten Blick – sicher mit ein Grund dafür, warum noch vor wenigen Jahren ein gravierendes Missverständnis über die Natur von Wissen vorherrschte. Die meisten von uns verknüpfen mit dem Begriff „Wissen“ automatisch bestimmte Vorstellungen, die bis in unsere Schulzeit zurückreichen. In der Schule sind Wissensinhalte (der sogenannte Lernstoff) in Lehrplänen geordnet. Diese Lehrpläne entsprechen den Überlegungen von Verantwortlichen in Bildungsministerien, was diese denken, was Schüler einer bestimmten Klassen- und Leistungsstufe lernen sollten. Dabei spielt der Einzelne keine Rolle. Gelernt werden muss, was vorgeschrieben ist, unabhängig davon, wer gerade lehrt oder den Lehrern gegenübersitzt. Was haben der 30-jährige Krieg, die trigonometrischen Formeln oder „Die Glocke" von Friedrich Schiller mit dem konkreten Schüler Hans Müller zu tun, der soeben irgendwo in Deutschland unterrichtet wird? Die Vorstellung liegt deshalb nahe, dass Wissen etwas Gegenständliches ist, etwas, das größtenteils außerhalb von Menschen wie Schülern oder Studenten zu finden ist und von diesen allenfalls – je nach Fleiß und Intelligenz – verstanden und aufgenommen werden kann. Wir alle teilen gleichzeitig die Erfahrung, dass vieles mühsam Erlernte höchstens für das Bestehen einer Prüfung von Wert war und danach rasch wieder aus der Erinnerung verschwand oder höchstens als weitestgehend ungenutztes („totes") Wissen kurzzeitige Wiederauferstehung feierte, z.B. beim Ausfüllen von Kreuzworträtseln. Für unseren praktischen Lebensalltag spielt es keine Rolle.

Die uns aus der Schulzeit vertrauten Vorstellungen wurzeln in einem klassischen und bis auf die Zeit der Aufklärung zurückreichenden Begriffsverständnis. Demnach ist Wissen objektive Erkenntnis und damit ein Wert an sich, also personenunabhängig. „Richtig“ Gewusstes ist wahr. Und wenn es wahr ist, ist es logisch ableitbar, begründbar und intersubjektiv nachvollziehbar. Dieses Verständnis ist zur Grundlage der Wissenschaften, insbesondere der Naturwissenschaften geworden. In den letzten Jahren und Jahrzehnten sind allerdings auch dort die Schwierigkeiten deutlich geworden, die mit der unbedingten Forderung nach Objektivität und Widerspruchsfreiheit zusammen hängen.

Im Wissensmanagement und in der Wissensökonomie wird Wissen dagegen funktional im Hinblick auf seine mögliche Nutzenstiftung gesehen. Sein Wert entscheidet sich daran, wie weit es sich in der (Lebens-) Praxis bewährt. Aus dieser Diskussion entstand u.a. die wichtige Unterscheidung zwischen Daten, Informationen und Wissen. Daten sind demnach Texte, Zahlen und Bilder, die es um uns herum in mittlerweile fast unendlicher Menge gibt. Zeitungen, Fernsehen oder das Internet: Überall findet sich ein überwältigendes Angebot an Daten. Wir sind völlig außerstande, sie vollständig wahrzunehmen und zu verarbeiten. Aber wer will das auch schon? Genervt sitzt beispielsweise Kurt Müller vor seinem Fernsehgerät und springt mithilfe seiner Fernbedienung von Programm zu Programm mit einer mittleren Verweilzeit von etwa drei Sekunden. Das Angebotene interessiert ihn nicht. Es hat keinerlei Wert für Kurt, bis er plötzlich auf eine Sendung stößt, die für ihn einen Unterschied macht: Eine Zusammenfassung des letzten Spieltags der Fußballbundesliga. Seine neben ihm sitzende Ehefrau Klara langweilt der Bericht genauso wie alles davor Gesehene. Weil Kurt sich nicht zu einem raschen Weiterschalten bewegen lässt, zieht sich Klara schlecht gelaunt in ein anderes Zimmer zurück. Der Bericht ist für Kurt interessant, für Klara nicht. Sie besitzt andere Relevanzkriterien.

Daten, die relevant sind und deswegen einen Unterschied machen, werden Informationen genannt. Sie sind deshalb relevant, weil sie etwas zu tun haben mit den aktuellen Wünschen, Bedürfnissen oder Zielen desjenigen, der sie wahrnimmt. Kurt ist ein Fußballfreund, also sind Fußballsendungen für ihn interessant. Für Klara sind sie es keineswegs. Sie hätte vielleicht bei einer Krimiserie innegehalten.

Weil sich die Menschen im Hinblick auf Wünsche, Bedürfnisse oder Ziele unterscheiden, ist die Zuschreibung von Relevanz relativ oder subjektiv. Die Diskussion über Spielstärken einzelner Mannschaften liefert für den Fußballfreund Informationen, für Klara sind es Daten. Angenommen, Kurt verwendet die Informationen aus der Berichterstattung, um einige Spielprognosen für den nächsten Spieltag abzuleiten, und weiter angenommen, er füllt einen Tippzettel aus und gewinnt. Dann freut er sich nicht nur, sondern er hat auch etwas gelernt, nämlich, dass die in der Sendung vorgenommenen Einschätzungen zusammen mit seinen eigenen Überlegungen dazu prinzipiell richtig waren (oder, vorsichtiger ausgedrückt, nicht offensichtlich falsch waren). Aus Information ist Wissen geworden.

Persönliche Relevanzkriterien entscheiden darüber, ob es sich im Einzelfall um Daten oder um Informationen handelt. Und erst wenn Informationen beim Tun verwendet bzw. im Kopf verarbeitet werden, kann daraus Wissen entstehen. Verarbeiten heißt, dass die neuen Informationen mit dem schon vorhandenen Wissen gedanklich verknüpft werden. Wer z.B. ein Fachbuch liest und danach den Inhalt mit eigenen Worten wiedergeben, dabei Gelesenes und schon vorher Gewusstes miteinander verbinden und vielleicht auch noch Beispiele aus dem eigenen Erfahrungsbereich hinzufügen kann, der hat das Buch offensichtlich verstanden („verdaut“). Er hat etwas gelernt, Wissen hinzu gewonnen. Wer dagegen den Inhalt des Buches nur wie ein Papagei wiederholen kann, ohne Bezug zu seinen eigenen Erfahrungen und seinem Vorwissen, bei dem ist das Buch eine Informationssammlung, vielleicht sogar nur eine Datensammlung geblieben.

Nach diesem Verständnis existiert Wissen nur im Kopf des Wissensträgers, nirgendwo sonst. Es ist untrennbar mit seinen persönlichen Erfahrungen verbunden und ein Produkt seines lebenslangen Lernens. Neues Wissen zieht Veränderungen im Denken, Fühlen und Handeln nach sich: Kurts Erfolg bei der Sportwette wird ihn möglicherweise beflügeln, bei nächster Gelegenheit einen neuen Versuch zu wagen. Damit wird er gleichzeitig die Validität bzw. „Richtigkeit“ seines Wissens (bzw. der zugrunde liegenden Annahmen) überprüfen. Wenn er erneut erfolgreich ist, hat sich sein Wissen bestätigt und es wird sich verfestigen. Mit der Zeit wird er sich immer sicherer werden, bis er plötzlich wieder verliert. Spätestens dann muss er erkennen, dass sein Wissen unvollständig oder doch falsch (unnütz) war oder durch Veränderungen der äußeren Umstände veraltet ist.

Weil Wissen erfahrungsgebunden ist, kann es nicht wie eine Datei im Computer einfach so weitergeben werden. Angenommen, Kurt möchte sein Wissen mit seinem Freund Fritz teilen. Dafür muss sich Kurt zunächst sein Wissen wieder bewusst machen, es in seinem Kopf reproduzieren und es Fritz erläutern. Fritz muss es verstehen (rekonstruieren) und in den Rahmen seiner Erfahrungen und seiner persönlichen Theorien einfügen. Wenn es für ihn Sinn macht, wird er Kurts Erläuterungen nutzen und selbst Erfahrungen damit machen. Möglicherweise kann Kurt aber gar nicht logisch begründen, warum er zu dieser oder jener Wette gekommen ist. „Bauchgefühl“ wird er vielleicht sagen. Weitere Erklärungen fallen ihm schwer. Er hat sich viele Jahre lang mit Fußball beschäftigt. Vor diesem Hintergrund, d.h. mit seinem über Jahre aufgebauten Wissen, hat er die Informationen aus der letzten Fußballsendung verwertet. Dieses Wissen ist vorhanden, aber teilweise unterhalb seiner Bewusstseinsschwelle geblieben.

Solange Kurts Wetten aufgehen, kann ihm das Zustandekommen seines „Bauchgefühls“ gleichgültig sein. Wenn er sich darauf verlassen kann, ist er zufrieden. Schade, dass es ihm nur ein wenig gelingt, Fritz in sein „Geheimwissen“ einzuweihen. Aber wenigstens behält er die Aura des unerreichbar Wissenden, zumindest in Fußballfragen.

Wissen, das (zunächst) anderen nicht erklärt werden kann, wird „implizites Wissen“ (auch Handlungs-, Erfahrungs- oder prozedurales Wissen) genannt. Wir alle wissen viel mehr als wir wissen. Erfahrung lässt z.B. den Mechanikermeister viel schneller den Fehler im Motor des Kundenfahrzeuges finden als sein theoretisch gut oder sogar besser ausgebildeter Junggeselle, ohne dass der „alte Haase“ das hinterher erklären könnte. Oder wie wollen wir Muttersprachler erklären, warum wir sofort verstehen, was es bedeutet, „auf der Kreuzung müsse man den Schutzmann umfahren“? Wer könnte aus dem Stegreif die wichtigsten grammatikalischen Regeln aufschreiben, die er ohne zu überlegen ständig benutzt? Oder erklären Sie doch einmal einem anderen, wie genau Sie es schaffen, Fahrrad zu fahren. Explizites, in Worten darstellbares Wissen ist offenbar nur die Spitze unseres persönlichen„Wissenseisberges“.

Lernen erfolgt grundsätzlich durch Versuch und Irrtum. Versuch bedeutet, aktiv in das äußere Geschehen einzugreifen, normalerweise, um etwas Bestimmtes zu erreichen. Irrtum ist – so wie Erfolg auch – eine Antwort der Umwelt darauf. Versuch und Erfolg / Irrtum bilden gemeinsam eine Erfahrung. Wenn ein erster Versuch scheitert und ein Zweiter erfolgreich endet, hat der Betreffende etwas gelernt („so geht es"). Dieser Vorgang ist fundamental. Kurts Trefferquote bei Sportwetten könnte im Laufe der Zeit noch besser werden. Natürlich wird er (legal) niemals 100 % erreichen, dafür sind selbst Fußballspiele viel zu komplex, aber Erfahrung (wiederholte Versuchs – und Irrtumsprozesse) verspricht Besserung, weil Spielverläufe nicht völlig zufällig sind. Fritz hat zwar kürzlich von Kurt einiges dazu gelernt, aber er wird im Durchschnitt noch eine ganze Weile weniger erfolgreich bleiben – es sei denn, er hat Glück, was im Fall eines Fußballspiels mit seiner Vielzahl an wechselwirkenden Einflussgrößen immer ein wichtiger Faktor ist.

Auch soziales Lernen geschieht über Versuch und Irrtum. In den ersten Tagen bei einem neuen Arbeitgeber sind gewöhnlich besonders viele „Fettnäpfchen“ ausgelegt. Die gültigen sozialen Regeln (was sich dort gehört, was positiv und was negativ konnotiert wird) sind noch unbekannt. Als „Neuer“ ist man auf das Feedback der neuen Kollegen angewiesen, um sich rasch einzufinden. Je nachdem, wie subtil oder direkt das geschieht, und wie sensibel der Betreffende wahrnimmt und versteht, dauert dieser Prozess kürzer oder länger. Das Erlernen der Muttersprache ist ein weiteres Beispiel. Babys imitieren die Laute der Eltern (Versuch) und bekommen im Erfolgsfall ein unmittelbares, begeistertes Feedback, das für weitere Versuche ermutigt. Im Misserfolgsfall geschieht normalerweise eine liebevolle Korrektur, die weitere und am Ende erfolgreiche Versuche des Babys nach sich zieht.

Wissen kann man im Sinne dieser Überlegungen als Handlungskompetenz bzw. als Potenzial zur Lösung von Problemen definieren. Problemlösungen können das Erreichen persönlicher Ziele, das Erfüllen von Wünschen oder die Befriedigung persönlicher Bedürfnisse sein. Hans Müller, dem die „Glocke“ von Friedrich Schiller gar nichts bringt außer einer ausreichenden Note im Deutschunterricht, erwirbt Informationen, weil die Deutschnote für ihn relevant ist. Wenn er später gar nichts mehr damit anfängt, seine Kenntnis des Gedichtes überhaupt keine Auswirkungen auf sein Handeln, Denken oder Fühlen hat, wird der Text aus seinem Gedächtnis verschwinden, ohne jemals lebendiges Wissen geworden zu sein.

Die Vorstellung, dass Wissen ein persönliches und erfahrungsgebundenes Phänomen ist, deckt sich mit jüngeren neurobiologischen Erkenntnissen. Auch die moderne Hirnforschung schwächt also das klassische Bildungsverständnis und die damit zusammenhängenden Vorstellungen über die Objektivität des Wissens und die Rationalität des Lernens. Bekannt geworden ist in diesem Zusammenhang der „Iowa Card Test“: Testpersonen beschäftigten sich an der Universität Iowa mit einem Glücksspiel, während sie an einem Lügendetektor angeschlossen waren. Bei dem Spiel sollten sie immer wieder Karten aus zwei verdeckten Stapeln ziehen. Ein Stoß führte zu kleinen Gewinnen im Wechsel mit kleinen Verlusten. Der andere Stoß führte zu seltenen Gewinnen größeren Ausmaßes, aber auch zu häufig hohen Verlusten. Unter dem Gesichtspunkt „Gewinnmaximierung“ war der erste Stoß eindeutig besser, aber die Teilnehmer konnten das nicht wissen, sie nahmen lediglich einen kleinen und zufälligen Ausschnitt der realen Struktur wahr. Aber sie lernten, und zwar (zunächst) ohne es zu wissen! Schon nach etwa zehn Zügen begannen die Versuchsteilnehmer den schlechten Stoß zu meiden. Der Lügendetektor stellte leichten Angstschweiß und Herzklopfen fest, sobald die Hand in diese Richtung griff. Diese Reaktion des eigenen Körpers bemerkten die Teilnehmer jedoch nicht. Erst nach etwa dem fünfzigsten Zug sprachen sie von einer gefühlsmäßigen Abneigung gegen den schlechten Kartenstapel. Und erst ab dem etwa achtzigsten Zug konnten die intelligentesten Spieler ihre Empfindungen begründen und das Prinzip des Spiels erklären. Aus diesem Experiment wird deutlich, in welchen Stufen der natürliche Lernprozess abläuft:

Lernen ist nach Erkenntnissen der Neurowissenschaften eine fundamentale Operation des Gehirns und evolutionsbiologisch schon viel älter als unser menschliches Bewusstsein. Unser Gehirn verarbeitet permanent aktuelle Erfahrungen, indem es sie nach Regelmäßigkeiten oder Mustern untersucht, also gewissermaßen statistisch auswertet. Hat es ein Muster erkannt, sendet es eine Meldung. Diese Meldung ist eine unbewusste Emotion oder, wenn es intensiver wird, ein gespürtes „Bauchgefühl“. Emotionen bzw. Gefühle resultieren immer aus einer unbewussten Situationsbewertung und wirken als Handlungsaufforderung. Ist das erkannte Muster neu, wird es für eine spätere Nutzung abgelegt. Auf diese Weise behalten wir von unseren konkreten Erfahrungen vor allem das Allgemeine, nicht das Spezielle. Das ist sehr nützlich, denn andernfalls müssten wir uns unendlich viele Einzelheiten merken und sie jedes Mal mit dem gerade Aktuellen neu abgleichen. Allerdings steht unser Gehirn immer in der Gefahr, Muster zu identifizieren, die in Wirklichkeit gar keine sind. Vielleicht täuscht Kurt ja auch sein Bauchgefühl. Sein Gehirn reagierte auf bestimmte (selektive) Wahrnehmungen und zog daraus erfahrungsbezogene Schlussfolgerungen, die einige Male tatsächlich aufgingen. Aber vielleicht gewann er trotzdem nur zufällig, weil in Wirklichkeit ganz andere Gründe die Spielergebnisse herbeigeführt haben.

Wenn unser Gehirn aktuelle Erfahrungen verarbeitet und dabei nach Mustern sucht, zieht es dafür zunächst die bereits in unserem Gedächtnis abgelegten Muster heran. Mit großer Freude bestätigt und verstärkt unser Gehirn das, was es bereits kennt. Der Vorteil dabei ist ökonomischer Art, denn so wird die Zahl der abzugleichenden Muster stark einschränkt. Allerdings erschwert dieser Prozess das Erkennen von grundlegend Neuem. Das Anlegen ganz neuer Muster ist möglich, aber unser Gehirn tut sich damit schwer. Auch hieraus erklären sich manche sonst nur schwer nachvollziehbaren Rigiditäten im Erklären, Handeln und Bewerten. Kurt wird vermutlich sein lange Zeit erfolgreiches Wettverhalten auch dann noch aufrecht erhalten, wenn sich die ersten Misserfolge zeigen. Seine Vorstellungen darüber, wie die Dinge zusammenhängen und worauf es ankommt, sind während der Erfolgszeit immer „härter" geworden. Ohne darüber nachzudenken, wird er aufmerksam sein bei solchen Nachrichten, die zu seinen Vorstellungen passen, und er wird solche übergehen, die nicht passen. Entweder wird er „unpassende" Informationen gar nicht erst wahrnehmen, oder er wird sie mit beruhigenden Erklärungen herunterspielen. Erst wenn der Misserfolg beständig wiederkehrt oder wenn andere Irritationen gehäuft auftreten, könnten seine gewohnten Denkweisen ins Schlingern geraten.

Wenn wir hinzulernen, knüpfen wir an bestehendem Wissen und an persönlichen Erfahrungen an. Das bedeutet, dass wir nur dort unser Wissen vermehren können, wo wir bereits etwas wissen. Neues bleibt nur dann in unseren Köpfen haften, wenn es Verbindungen zu Altem gibt. Dieser Prozess beginnt bereits bei der Wahrnehmung. Was wir nicht kennen, können wir auch nicht erkennen. Wahrnehmung ist auf Vorwissen angewiesen. Wie soll Klara, Kurts Ehefrau, die neue Spieltaktik seines Lieblingsvereins verstehen, wenn sie noch gar nicht weiß, dass es so etwas wie Taktik im Mannschaftssport überhaupt gibt und woran man sie erkennen kann?

Unsere Sinnesorgane können die äußere Realität nur in kleinen Ausschnitten wahrnehmen, weil die volle Komplexität unserer Umwelt mit all ihren Elementen, Variationen und Dynamiken grundsätzlich nicht erfassbar ist. Zusätzlich sind unsere geistigen Verarbeitungsmöglichkeiten begrenzt. Das gilt ganz besonders für den bewussten Teil, unseren rationalen Verstand. Seine Stärke sind Klarheit und Präzision, seine Schwäche ist die begrenzte Kapazität des „Arbeitsspeichers“ und die Langsamkeit der Informationsverarbeitung. Unbewusst bedienen wir uns relativ einfacher Muster, um zu verstehen, und wir bedienen uns relativ einfacher Muster, um intuitiv und situationsadäquat zu reagieren. Wenn uns unser Gehirn per Emotion oder Gefühl eine Handlungsaufforderung schickt, und wir handeln daraufhin intuitiv, dann orientieren wir uns unbewusst an bestimmten Faustformeln, die als implizites Wissen in unserem Kopf abgespeichert sind, beispielsweise: „Wenn Du ein Objekt wiedererkennst, aber das andere nicht, ziehe den Schluss, dass das wiedererkannte Objekt einen höheren Wert hat.“ Die Intelligenz des Unbewussten liegt in der spontanen Auswahl der richtigen Faustformel für die richtige Situation. Und damit liegt es verblüffend oft richtig. Untersuchungen zeigen, dass die Problemlösungsfähigkeit unseres unbewussten Informationsverarbeitungsprozesses erstaunlich groß und besonders in komplexen, unübersichtlichen Situationen unserem rationalen Verstand deutlich überlegen ist. Aber natürlich unterlaufen auch unserer Intuition Fehler, manchmal auch schwerwiegende und spektakuläre.

Unser Erkennen und Verstehen hängt davon ab, wie unser Nervensystem funktioniert, was es entschlüsseln kann und wie es mit den entschlüsselten Informationen umgeht. Ein absolutes, endgültiges und personenunabhängiges Wissen kann es deshalb gar nicht geben. Wissen ist vielmehr ein Modell für die Wirklichkeit. Wenn sich Menschen auf ein bestimmtes Modell einigen, halten sie es (meist) für „wahr". Das stärkt die Orientierungsfunktion des Modells und bringt Sicherheit. Diese kann aber trügen. Wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen, hat mehr mit unseren Vorstellungen von ihr zu tun als mit ihr selber. Infolgedessen sind auch unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse meist schlechter als ihr guter Ruf. Die Geschichte bietet viele Beispiele für grandiose Irrtümer, die lange Zeit als gesichertes Wissen galten („die Erde ist eine Scheibe", „Raum und Zeit sind absolute Größen" oder „steigende Unternehmensgewinne führen automatisch zu mehr Beschäftigung"). Trotz seines hohen Ansehens (und ohne seinen Wert damit bestreiten zu wollen) ist wissenschaftliches Wissen meistens strittig und anfechtbar - was ja positiv gewendet die Begründung für unsere wissenschaftliche Erkenntnisweise liefert. Wenn Modelle und Begründungen einen kritischen Diskurs unbeschadet überstehen, gehen sie gestärkt daraus hervor. Sie bleiben so lange (vorläufig) gültig, wie sie nicht widerlegt worden sind. Aber letztendlich erweist sich die Güte unserer Wirklichkeitsmodelle an ihrer Nützlichkeit, nämlich daran, ob sie Orientierung stiften und Erfolge ermöglichen können.

Eine zu erwähnende Ausnahme von dem bisher Gesagten stellt der Bereich der reinen Logik und der höheren Mathematik dar. Hierbei handelt es sich um so etwas wie „analytische Wahrheiten“, die über menschliche Erfahrung hinausgehen und insofern personenunabhängig sein können. Für die in Organisationen üblichen Frage- und Problemstellungen helfen analytische Wahrheiten jedoch gewöhnlich nicht weiter.

Die wichtigsten Punkte noch einmal zusammengefasst:

  • Gesagtes wird unterschiedlich gehört und verstanden. Derjenige, der Wissen vermittelt, hat keine direkte Kontrolle über das, was bei anderen ankommt und was andere damit verbinden.
  • Lernen und Wissen sind grundsätzlich erfahrungsgebunden (mit Ausnahme der reinen Logik und der höheren Mathematik). Wissenserwerb geschieht letzten Endes über Versuch und Irrtum. Gehörtes oder Gesehenes, das sich nicht mit unserer Erfahrung und unseren persönlichen Theorien verbindet, wird nicht wirksam und schnell wieder vergessen. Abstrakte Lehrsätze, angelesene Erkenntnisse, unverarbeitete Empfehlungen oder Ratschläge können wichtige Informationen sein. Wert erhalten sie aber erst durch ihre Verwendung (Tun) bzw. Verarbeitung (gedankliche Integration der Vorstellungen mit dem persönlichen Vorwissen). Dann werden sie in einen Erfahrungskontext integriert und zu (persönlichem) Wissen.
  • Weil Wissen erfahrungsgebunden ist, ist es immer einzigartig und individuell (Ausnahme siehe oben). Streng genommen können wir deshalb unser Wissen gar nicht an andere weiter geben. Allerdings kann es in einem interaktiven Prozess gelingen, das Wissen des einen partiell in die Erfahrungswelt des anderen zu integrieren. Häufig führt der Dialog gleichzeitig zu einer neuen Verankerung des Wissens bei dem Lehrenden, sodass sich die Grenze zwischen Lehrendem und Lernendem verwischen kann.
  • Wir alle wissen viel mehr, als wir wissen. Das Beispiel des Iowa Card Tests zeigt, dass unser bewusstes, in Worten darstellbares (explizites oder deklaratives) Wissen nur die Spitze unseres persönlichen „Wissenseisberges" ist. Darüber hinaus besitzen wir in großem Umfang implizites (Handlungs-, Erfahrungs- oder prozedurales) Wissen, das wir kaum kennen, das aber hochwirksam ist, weil es unser Verhalten stärker und gleichzeitig weniger spürbar steuert als unser explizites Wissen.

Wissen vermitteln

Die fundamentalen Formen der Wissensvermittlung sind Zeigen und Erklären. Wer jemandem zeigt, wie er bestimmte Dinge tut, ermöglicht es dem anderen, ihn zu beobachten und es ihm gleichzutun. Die klassische Berufsausbildung z.B. folgt diesem Weg. Wer jahrelang neben seinem Ausbildungsmeister gearbeitet hat, hat wie selbstverständlich einen Großteil seiner Expertise samt seiner speziellen Kniffe und Routinen übernommen. Beide leben lange Zeit in gleichartigen Arbeitskontexten und machen ähnliche Erfahrungen, deshalb kann auch ähnliches Wissen entstehen. Wenn der Meister zeigt, was er tut, vermittelt er auch implizites Wissen, also z.B. Kniffe und Routinen, die er gar nicht ohne weiteres erklären und begründen könnte. Videofilme sind dafür nur teilweise ein Ersatz, weil beim Betrachten Verständnisfragen oder ein kritischer Diskurs nicht möglich sind. Psychologische Studien haben darüber hinaus gezeigt, dass eine persönliche Beziehung zwischen Lehrendem und Lernendem das Lernen wesentlich erleichtert.

Wissen zu erklären ist weitaus schwieriger, weil der Lehrende das, was er tut, in den richtigen Worten ausdrücken muss. Dafür muss er theoretisch Gelerntes rekapitulieren, es mit seinem Erfahrungswissen verbinden und das Ganze logisch zu einem beschreibbaren und nachvollziehbaren Modell zusammenbauen. Zeigen transportiert mehr Informationen als Erklären, aber durch Erklären kann vieles genauer und tiefer verstanden werden. Am besten ist eine Kombination aus Zeigen und Erklären. Dinge „live“ zu erleben, mit den entsprechenden Erläuterungen dabei, erleichtert sowohl das Verstehen als auch das spätere Erinnern, weil alle Sinne angesprochen und aktiviert werden. Häufig ist aber der gemeinsame Besuch einer Fabrik, eines Labors oder eines Büros nicht möglich. Und häufig gibt es dort auch kaum etwas Relevantes direkt zu sehen. Deshalb werden häufig doch Filme oder Trickfilme eingesetzt, die manches zeigen, was in der Wirklichkeit so nicht oder nur sehr aufwändig beobachtet werden könnte. Grafiken und Diagramme haben gegenüber Filmen den Nachteil, Bewegungen nicht direkt veranschaulichen zu können. Dafür eignen sie sich aber für sinnvolle Vereinfachungen. Sie können Komplexität reduzieren und den Kern des Gemeinten deutlicher hervortreten lassen.

Wissen ist bei Menschen in unterschiedlichen Formaten und Kontexten gespeichert. Unterscheiden lassen sich kategoriale und assoziative Wissensstrukturen (wozu gehört das? wem oder was ist das ähnlich?), normative Wissensstrukturen (weshalb machen wir das?), inferenzielle Wissensstrukturen (warum ist das so? welche Folgen hat das?) und prozedurale Wissensstrukturen (wie machen wir das? In welcher Reihenfolge?). Wissen von der Organisation einer Veranstaltung ist z.B. prozedurales Wissen, Wissen über Strategien erfolgreichen Marketings ist ein Beispiel für assoziatives in Verbindung mit inferenzielles Wissen. Bei der Visualisierung von Wissensinhalten spielen solche Unterschiede eine große Rolle. Im Anhang finden sich einige Beispiele dafür (Abbildungen 1 bis 4).

Um komplexe Sachverhalte zu vermitteln, haben sich folgende Grundsätze bewährt (die Reihenfolge bedeutet keine Rangfolge):

  • An den Empfänger andocken
    Wissen kann man nicht wie einen Tennisball einfach so weitergeben. Das Wissen des einen muss für den anderen relevant sein und in seine Erfahrungswelt passen. Nur dann wird der andere es nehmen und integrieren. Passung und Relevanz können sich zufällig ergeben, für eine gezielte Wissensvermittlung ist es aber aussichtsreicher, bewusst bzw. geplant anzudocken. Unter Umständen kann das eine vorherige „Adressatenanalyse“ verlangen. Andocken kann sachlich erfolgen (Ziele und Aufgaben des anderen) oder persönlich (seine persönlichen Bedürfnisse, Interessen und Sichtweisen).
  • Die richtige Menge an Informationen vermitteln
    Bei zu wenigen Informationen erschließt sich der Wissensgegenstand nicht oder nur unzureichend, wesentliche Aspekte und Zusammenhänge bleiben außerhalb der Betrachtung. Bei zu vielen Informationen geht der Fokus und damit der Überblick verloren. Sinnvoll ist es, den zu vermittelnden Wissenskern hervorzuheben („darum geht es“), den jeweiligen Kontext nur grob zu markieren und ihn danach kontrolliert zu vernachlässigen. Er sollte nur dann ins Bild zurückkehren, wenn es für das Verständnis wichtiger Fragen oder Teilaspekte notwendig ist. Verständlichkeit verlangt häufig den Verzicht auf Vollständigkeit.
  • Perspektive markieren
    Komplexe Sachverhalte lassen sich nicht vollständig, sondern nur in Ausschnitten betrachten. Und was beobachtet wird, ist abhängig von der jeweiligen Perspektive. Die Betrachtung eines Unternehmens aus der Perspektive eines Börsenspekulanten (was er sieht und für wichtig hält) wird sich stark unterscheiden von der Perspektive eines Betriebsrates, eines Leiharbeitnehmers oder des zuständigen Finanzamtes. Die Kennzeichnung der Betrachtungsperspektive hilft, die Überlegungen besser zu verstehen. Ein unvermittelter Perspektivenwechsel in der Argumentation führt umgekehrt zu Konfusion.
  • Vom Allgemeinen zum Besonderen
    Allgemeines verschafft Übersicht, Spezielles sorgt für Konkretheit. Das ist so ähnlich wie beim Fliegen in unterschiedlichen Flughöhen: Bei großer Flughöhe gehen Details verloren, dafür werden die gröberen Strukturen deutlich. Bei niedriger Flughöhe zeigen sich die Besonderheiten der Landschaft. Die Verständlichkeit ist für gewöhnlich größer, wenn die Erläuterungen zunächst allgemein beginnen und danach konkreter werden. Allgemeine Darstellungen werden beim anderen auch eher Assoziationen auslösen und Erfahrungen wecken als sehr spezielle Ausführungen.
  • Vom Einfachen zum Komplizierten / Komplexen
    Wenn die Wissensvermittlung mit der Beschreibung einfacher Zusammenhänge beginnt, gelingt es leichter, an bestehende Wissensbestände anzuknüpfen und auf dieser Grundlage neuen und / oder komplizierteren Gedankengängen zu folgen. Einfachheit kann allerdings umschlagen in Trivialität, wenn nämlich der relevante Kontext bzw. wesentliche Annahmen und Zusammenhänge dauerhaft ausgeblendet und unerwähnt bleiben. In diesem Fall werden die Dinge wissentlich oder naiv von ihrem Zusammenhang getrennt. Dadurch entstehen Missverständnisse und falsche Schlussfolgerungen. Trivialität ist weniger zur Aufklärung als zur Emotionalisierung geeignet. Sachverhalte richtig, aber gleichzeitig einfach und nicht trivial darzustellen, ist schwer und verlangt einen wirklichen Könner, der, ausgehend von einem umfassenden Verständnis der Themen, immer wieder neu entscheidet, welche Kontextfaktoren gerade vernachlässigt werden können und welche jeweils wieder ins Bild zurückgeholt werden müssen. Manche übereinfachen (trivialen) oder überkomplizierten Darstellungen lösen deshalb manchmal den Verdacht aus, dass es weniger um Vermittlung als um Manipulation oder um Selbstdarstellung geht. Oder dass es der Betreffende selbst nicht richtig verstanden hat.
  • Vom Bekannten zum Unbekannten
    Dieser Grundsatz folgt der Erkenntnis, dass Lernen nur dort stattfinden kann, wo schon vorher etwas gewusst wird. Neue Informationen brauchen Vorwissen und erfahrungsbezogene Anknüpfungspunkte, um verstanden, integriert und später wieder erinnert zu werden. Bei der Beschreibung und Erklärung neuer Sachverhalte empfiehlt es sich aus demselben Grund, Begriffe, Bilder oder Metaphern zu verwenden, mit denen der Lernende etwas anfangen kann.
  • Einfachheit, Gliederung und Prägnanz
    Komplexität zu handhaben und zu vermitteln erfordert Vereinfachung. Das kann bedeuten, sich auf einen Ausschnitt (Fokus) oder auf wenige Ausschnitte (Module oder Teilsysteme) mit ihren grundlegenden inneren und äußeren Wechselbeziehungen zu konzentrieren. Dabei werden zwangsläufig einzelne Aspekte vernachlässigt und eventuell manche Besonderheiten verallgemeinert. Eine Gliederung sorgt für Übersicht und Orientierung. Sie darf dafür weder zu tief noch zu flach sein. Weiterhin ist Prägnanz wichtig. Sie bringt die Worte auf den Punkt. Weitläufige oder blumige Ausführungen können ablenken und den Fokus, um den es geht, verlieren lassen.

    Für die Vermittlung komplexer Inhalte ist es günstig, eine Leitgrafik, d.h. eine visualisierte, bildhafte Gliederung an den Anfang zu stellen, in der die grundlegenden Elemente, auf die später im Einzelnen eingegangen werden soll, aufgeführt und in ihren wichtigsten Wechselbeziehungen dargestellt sind (siehe Abbildung 5). Darüber hinaus empfiehlt es sich, die jeweils gerade verwendete Abstraktionsebene ausdrücklich zu markieren (z.B.: „Wir reden über einzelne Abteilungen, nicht über das Gesamtunternehmen oder über unsere Branche.“) und den Fokus darin zu umreißen (z.B.: „Wir reden gerade über die Abteilung Controlling.“), was gleichzeitig heißt, die weniger relevanten Bereiche auszugrenzen (z.B.: „Wir reden nicht über die Entwicklungsabteilung.“) (siehe Abbildung 6). Häufig leidet die Klarheit einer Diskussion daran, dass munter Foki gewechselt und über Abstraktionsebenen gesprungen wird. In einem solchen Fall können die einzelnen Beiträge für sich gesehen durchweg klug und bedenkenswert sein, aber die Verknüpfung zwischen den Einzelbeiträgen geht verloren und Konfusion macht sich breit.
  • Anregung
    Wer angeregt ist, ist aufmerksamer, emotionaler, hat mehr Energie und mehr Spaß beim Lernen. Auch zu viel Energie kann den Prozess des Verstehens erschweren, aber Vermittlungsvorgänge leiden häufiger unter einem Mangel als an einem Übermaß an Energie. Gelingendes Andocken wirkt bereits anregend, weil der Lernende feststellt, dass es um ihn selbst geht, um seine Ziele und Bedürfnisse. Anregung gelingt darüber hinaus durch Überraschungen. Unerwartete, möglichst originelle Verfremdungen (Analogien bzw. Metaphern), Irritationen und Provokationen, Humor, geschickte Fragen, der aktive Einbezug in einen Dialog oder in eine Handlungssequenz, ein Medienspektakel: all das sind Möglichkeiten, Menschen anzuregen.
  • Verfremden
    Verfremden heißt Bedeutungsübertragung mittels Analogien, Metaphern, Landkarten, Bilder oder Geschichten. Etwas Neues wird durch den Vergleich mit etwas bereits Bekanntem leichter verständlich, oder es werden unterschiedliche Wissensbereiche miteinander in Verbindung gebracht (z.B. „Automobilevolution“). Die Verwendung einer falschen Metapher kann natürlich umgekehrt auch verunklaren und verwirren. Metaphern können in einem Text verwendet („Informationen transportieren“) oder zur Visualisierung genutzt werden. Infrage kommen künstliche (z.B. Trichter) und natürliche Objekte (z.B. Wasserfall), Tätigkeiten (z.B. jonglieren) oder bekannte Geschichten (z.B. Ikarus). Beispiele, die sich gut für Visualisierungen verwenden lassen, finden sich im Anhang (Tabelle 1).

    Verfremdungen überraschen und können daher auch anregen. Außerdem werden mehr Informationen transportiert. Ein Bild sagt bekanntlich mehr als 1000 Worte, und über Jahrtausende sind mittels Geschichten die wichtigsten Wissensbestände von Generation zu Generation weitergegeben worden. Menschen sind gewohnt, sich wichtige Ereignisse oder Entwicklungen in Form von Geschichten zu erklären und zu merken. Wir alle denken ständig in Geschichten, weil sie nicht nur „trockene“ Einzelinformationen enthalten wie z.B. eine Vokabelsammlung, sondern immer auch Sinn, Zusammenhänge, Emotionen und Bewertungen.
  • Lernzugänge, Behaltensquote und Arbeitsgedächtnis
    Menschen unterscheiden sich in ihren Lernzugängen. Handlungs-orientierte Menschen fragen sich beim Lernen, was sie mit dem Dargebotenen praktisch werden anfangen können. Dementsprechend selektiv werden sie aufmerksam sein und zuhören. Erlebensorientierte Menschen stellen sich vor, wie es ihnen und anderen Beteiligten wohl beim Anwenden des Gelernten gehen wird. Und reflexionsorientierte Menschen gehen vor allem der Frage nach, wie die Dinge genau zu verstehen sind und wie sie wohl miteinander zusammenhängen, unabhängig zunächst von den praktischen Folgen und den möglichen Erlebensweisen. Diese Unterschiede können eine Rolle spielen bei der Aufbereitung des zu vermittelnden Wissens. Zum Beispiel dürften Manager im Allgemeinen eher handlungsorientiert denken, Forscher und Experten häufiger reflexionsorientiert. Im Zweifelsfall empfiehlt es sich, für eine Mischung in der Darstellungsweise und in der Auswahl von Anschauungsbeispielen zu sorgen, sodass alle Lernzugänge „bedient“ werden.

    Bei der Aufbereitung des zu vermittelnden Wissens ist es weiterhin wichtig, die Begrenztheit des menschlichen Arbeitsgedächtnisses zu berücksichtigen. Wir sind lediglich fähig, für eine kurze Zeit von wenigen Sekunden fünf bis maximal neun Informationen (Worte, Zahlen, Bilder) gleichzeitig zu verarbeiten, d.h. sie in unserer Vorstellung zu betrachten, zu ordnen und miteinander zu verknüpfen. Eine Informationsüberfrachtung führt daher rasch zu Überforderung und Unverständnis.

    Schließlich sollte berücksichtigt werden, dass unterschiedliche Sinneseindrücke unterschiedlich stark im Gedächtnis haften bleiben. So zeigen Untersuchungen, dass gewöhnlich nur 10 % von dem erinnert wird, was gelesen wurde, 20 % von dem, was gehört wurde, 30 % von dem, was (szenisch) gesehen wurde, 50 % von dem, was gesehen und gehört wurde, 70 % von dem, was anderen erklärt wurde, und 90 % von dem, was selbst getan worden ist. Damit drückt sich noch einmal die starke Erfahrungsgebundenheit von Wissen und Lernen aus.

Wissen und Wissensvermittlung

Als Kurt sein über Jahre aufgebautes Wissen über Fußballspiele teilweise an Fritz weitergeben wollte, haben beide rasch gemerkt, dass dieser Vorgang alles andere als selbstverständlich und einfach ist. Kurt wollte es eigentlich, aber er konnte sich nicht so richtig verständlich machen. Und Fritz wollte ihn verstehen, aber es gelang ihm nicht so einfach. Wissen ist ein komplexes Phänomen, und seine Vermittlung ist an viele Voraussetzungen geknüpft.

Verlockend, aber trügerisch ist in diesem Zusammenhang das Modell des Nürnberger Trichters. Es suggeriert, dass Lehren nichts weiter darstellt als das Hineingießen einer fertigen (Wissens-) Flüssigkeit in den Kopf des Lernenden, und dass dieser das, was er lernen soll, passiv aufnehmen und in seinem Kopf ablagern kann. Dummerweise gibt es den Nürnberger Trichter oder einen vergleichbaren Prozess nicht. Stattdessen verlangt Wissensvermittlung eine konzentrierte und anstrengende Aktivität bei allen Beteiligten. Wissensvermittlung ist Interaktion, sie definiert Realität (bzw. was die Betreffenden dafür halten) und erfordert ein Aufeinander - Zugehen und ein Aufeinander - Einlassen. Und am Ende werden sich beide in ihren (Realitäts-) Vorstellungen ein wenig verändert haben.

Anlagen

Abbildung 1a: Darstellungsbeispiel für assoziative Wissensstrukturen, hier in Form einer Wissenslandkarte (Quelle: Martin J. Eppler in: Organisationsentwicklung Nr. 1/2007)

Beispiel eines Kundenzufriedenheitsbaumes

Beispiel einer weiteren Ausgestaltung der Zweige

Abbildung 1b: Darstellungsbeispiel für kategoriale Wissensstrukturen (Quelle: Zink, K.J. (1995): TQM als integratives Managementkonzept, Carl Hauser Verlag, München, S. 191, 192)

Abbildung 2: Darstellungsbeispiel für normative Wissensstrukturen (Quelle: Zink, K.J. (1995): TQM als integratives Managementkonzept, Carl Hauser Verlag, München, S. 128)

Verschiedene zeitliche Wirkungsbeziehungen in einem Netzwerk (nach Gomez/Probst 1987)

Abbildung 3: Darstellungsbeispiel für inferenzielle Wissensstrukturen (Quelle: Ulrich/Probst (1991): Anleitung zum ganzheitlichen Denken und Handeln, Haupt Verlag, Stuttgart, S.158)

Abbildung 4: Darstellungsbeispiel für prozedurale Wissensstrukturen (Quelle: Zink, K.J. (1995): TQM als integratives Managementkonzept, Carl Hauser Verlag, München, S. 197)

Bedingungsvariablen für das Verhalten (in Anlehnung an Rosenstiel 1988, 216)

Abbildung 5: Darstellungsbeispiel für eine Leitgrafik (Quelle: Reinhardt, R.; Eppler, M.J. (2004): Wissenskommunikation in Organisationen, Springer Verlag, Heidelberg, S.160)

Abbildung 6: Beispiel für einen Auflösungskegel (Quelle: Die Orientierung Nr. 89: Vernetztes Denken im Management, Peter Gomez, J.B. Probst, Hochschule St. Gallen, Schweizerische Volksbank 1987, 3001 Bern)

Tabelle 1: Grundideen für die Visualisierung

 

Metapher

Eigenschaften/Assoziationen

1.

Eisberg

Der größte Teil ist nicht sichtbar, und dieser unsichtbare Teil könnte riskant sein.

2.

Trichter

Ein oder mehrere Inputs werden gefiltert, verdichtet und so zu einem höherwertigen Endresultat.

3.

Hammer/Nagel

Problem und ein Werkzeug zu seiner Lösung

4.

Pendel

Eine Balance zwischen Extremen muss gefunden werden.

5.

Haus

Eine fixe Struktur, in die man eintreten kann und die funktional differenziert ist.

6.

Tempel

Etwas, was ein Fundament, verschiedene Pfeiler und ein gemeinsames Dach hat.

7.

Treppe

Etwas stabiles, das in verschiedenen Stufen zu einem Ziel führt.

8.

Leiter

Etwas flexibles, das in verschiedenen Stufen zu einem Ziel führt.

9.

Baum

Etwas, das wächst, im Boden verankert ist und Früchte trägt.

10.

Strasse

Ein Weg, um von A (Ausgangslage) nach B (Ziel) zu kommen.

11.

Park

Ein (geschütztes) Territorium, welches durch einen oder mehrere Wege durchschritten werden kann und eventuell einige Sehenswürdigkeiten birgt.

12.

Nuss/Nussknacker

Schwieriges Problem und Lösungswerkzeug

13.

Rad

Etwas Dynamisches, das aus einem zentralen und verschiedenen anderen Elementen besteht.

14.

Berg

Ein großes Problem, das es durch beständigen Einsatz zu lösen gilt.

15.

Blume

Etwas Positives, Wachsendes, mit zentralem Stiel und verschiedenen Facetten, das durch Investitionen und Sorge Blüten trägt.

16.

Regenschirm

Etwas, das Schutz bietet und aus verschiedenen Elementen besteht.

17.

Waage

Eine Struktur, um Vergleiche anzustellen oder Vor- und Nachteile abzuwägen.

18.

Kette

Elemente, die voneinander abhängen und ein starkes Ganzes bilden.

 

 

 

19.

Münze

Etwas, das zwei Seiten / Facetten hat.

20.

Rutschbahn

Eine spielerische Struktur, bestehend aus Aufstieg, Aussicht und dynamischer Fahrt.

21.

Eimer

Ein Auffang- und Sammelgefäß, das überquellen kann.

22.

Diamant

Etwas sehr Wertvolles, das aus einer Hauptkomponente und mehreren Unterkomponenten besteht.

23.

Thermometer

Eine vertikale Skala, welche die gegenwärtige Situation und ihre Bedeutung/Bewertung wiedergibt.

24.

Sonnensystem

Elemente, die von einem großen zentralen Element abhängen und sich an diesem orientieren.

25.

Sumpf

Ein Bereich, in dem man leicht stecken bleibt, langsamer vorwärts kommt und nur schwer wieder herauskommt.

26.

Flaschenhals

Ein Ressourcenengpass

27.

Vulkan

Etwas, das im Untergrund brodelt und plötzlich zum Ausbruch kommen kann.

28.

Festung

Etwas Sicheres, in das nur schwer eingedrungen werden kann.

29.

Fluss

Etwas, das in eine Richtung fließt und eine gewisse (Band-) Breite mit sich bringt.

30.

Brücke

Etwas, das Leute zusammenführt, Hindernisse überwindet.

31.

Radarschirm

Ein Überblick über relevante Objekte und ihre Entfernung.

32.

Turm

Eine hierarchische Struktur, die Überblick schafft.

33.

Sturm

Eine positive oder negative Richtung mit großer Intensität.

34.

Boot

Ein Mittel, um gemeinsam zu einem Ziel zu kommen.

35.

Kordel

Elemente, die zusammen ein starkes Ganzes formen.

36.

Zelt

Eine dynamische Struktur, die Schutz und Struktur bietet.

37.

Sanduhr

Etwas, das langsam verrinnt und vorbeigeht.

38.

Schloss / Schlüssel

Eine Lösung, die zum Problem passt.

39.

Hebel

Durch kluges Ansetzen weniger Aufwand benötigen.

40.

Schwerter

Zwei Kräfte, die aufeinander prallen.

41.

Orchester

Verschieden Rollen, die unter einer Leitung zusammenarbeiten.

42.

Graben

Eine Lücke, die überwunden werden muss.

43.

Labyrinth

Ein unübersichtlicher Prozess, in dem man sich ohne Orientierungshilfe schnell verlieren kann.

44.

Wasserfall

Eine Bedrohung, auf die man zugeht, ohne sie zu sehen.

45.

Insel

Ein neues Gebiet, das es zu erkunden gilt.

46.

Maschine

Ein komplizierter Gegenstand, der einen Input in einen höherwertigen Output umwandelt.

47.

Lager

Ein organisierter Ort für dauerhaft wichtige Dinge.

48.

Balken

Eine stabile Basis, die jedoch zerbrechen kann.

49.

Wald

Man geht leicht in den Details verloren, es ist schwer den Überblick zu behalten.

50.

Taschenlampe

Fokussierung auf ein Problem und Vernachlässigung von anderen Bereichen.

51.

Trojanisches Pferd

Eine List zur Infiltration, zur Übergabe von etwas Ungewolltem.

52.

Sisyphus mit Stein

Eine mühevolle und endlose Aufgabe

53.

Ikarus mit Wachsflügeln

Lösung, die nur kurzfristig funktioniert.

54.

Münchhausens Zopf

Eine Lösung, die ohne zusätzliche Ressourcen auskommt.

55.

Jonglieren

Mehrere Aufgaben müssen gleichzeitig erledigt werden.

56.

Tanzen

Eine spielerische Kooperation, die abgestimmt sein muss.

57.

Fechten

Ein Kampf mit gleichen Waffen, bestehend aus Angriff und Verteidigung.

58.

Seiltanzen

Eine schwierige Aktivität, bei der jederzeit die Gefahr besteht, abzustürzen.

59.

Surfen

Man bleibt an der Oberfläche und lässt sich von Wellen und Wind weiterbringen.

60.

Tauchen

Man geht unter die Oberfläche, man geht den Dingen auf den Grund.

Quelle: Reinhardt, R.; Eppler, M.J. (2004): Wissenskommunikation in Organisationen, Springer Verlag, Heidelberg, S. 29 ff

Literaturhinweise

Sandra Gerhards, Bettina Trauner (2007): „Wissensmanagement, 7 Bausteine für die Umsetzung in der Praxis“, München

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Ursula Hasler - Roumois (2007): „Studienbuch Wissensmanagement“, Zürich

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Gerald Hüther (2004): „Die Macht der inneren Bilder; wie Visionen das Gehirn, den Menschen und die Welt verändern“, Göttingen

Hölscher, S., Reiber, W., Pape, K., Loehnert-Baldermann, E. (2006): „Die Kunst gemeinsam zu handeln; Soziale Prozesse professionell steuern“, Heidelberg

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Reinhardt, R., Eppler, M.J. (2004): „Wissenskommunikation in Organisationen; Methoden, Instrumente, Theorien“, Heidelberg

Rottluff, Joachim (1992): „Selbständig lernen, Arbeiten mit Leittexten“, Weinheim

Spitzer, Manfred (2002): „Lernen; Gehirnforschung und die Schule des Lebens, Heidelberg

Helmut Willke (1998): „Systemisches Wissensmanagement“, Stuttgart

Über den Autor

Wolfgang Reiber liebt es, die Dinge ganzheitlich zu betrachten, etwa das Zusammenspiel zwischen wirtschaftlichen, psychologischen und politischen Aspekten in Organisationen und Gesellschaft. Gemeinsam darüber nachzudenken, was ist, was sein sollte und wie es gehen könnte, mit Respekt und mit einer Prise Humor, das schätzen er und seine Kunden ganz besonders.


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Wolfgang Reiber - Partner im Ruhestand, Metrion Management Consulting